Ich schmiere und eile. Du siehst deine Leipz[iger] in einer totalen [249]Sonnenfinsternis; aber, Lieber, die höchste Menschenliebe besteht nicht in der Freundschaft oder erotischen Liebe, noch in der Liebe fremder Vorzüge, sondern in der Liebe fremder Menschen. Wenn ich in deinem Falle bin, les' ich d. h. fühl' ich meine eigne Abhandlung in den5 "Blumenstüken" wieder durch und bin zugleich der Missionsprediger und der Neubekehrte. Sobald ich einmal eine Schilderung der Höfer mache: stehl' ich deine von den Leipzigern.
Der Pindus ist der Olymp des Menschen, der Baum des Erkent- nisses zeigt uns alle Arkadien und hängt selber vol Ananas -- darum10 beglücke dich durch Einen wissenschaftlich strengen Plan, exzerpiere, lese naturhistorische, physikalische etc. Werke und vermauere alle diese Steine zu Einer Peterskirche, welche du auch wählen mögest. Hast du in dir Genus: dan erst hast du auch in dir Duldung für Alles. --
Lebe wohl! Mein Herz ruht näher an deinem -- wir verlassen uns15 nie -- ach aber ich möchte dich nicht blos lieben sondern auch be- glücken -- und ich kan es so wenig! Lebe wohl!
Jean Paul
2 Okt. Gestern hört ich daß Amöne an dich geschrieben habe. -- Hier ist er; aber ich darf ihn erst in Leipzig lesen.20
422. An Renate Otto.
[Hof, Okt. 1796?]
Ich bitte Sie, Schwester, um die Bettina, die Sie wie ich weis, zu Ende gewandert sind. Nach dem Essen komm' ich so gewis als morgen ein schöner Tag und gewisser als heute Christoph.25
423. An Emanuel.
Hof. d. 3 Okt. 1796.
Die Ankunft der Bundeslade Renatens, Lieber, zeiget Ihnen die Nähe der meinigen an. Wenn die Wolken nicht mein Falgatter werden: so bin ich den 5ten oder 6ten Okt. an Ihrem Herzen. Sie haben die Güte,30 diese Handwerkslade zu H. Feldman zu schicken mit der Bitte um seine hintere Stube. -- Ihre Güte, mich zu logieren, nehm' ich auf mein Ehrenwort nicht an: erstlich bin ich durch meine Stube schon an eine geheizte gewöhnt -- zweitens warum sol ich meinen alten Grund-
Ich ſchmiere und eile. Du ſiehſt deine Leipz[iger] in einer totalen [249]Sonnenfinſternis; aber, Lieber, die höchſte Menſchenliebe beſteht nicht in der Freundſchaft oder erotiſchen Liebe, noch in der Liebe fremder Vorzüge, ſondern in der Liebe fremder Menſchen. Wenn ich in deinem Falle bin, leſ’ ich d. h. fühl’ ich meine eigne Abhandlung in den5 „Blumenstüken“ wieder durch und bin zugleich der Miſſionsprediger und der Neubekehrte. Sobald ich einmal eine Schilderung der Höfer mache: ſtehl’ ich deine von den Leipzigern.
Der Pindus iſt der Olymp des Menſchen, der Baum des Erkent- niſſes zeigt uns alle Arkadien und hängt ſelber vol Ananas — darum10 beglücke dich durch Einen wiſſenſchaftlich ſtrengen Plan, exzerpiere, leſe naturhiſtoriſche, phyſikaliſche ꝛc. Werke und vermauere alle dieſe Steine zu Einer Peterskirche, welche du auch wählen mögeſt. Haſt du in dir Genus: dan erſt haſt du auch in dir Duldung für Alles. —
Lebe wohl! Mein Herz ruht näher an deinem — wir verlaſſen uns15 nie — ach aber ich möchte dich nicht blos lieben ſondern auch be- glücken — und ich kan es ſo wenig! Lebe wohl!
Jean Paul
2 Okt. Geſtern hört ich daß Amöne an dich geſchrieben habe. — Hier iſt er; aber ich darf ihn erſt in Leipzig leſen.20
422. An Renate Otto.
[Hof, Okt. 1796?]
Ich bitte Sie, Schweſter, um die Bettina, die Sie wie ich weis, zu Ende gewandert ſind. Nach dem Eſſen komm’ ich ſo gewis als morgen ein ſchöner Tag und gewiſſer als heute Chriſtoph.25
423. An Emanuel.
Hof. d. 3 Okt. 1796.
Die Ankunft der Bundeslade Renatens, Lieber, zeiget Ihnen die Nähe der meinigen an. Wenn die Wolken nicht mein Falgatter werden: ſo bin ich den 5ten oder 6ten Okt. an Ihrem Herzen. Sie haben die Güte,30 dieſe Handwerkslade zu H. Feldman zu ſchicken mit der Bitte um ſeine hintere Stube. — Ihre Güte, mich zu logieren, nehm’ ich auf mein Ehrenwort nicht an: erſtlich bin ich durch meine Stube ſchon an eine geheizte gewöhnt — zweitens warum ſol ich meinen alten Grund-
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Ich ſchmiere und eile. Du ſiehſt deine Leipz[iger] in einer totalen
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in der Freundſchaft oder erotiſchen Liebe, noch in der Liebe fremder
Vorzüge, ſondern in der Liebe fremder Menſchen. Wenn ich in
deinem Falle bin, leſ’ ich d. h. fühl’ ich meine eigne Abhandlung in den 5
„Blumenstüken“ wieder durch und bin zugleich der Miſſionsprediger
und der Neubekehrte. Sobald ich einmal eine Schilderung der Höfer
mache: ſtehl’ ich deine von den Leipzigern.
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Der Pindus iſt der Olymp des Menſchen, der Baum des Erkent-
niſſes zeigt uns alle Arkadien und hängt ſelber vol Ananas — darum 10
beglücke dich durch Einen wiſſenſchaftlich ſtrengen Plan, exzerpiere,
leſe naturhiſtoriſche, phyſikaliſche ꝛc. Werke und vermauere alle dieſe
Steine zu Einer Peterskirche, welche du auch wählen mögeſt. Haſt du
in dir Genus: dan erſt haſt du auch in dir Duldung für Alles. —
Lebe wohl! Mein Herz ruht näher an deinem — wir verlaſſen uns 15
nie — ach aber ich möchte dich nicht blos lieben ſondern auch be-
glücken — und ich kan es ſo wenig! Lebe wohl!
Jean Paul
2 Okt. Geſtern hört ich daß Amöne an dich geſchrieben habe. —
Hier iſt er; aber ich darf ihn erſt in Leipzig leſen. 20
422. An Renate Otto.
[Hof, Okt. 1796?]
Ich bitte Sie, Schweſter, um die Bettina, die Sie wie ich weis, zu
Ende gewandert ſind. Nach dem Eſſen komm’ ich ſo gewis als morgen
ein ſchöner Tag und gewiſſer als heute Chriſtoph. 25
423. An Emanuel.
Hof. d. 3 Okt. 1796.
Die Ankunft der Bundeslade Renatens, Lieber, zeiget Ihnen die
Nähe der meinigen an. Wenn die Wolken nicht mein Falgatter werden:
ſo bin ich den 5ten oder 6ten Okt. an Ihrem Herzen. Sie haben die Güte, 30
dieſe Handwerkslade zu H. Feldman zu ſchicken mit der Bitte um ſeine
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/265>, abgerufen am 07.07.2024.
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