einem Sektierer derselben oder ihrem Schismatiker geschrieben werden; daher können wir erst jezt eine Geschichte der christlichen Religion schreiben, sobald die leztere in einem gewissen Sin aufhört. Und da du kein Lutheraner leider bist: so schwebst du mit der ächten Unpartheilichkeit des Dichters über deinen Karakteren, die du ohne5 Rüksicht auf ihren Gehalt aus deinem Spiegel ungeändert wiedergiebst. Überal wo du einen Plutarchischen Pa[ra]llelismus ziehest, gelingt er dir. -- Deine wizigen Anspielungen auf Geschichte, die zugleich zu Beispielen werden, wie von Romulus, Achilles, Oedip etc. häufe so sehr als du kanst: sie laufen wie helle Blumenbeete durch die Aehren.10 (Blos stat des Alexander und seiner Generale wäre jede philosophische Schule besser). Es giebt allem Lebensfarbe, daß du dem Abstrakten und Transparentem [!] zuweilen körperliche sichtbare Sizstangen giebst, z. B. die Anmerkung über Wittenberg -- der Brief Erasmus -- der Misbrauch der biblischen Geschichte von den Israeliten. Ueberhaupt15 zitiere fast öfter; auch menge wo es geht, eine benante Zahl unter unbenante, Anekdoten unter Schlüsse, z. B. am Anfang der 3ten Lage, wo du die Schismen aus Luthers Tod, im Algemeinen be- zeichnest. -- Dein Styl ist bis auf seine Antithesen und Gleichnisse (inclus.) recht gut und du bist Herr über ihn: gleichwol würd' ich,20 wenn ichs wiederbekomme und es darf, manches abbrevieren, (z. B. das Verbrennen des kanonischen Rechts) -- und auch einige Dunkel- heiten und einige Schlüsse würd' ich anmerken. -- Arbeit also so kräftig fort und gieb mir bald ein grosses Stük -- und dieses dazu -- und erlöse mich von dem unaussprechlich peinlichen Gefühle, daß es25 niemand weis, was du bist und kanst als -- wiewol nicht einmal in fremden Fächern --
dein Freund.
327. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
[Kopie][Hof, 4. Juni 1796]
Ich wolte nicht eher als in Weimar eintunken, aber das Regen-30 wetter macht mir die Bienenflügel nas -- so veränderlich wie der Planet, der über 96 regiert. Wenn man sich von einer bunten Ebene zur andern trinken wil: so mus nichts am Himmel mehr stehen als die [201]grosse Sonne -- Weil meine Freuden Saat zu dik aufschiesset und darum nicht fortkömt. Ein guter Genius giebt mir dorthin den Spring-35 stab. Ich wil in der biog[raphischen] Papiermühle herumführen. Ich
einem Sektierer derſelben oder ihrem Schismatiker geſchrieben werden; daher können wir erſt jezt eine Geſchichte der chriſtlichen Religion ſchreiben, ſobald die leztere in einem gewiſſen Sin aufhört. Und da du kein Lutheraner leider biſt: ſo ſchwebſt du mit der ächten Unpartheilichkeit des Dichters über deinen Karakteren, die du ohne5 Rükſicht auf ihren Gehalt aus deinem Spiegel ungeändert wiedergiebſt. Überal wo du einen Plutarchiſchen Pa[ra]lleliſmus zieheſt, gelingt er dir. — Deine wizigen Anſpielungen auf Geſchichte, die zugleich zu Beiſpielen werden, wie von Romulus, Achilles, Oedip ꝛc. häufe ſo ſehr als du kanſt: ſie laufen wie helle Blumenbeete durch die Aehren.10 (Blos ſtat des Alexander und ſeiner Generale wäre jede philoſophiſche Schule beſſer). Es giebt allem Lebensfarbe, daß du dem Abſtrakten und Transparentem [!] zuweilen körperliche ſichtbare Sizſtangen giebſt, z. B. die Anmerkung über Wittenberg — der Brief Eraſmus — der Misbrauch der bibliſchen Geſchichte von den Iſraeliten. Ueberhaupt15 zitiere faſt öfter; auch menge wo es geht, eine benante Zahl unter unbenante, Anekdoten unter Schlüſſe, z. B. am Anfang der 3ten Lage, wo du die Schismen aus Luthers Tod, im Algemeinen be- zeichneſt. — Dein Styl iſt bis auf ſeine Antitheſen und Gleichniſſe (inclus.) recht gut und du biſt Herr über ihn: gleichwol würd’ ich,20 wenn ichs wiederbekomme und es darf, manches abbrevieren, (z. B. das Verbrennen des kanoniſchen Rechts) — und auch einige Dunkel- heiten und einige Schlüſſe würd’ ich anmerken. — Arbeit alſo ſo kräftig fort und gieb mir bald ein groſſes Stük — und dieſes dazu — und erlöſe mich von dem unausſprechlich peinlichen Gefühle, daß es25 niemand weis, was du biſt und kanſt als — wiewol nicht einmal in fremden Fächern —
dein Freund.
327. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
[Kopie][Hof, 4. Juni 1796]
Ich wolte nicht eher als in Weimar eintunken, aber das Regen-30 wetter macht mir die Bienenflügel nas — ſo veränderlich wie der Planet, der über 96 regiert. Wenn man ſich von einer bunten Ebene zur andern trinken wil: ſo mus nichts am Himmel mehr ſtehen als die [201]groſſe Sonne — Weil meine Freuden Saat zu dik aufſchieſſet und darum nicht fortkömt. Ein guter Genius giebt mir dorthin den Spring-35 ſtab. Ich wil in der biog[raphiſchen] Papiermühle herumführen. Ich
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Und da du kein Lutheraner leider biſt: ſo ſchwebſt du mit der ächten
Unpartheilichkeit des Dichters über deinen Karakteren, die du ohne 5
Rükſicht auf ihren Gehalt aus deinem Spiegel ungeändert wiedergiebſt.
Überal wo du einen Plutarchiſchen Pa[ra]lleliſmus zieheſt, gelingt er
dir. — Deine wizigen Anſpielungen auf Geſchichte, die zugleich zu
Beiſpielen werden, wie von Romulus, Achilles, Oedip ꝛc. häufe ſo
ſehr als du kanſt: ſie laufen wie helle Blumenbeete durch die Aehren. 10
(Blos ſtat des Alexander und ſeiner Generale wäre jede philoſophiſche
Schule beſſer). Es giebt allem Lebensfarbe, daß du dem Abſtrakten und
Transparentem [!] zuweilen körperliche ſichtbare Sizſtangen giebſt,
z. B. die Anmerkung über Wittenberg — der Brief Eraſmus — der
Misbrauch der bibliſchen Geſchichte von den Iſraeliten. Ueberhaupt 15
zitiere faſt öfter; auch menge wo es geht, eine benante Zahl unter
unbenante, Anekdoten unter Schlüſſe, z. B. am Anfang der 3ten
Lage, wo du die Schismen aus Luthers Tod, im Algemeinen be-
zeichneſt. — Dein Styl iſt bis auf ſeine Antitheſen und Gleichniſſe
(inclus.) recht gut und du biſt Herr über ihn: gleichwol würd’ ich, 20
wenn ichs wiederbekomme und es darf, manches abbrevieren, (z. B.
das Verbrennen des kanoniſchen Rechts) — und auch einige Dunkel-
heiten und einige Schlüſſe würd’ ich anmerken. — Arbeit alſo ſo
kräftig fort und gieb mir bald ein groſſes Stük — und dieſes dazu —
und erlöſe mich von dem unausſprechlich peinlichen Gefühle, daß es 25
niemand weis, was du biſt und kanſt als — wiewol nicht einmal in
fremden Fächern —
dein Freund.
327. An Friedrich von Oertel in Leipzig.
[Hof, 4. Juni 1796]
Ich wolte nicht eher als in Weimar eintunken, aber das Regen- 30
wetter macht mir die Bienenflügel nas — ſo veränderlich wie der
Planet, der über 96 regiert. Wenn man ſich von einer bunten Ebene
zur andern trinken wil: ſo mus nichts am Himmel mehr ſtehen als die
groſſe Sonne — Weil meine Freuden Saat zu dik aufſchieſſet und
darum nicht fortkömt. Ein guter Genius giebt mir dorthin den Spring- 35
ſtab. Ich wil in der biog[raphiſchen] Papiermühle herumführen. Ich
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/215>, abgerufen am 21.11.2024.
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