Den ersten Brief und den lezten schreib ich dir aus demselben Hotel. Seit vorgestern bin ich hier und gehe morgen nach Weimar zurük. Künftigen Sontag komm' ich in Schleiz (im Engel) an, etwa um 1, 2, 3 Uhr und da hoff ich dich, wenn du wilst und kanst, endlich5 wieder zu umfassen. -- Ich trat gestern vor den felsigten Schiller, an dem wie an einer Klippe alle Fremde zurükspringen; er erwartete mich aber nach einem Brief von Göthe. Seine Gestalt ist verworren, hart- kräftig, vol Eksteine, vol scharfer schneidender Kräfte, aber ohne Liebe. Er spricht beinahe so vortreflich als [er] schreibt. Er war un-10 gewöhnlich gefällig und sezte mich (durch seinen Antrag) auf der Stelle zu einem Kollaborator der Horen um -- und wolte mir eine Naturalisazionsakte in Jena einbereden. --
Die Ostheim, Oertel, eine Frau von Düngen und mehrere wir fuhren gestern mit nach Truisniz: um diesen Lustort und um ganz15 Jena lagert sich die Natur mit einer doppelten Welt aus Reizen, mit einem weiten Garten und mit hineingezogenen weiskahlen langen Bergen, die wie Gräber von Riesen dastehen.
Amöne gab mir durch ihr Schreiben die Freude, die mir dein Schweigen versagte. Dank ihr recht sehr dafür.20
Schreib ein Blätgen an meine Mutter, das ihr mein Wolsein -- nicht so wol als mein Seeligsein -- und meine Ankunft ansagt.
Lebe wol, mein Lieber. Wenn ich nur die 1/2 meiner hiesigen[216] Geschicht[e] so lange behielte, bis ich sie in dein Gedächtnis über- geschüttet hätte! -- Diese zwöchentliche Stelle in meiner Lebenslauf-25 bahn ist eine Bergstrasse, die eine neue Welt in mir anfängt. -- Voigt hier lies mir drei Ldor für den Bogen bieten. -- Noch einmal leb wol. Mein lieber herzlicher Duzbruder Oertel pakt dieses Jenaische Blat zum Weimarschen und überschreibt es: denn er geht heute, ich morgen.30
*344. An Karoline Herder in Weimar.
Weimar d. 28 Jun. 96 [Dienstag].
Ich bin gestern, theuerste Freundin -- warum wil ich Sie nicht so nennen, da ich mir Sie so denke? -- im Triumph unter einem lautern Donner und dichtern Regen als im Lear Sonabends gemacht35 wurde, in Weimar eingezogen durch den Triumphbogen eines grauen
Jena 1796 Sontags [26. Juni].
Den erſten Brief und den lezten ſchreib ich dir aus demſelben Hotel. Seit vorgeſtern bin ich hier und gehe morgen nach Weimar zurük. Künftigen Sontag komm’ ich in Schleiz (im Engel) an, etwa um 1, 2, 3 Uhr und da hoff ich dich, wenn du wilſt und kanſt, endlich5 wieder zu umfaſſen. — Ich trat geſtern vor den felſigten Schiller, an dem wie an einer Klippe alle Fremde zurükſpringen; er erwartete mich aber nach einem Brief von Göthe. Seine Geſtalt iſt verworren, hart- kräftig, vol Ekſteine, vol ſcharfer ſchneidender Kräfte, aber ohne Liebe. Er ſpricht beinahe ſo vortreflich als [er] ſchreibt. Er war un-10 gewöhnlich gefällig und ſezte mich (durch ſeinen Antrag) auf der Stelle zu einem Kollaborator der Horen um — und wolte mir eine Naturaliſazionsakte in Jena einbereden. —
Die Oſtheim, Oertel, eine Frau von Düngen und mehrere wir fuhren geſtern mit nach Truisniz: um dieſen Luſtort und um ganz15 Jena lagert ſich die Natur mit einer doppelten Welt aus Reizen, mit einem weiten Garten und mit hineingezogenen weiskahlen langen Bergen, die wie Gräber von Rieſen daſtehen.
