Dieses Volumen hoff ich, wenn ich [wieder] durch die Höfer Stuben- thüre trete, [auf] dem Tische zu erblicken, wo sie es hinlegen sollen. Hinten hab' ich [einen] alten Aufsaz beigelegt, aus dessen [Senf]korn5 dieser Berg entstand. Du hast noch eine Samlung solcher Senfkörner (die Betlers Rede ist darin). -- Morgen wird sich das Wetter ent- scheiden, und Sonabends entschieden sein; also an diesem könten wir etwan gehen. Ich habe schon einen Menschen. Der Weg geht über Schleiz, Neustadt, Kahle, Jena und ist kürzer als ich dachte, 21/2 Tag.10 -- Ich werde nichts von deinen verheissenen Bogen ansichtig; und ich könte sie heute und morgen recht bequem, ohne gestörten Genus langsam hineinschlürfen: schicke mir nur was.
R.
N. S. Oder gehen wir noch gescheuter morgen nachmittags, damit15 wir 1 Nacht beisammen blieben.
326. An Christian Otto.
Hof d. 2 Juny 1796.
Ich gebe dirs heute nach doppeltem Lesen zurük, weil ich dich mitten aus dem Schreiben ris. Du must mir überhaupt einmal diese Blätter20 entweder mit ihrem Baum oder doch mit ihrem Zweige wiedergeben, wenn ich etwas anders als es blos loben sol. Es hört gerade beim 1 Akte und wie ein Roman mit dem scheinbaren Tode des Helden auf. Da du den rohen Stof der Geschichte fallen lässest und nach dieser Dephlegmazion nur den Geist extrahierest: so wird die historische25 Sukzession Kausalkette in deiner Hand eine psychologische, und du hältst also den Freund der leztern (mich) und auch den Freund der erstern gefangen, der deine abstrakten Gemälde für Resultate indivi- dueller Züge leichter erkent als ein Unwissender wie ich, wiewol du oft feine Anmerkungen machst, die sich nur aufs Errathen der30 Menschennatur gründen können, auf keine fremden Gaben. Am meisten gefiel mir die Vergleichung zwischen Luther und Loyola, und des erstern Tod. (Wenn ichs wieder bekomme, wil ich überhaupt erst anzeichnen) Jene Vergleichung und das jesuitische Aktenstük und deine Unpartheilichkeit sezen den Leser in die Lage, die du anfangs für so[200]35 schwer zu erhalten ausgiebst. Die Geschichte keiner Sekte kan von
325. An Chriſtian Otto.[199]
[Hof, 2. Juni 1796. Donnerstag]
Dieſes Volumen hoff ich, wenn ich [wieder] durch die Höfer Stuben- thüre trete, [auf] dem Tiſche zu erblicken, wo ſie es hinlegen ſollen. Hinten hab’ ich [einen] alten Aufſaz beigelegt, aus deſſen [Senf]korn5 dieſer Berg entſtand. Du haſt noch eine Samlung ſolcher Senfkörner (die Betlers Rede iſt darin). — Morgen wird ſich das Wetter ent- ſcheiden, und Sonabends entſchieden ſein; alſo an dieſem könten wir etwan gehen. Ich habe ſchon einen Menſchen. Der Weg geht über Schleiz, Neuſtadt, Kahle, Jena und iſt kürzer als ich dachte, 2½ Tag.10 — Ich werde nichts von deinen verheiſſenen Bogen anſichtig; und ich könte ſie heute und morgen recht bequem, ohne geſtörten Genus langſam hineinſchlürfen: ſchicke mir nur was.
R.
N. S. Oder gehen wir noch geſcheuter morgen nachmittags, damit15 wir 1 Nacht beiſammen blieben.
326. An Chriſtian Otto.
Hof d. 2 Juny 1796.
