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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958.

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sichtigen. -- Und so leicht reissest du deine Seele aus den Armen zweier
Menschen? Darf kein Freund dem andern vorwerfen, nicht einmal die
unschuldige und unwilkührliche Verwandlung der Freundschaft
in Liebe? Und nicht einmal das hat einer von uns gethan, weil keiner
sie glaubt; aber wenn nun? Wilst du keine Meinung hören als deine? --5
Deine harte Festigkeit und Ründung in dir selber stellet dich vor meinem
moralischen Ich hoch und ich liebe sogar deine -- Erbitterung; aber wie
hart warest du gegen uns beide! Ich schweige über mehrere Täu-
schungen, weil ich dir versprochen habe, dir nicht meine Meinung zu
sagen als wenn sie deine ist, welches ja nicht selten zutrift.10

Ich und Otto sind kühler -- nämlich mit dem Kopfe -- wie du und
wir beide hatten eine Freude über das moralische Aufbrausen in
deinen Briefen; aber mich drükt die Reue, dir Schmerzen -- und noch
dazu vergebliche -- gemacht zu haben. Mit der Scientia media hätt[267]
ich jenen Brief nicht geschrieben. -- -- Also: ich ehre und liebe dein15
Verhältnis zu A., das ist wie meines -- (aber nicht deine erotische
Hyperphysik) -- und daher entziehe unserer dreifachen Freundin keine
Zeile! Das Schauen in die ofnen Paradiesesthore des Elysiums deiner
Phantasie schliesset ihr milde bunte Welten auf -- brich deinen schönen
Frühling nicht so schnel mit Nordwinden ab! Also, lieber Oertel, schreib20
ihr wie immer, durch Ottoische, Renat[ens] oder meine Adresse. Ach es
thut mir so wehe, dir mit einem unschuldigen Widerspruche eine so un-
nüze Wunde in dein mit frohem Blute gefültes Herz gerissen zu haben.
Ach daß es sich nicht in dieser Minute schliessen kan, sondern erst nach 3
Tagen! -- Schreibe ihr, Lieber! und vergieb mir, denn ich vergebe dir!25

Richter

Du wirst noch einen Brief bekommen, lies dieses Blat zulezt.

Nachschrift den 6 Nov. um 5 Uhr als ich deinen lezten Brief bekam.

O du mein Geliebter, du demüthigst mein Herz. Edler war kein Brief
geschrieben als dein lezter; schönere und reuigere Thränen hab ich nie30
vergossen. Nim wieder meine Seele an deine, nicht meine liebende --
denn die hattest du schon -- sondern meine sanftere. Ach ich möchte dich
jezt umarmen. O du Theuerer, ich habe dich geliebt, ich liebe dich, ich
werde dich lieben -- Und du, sei gegen mich wie ich gegen dich! -- Lebe
wohl, Tugendhafter, Geliebter und Liebender!35

Richter

ſichtigen. — Und ſo leicht reiſſeſt du deine Seele aus den Armen zweier
Menſchen? Darf kein Freund dem andern vorwerfen, nicht einmal die
unſchuldige und unwilkührliche Verwandlung der Freundſchaft
in Liebe? Und nicht einmal das hat einer von uns gethan, weil keiner
ſie glaubt; aber wenn nun? Wilſt du keine Meinung hören als deine? —5
Deine harte Feſtigkeit und Ründung in dir ſelber ſtellet dich vor meinem
moraliſchen Ich hoch und ich liebe ſogar deine — Erbitterung; aber wie
hart wareſt du gegen uns beide! Ich ſchweige über mehrere Täu-
ſchungen, weil ich dir verſprochen habe, dir nicht meine Meinung zu
ſagen als wenn ſie deine iſt, welches ja nicht ſelten zutrift.10

Ich und Otto ſind kühler — nämlich mit dem Kopfe — wie du und
wir beide hatten eine Freude über das moraliſche Aufbrauſen in
deinen Briefen; aber mich drükt die Reue, dir Schmerzen — und noch
dazu vergebliche — gemacht zu haben. Mit der Scientia media hätt[267]
ich jenen Brief nicht geſchrieben. — — Alſo: ich ehre und liebe dein15
Verhältnis zu A., das iſt wie meines — (aber nicht deine erotiſche
Hyperphyſik) — und daher entziehe unſerer dreifachen Freundin keine
Zeile! Das Schauen in die ofnen Paradieſesthore des Elyſiums deiner
Phantaſie ſchlieſſet ihr milde bunte Welten auf — brich deinen ſchönen
Frühling nicht ſo ſchnel mit Nordwinden ab! Alſo, lieber Oertel, ſchreib20
ihr wie immer, durch Ottoiſche, Renat[ens] oder meine Adreſſe. Ach es
thut mir ſo wehe, dir mit einem unſchuldigen Widerſpruche eine ſo un-
nüze Wunde in dein mit frohem Blute gefültes Herz geriſſen zu haben.
Ach daß es ſich nicht in dieſer Minute ſchlieſſen kan, ſondern erſt nach 3
Tagen! — Schreibe ihr, Lieber! und vergieb mir, denn ich vergebe dir!25