Amöne gab mir durch ihr Schreiben die Freude, die mir dein Schweigen verſagte. Dank ihr recht ſehr dafür.20
Schreib ein Blätgen an meine Mutter, das ihr mein Wolſein — nicht ſo wol als mein Seeligſein — und meine Ankunft anſagt.
Lebe wol, mein Lieber. Wenn ich nur die ½ meiner hieſigen[216] Geſchicht[e] ſo lange behielte, bis ich ſie in dein Gedächtnis über- geſchüttet hätte! — Dieſe zwöchentliche Stelle in meiner Lebenslauf-25 bahn iſt eine Bergſtraſſe, die eine neue Welt in mir anfängt. — Voigt hier lies mir drei Ldor für den Bogen bieten. — Noch einmal leb wol. Mein lieber herzlicher Duzbruder Oertel pakt dieſes Jenaiſche Blat zum Weimarſchen und überſchreibt es: denn er geht heute, ich morgen.30
*344. An Karoline Herder in Weimar.
Weimar d. 28 Jun. 96 [Dienstag].
Ich bin geſtern, theuerſte Freundin — warum wil ich Sie nicht ſo nennen, da ich mir Sie ſo denke? — im Triumph unter einem lautern Donner und dichtern Regen als im Lear Sonabends gemacht35 wurde, in Weimar eingezogen durch den Triumphbogen eines grauen
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Jena 1796 Sontags [26. Juni].
Den erſten Brief und den lezten ſchreib ich dir aus demſelben
Hotel. Seit vorgeſtern bin ich hier und gehe morgen nach Weimar
zurük. Künftigen Sontag komm’ ich in Schleiz (im Engel) an, etwa
um 1, 2, 3 Uhr und da hoff ich dich, wenn du wilſt und kanſt, endlich 5
wieder zu umfaſſen. — Ich trat geſtern vor den felſigten Schiller, an
dem wie an einer Klippe alle Fremde zurükſpringen; er erwartete mich
aber nach einem Brief von Göthe. Seine Geſtalt iſt verworren, hart-
kräftig, vol Ekſteine, vol ſcharfer ſchneidender Kräfte, aber ohne
Liebe. Er ſpricht beinahe ſo vortreflich als [er] ſchreibt. Er war un- 10
gewöhnlich gefällig und ſezte mich (durch ſeinen Antrag) auf der
Stelle zu einem Kollaborator der Horen um — und wolte mir eine
Naturaliſazionsakte in Jena einbereden. —
Die Oſtheim, Oertel, eine Frau von Düngen und mehrere wir
fuhren geſtern mit nach Truisniz: um dieſen Luſtort und um ganz 15
Jena lagert ſich die Natur mit einer doppelten Welt aus Reizen, mit
einem weiten Garten und mit hineingezogenen weiskahlen langen
Bergen, die wie Gräber von Rieſen daſtehen.
Amöne gab mir durch ihr Schreiben die Freude, die mir dein
Schweigen verſagte. Dank ihr recht ſehr dafür. 20
Schreib ein Blätgen an meine Mutter, das ihr mein Wolſein —
nicht ſo wol als mein Seeligſein — und meine Ankunft anſagt.
Lebe wol, mein Lieber. Wenn ich nur die ½ meiner hieſigen
Geſchicht[e] ſo lange behielte, bis ich ſie in dein Gedächtnis über-
geſchüttet hätte! — Dieſe zwöchentliche Stelle in meiner Lebenslauf- 25
bahn iſt eine Bergſtraſſe, die eine neue Welt in mir anfängt. —
Voigt hier lies mir drei Ldor für den Bogen bieten. — Noch einmal
leb wol. Mein lieber herzlicher Duzbruder Oertel pakt dieſes Jenaiſche
Blat zum Weimarſchen und überſchreibt es: denn er geht heute, ich
morgen. 30
[216]
*344. An Karoline Herder in Weimar.
Weimar d. 28 Jun. 96 [Dienstag].
Ich bin geſtern, theuerſte Freundin — warum wil ich Sie nicht
ſo nennen, da ich mir Sie ſo denke? — im Triumph unter einem
lautern Donner und dichtern Regen als im Lear Sonabends gemacht 35
wurde, in Weimar eingezogen durch den Triumphbogen eines grauen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/231>, abgerufen am 16.02.2025.
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