Ich gebe dirs heute nach doppeltem Leſen zurük, weil ich dich mitten aus dem Schreiben ris. Du muſt mir überhaupt einmal dieſe Blätter20 entweder mit ihrem Baum oder doch mit ihrem Zweige wiedergeben, wenn ich etwas anders als es blos loben ſol. Es hört gerade beim 1 Akte und wie ein Roman mit dem ſcheinbaren Tode des Helden auf. Da du den rohen Stof der Geſchichte fallen läſſeſt und nach dieſer Dephlegmazion nur den Geiſt extrahiereſt: ſo wird die hiſtoriſche25 Sukzeſſion 〈Kauſalkette〉 in deiner Hand eine pſychologiſche, und du hältſt alſo den Freund der leztern (mich) und auch den Freund der erſtern gefangen, der deine abſtrakten Gemälde für Reſultate indivi- dueller Züge leichter erkent als ein Unwiſſender wie ich, wiewol du oft feine Anmerkungen machſt, die ſich nur aufs Errathen der30 Menſchennatur gründen können, auf keine fremden Gaben. Am meiſten gefiel mir die Vergleichung zwiſchen Luther und Loyola, und des erſtern Tod. (Wenn ichs wieder bekomme, wil ich überhaupt erſt anzeichnen) Jene Vergleichung und das jeſuitiſche Aktenſtük und deine Unpartheilichkeit ſezen den Leſer in die Lage, die du anfangs für ſo[200]35 ſchwer zu erhalten ausgiebſt. Die Geſchichte keiner Sekte kan von
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[Hof, 2. Juni 1796. Donnerstag]
Dieſes Volumen hoff ich, wenn ich [wieder] durch die Höfer Stuben-
thüre trete, [auf] dem Tiſche zu erblicken, wo ſie es hinlegen ſollen.
Hinten hab’ ich [einen] alten Aufſaz beigelegt, aus deſſen [Senf]korn 5
dieſer Berg entſtand. Du haſt noch eine Samlung ſolcher Senfkörner
(die Betlers Rede iſt darin). — Morgen wird ſich das Wetter ent-
ſcheiden, und Sonabends entſchieden ſein; alſo an dieſem könten wir
etwan gehen. Ich habe ſchon einen Menſchen. Der Weg geht über
Schleiz, Neuſtadt, Kahle, Jena und iſt kürzer als ich dachte, 2½ Tag. 10
— Ich werde nichts von deinen verheiſſenen Bogen anſichtig; und
ich könte ſie heute und morgen recht bequem, ohne geſtörten Genus
langſam hineinſchlürfen: ſchicke mir nur was.
R.
N. S. Oder gehen wir noch geſcheuter morgen nachmittags, damit 15
wir 1 Nacht beiſammen blieben.
326. An Chriſtian Otto.
Hof d. 2 Juny 1796.
Ich gebe dirs heute nach doppeltem Leſen zurük, weil ich dich mitten
aus dem Schreiben ris. Du muſt mir überhaupt einmal dieſe Blätter 20
entweder mit ihrem Baum oder doch mit ihrem Zweige wiedergeben,
wenn ich etwas anders als es blos loben ſol. Es hört gerade beim
1 Akte und wie ein Roman mit dem ſcheinbaren Tode des Helden auf.
Da du den rohen Stof der Geſchichte fallen läſſeſt und nach dieſer
Dephlegmazion nur den Geiſt extrahiereſt: ſo wird die hiſtoriſche 25
Sukzeſſion 〈Kauſalkette〉 in deiner Hand eine pſychologiſche, und du
hältſt alſo den Freund der leztern (mich) und auch den Freund der
erſtern gefangen, der deine abſtrakten Gemälde für Reſultate indivi-
dueller Züge leichter erkent als ein Unwiſſender wie ich, wiewol du
oft feine Anmerkungen machſt, die ſich nur aufs Errathen der 30
Menſchennatur gründen können, auf keine fremden Gaben. Am
meiſten gefiel mir die Vergleichung zwiſchen Luther und Loyola, und
des erſtern Tod. (Wenn ichs wieder bekomme, wil ich überhaupt erſt
anzeichnen) Jene Vergleichung und das jeſuitiſche Aktenſtük und deine
Unpartheilichkeit ſezen den Leſer in die Lage, die du anfangs für ſo 35
ſchwer zu erhalten ausgiebſt. Die Geſchichte keiner Sekte kan von
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/214>, abgerufen am 16.02.2025.
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