Richter

Du wirſt noch einen Brief bekommen, lies dieſes Blat zulezt.

Nachſchrift den 6 Nov. um 5 Uhr als ich deinen lezten Brief bekam.

O du mein Geliebter, du demüthigſt mein Herz. Edler war kein Brief
geſchrieben als dein lezter; ſchönere und reuigere Thränen hab ich nie30
vergoſſen. Nim wieder meine Seele an deine, nicht meine liebende —
denn die hatteſt du ſchon — ſondern meine ſanftere. Ach ich möchte dich
jezt umarmen. O du Theuerer, ich habe dich geliebt, ich liebe dich, ich
werde dich lieben — Und du, ſei gegen mich wie ich gegen dich! — Lebe
wohl, Tugendhafter, Geliebter und Liebender!35

Richter
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[267/0282] ſichtigen. — Und ſo leicht reiſſeſt du deine Seele aus den Armen zweier Menſchen? Darf kein Freund dem andern vorwerfen, nicht einmal die unſchuldige und unwilkührliche Verwandlung der Freundſchaft in Liebe? Und nicht einmal das hat einer von uns gethan, weil keiner ſie glaubt; aber wenn nun? Wilſt du keine Meinung hören als deine? — 5 Deine harte Feſtigkeit und Ründung in dir ſelber ſtellet dich vor meinem moraliſchen Ich hoch und ich liebe ſogar deine — Erbitterung; aber wie hart wareſt du gegen uns beide! Ich ſchweige über mehrere Täu- ſchungen, weil ich dir verſprochen habe, dir nicht meine Meinung zu ſagen als wenn ſie deine iſt, welches ja nicht ſelten zutrift. 10 Ich und Otto ſind kühler — nämlich mit dem Kopfe — wie du und wir beide hatten eine Freude über das moraliſche Aufbrauſen in deinen Briefen; aber mich drükt die Reue, dir Schmerzen — und noch dazu vergebliche — gemacht zu haben. Mit der Scientia media hätt ich jenen Brief nicht geſchrieben. — — Alſo: ich ehre und liebe dein 15 Verhältnis zu A., das iſt wie meines — (aber nicht deine erotiſche Hyperphyſik) — und daher entziehe unſerer dreifachen Freundin keine Zeile! Das Schauen in die ofnen Paradieſesthore des Elyſiums deiner Phantaſie ſchlieſſet ihr milde bunte Welten auf — brich deinen ſchönen Frühling nicht ſo ſchnel mit Nordwinden ab! Alſo, lieber Oertel, ſchreib 20 ihr wie immer, durch Ottoiſche, Renat[ens] oder meine Adreſſe. Ach es thut mir ſo wehe, dir mit einem unſchuldigen Widerſpruche eine ſo un- nüze Wunde in dein mit frohem Blute gefültes Herz geriſſen zu haben. Ach daß es ſich nicht in dieſer Minute ſchlieſſen kan, ſondern erſt nach 3 Tagen! — Schreibe ihr, Lieber! und vergieb mir, denn ich vergebe dir! 25 [267]Richter Du wirſt noch einen Brief bekommen, lies dieſes Blat zulezt. Nachſchrift den 6 Nov. um 5 Uhr als ich deinen lezten Brief bekam. O du mein Geliebter, du demüthigſt mein Herz. Edler war kein Brief geſchrieben als dein lezter; ſchönere und reuigere Thränen hab ich nie 30 vergoſſen. Nim wieder meine Seele an deine, nicht meine liebende — denn die hatteſt du ſchon — ſondern meine ſanftere. Ach ich möchte dich jezt umarmen. O du Theuerer, ich habe dich geliebt, ich liebe dich, ich werde dich lieben — Und du, ſei gegen mich wie ich gegen dich! — Lebe wohl, Tugendhafter, Geliebter und Liebender! 35 Richter

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:02:06Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:02:06Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/282>, abgerufen am 03.05.2024.