werden zugleich mit den Nächten kürzer, und das Schweigen mit den Tagen länger. Meinen Herzensgrus an unsern Schaefer!
N. S. Seinen Brief bekam ich nach dem Schlusse des gegen- wärtigen.
Der Mai wird mich nach Leipzig und Weimar in freundschaftliche5 Arme führen. Fränklin räth, man sol jede Nacht die Betten zum bessern Schlafen wechseln. Warlich man solte -- Menschen aus- genommen -- alles wechseln (nicht abdanken), Städte wie Hemden -- Stuben -- Gegenden. Man solte in 2 Städten wohnen und von einer in die andere ziehen. Ich bin gewis, der lange Tag10 [169]unsers Lebens würde uns durch sein ewiges Idem ermüden und ekeln, wenn nicht die sanfte Natur zwischen jede 12te Stunde den Schlaf als Folie des Wachens eingeschoben hätte. Ich kan mir daher nach der ganzen menschlichen Natur keinen immerwährenden Zustand in der andern Welt vorstellen: auch dort mus es Wechsel, d. h.15 Steigen, d. h. Sterben geben. --
Eben verlangt mich der Profess. Becker in Dresden zum Mit- arbeiter an einer 1/4 Jahrsschrift, den Bogen zu 8 sächs. rtl. --
Leben Sie wol, mein Guter, vergessen Sie nicht Ihren innigen blos für Sie unveränderlichen20
Freund Richter.
277. An Professor W. G. Becker in Dresden.
Hof im Voigtland d. 2 Apr. 1796.
Wohlgeborner,25 Hochzuverehrender Herr Professor,
Ich danke Ihnen als dem Ordensmeister, daß Sie mich in Ihre Propagande der Freude aufnehmen, deren Mangel durch die Kultur so zunimt wie der an Holz; unsre jezigen Menschen lassen überal wie Phalänen und Geier die Flügel hängen. -- In einigen Wochen kan30 ich, hoff' ich, in Ihr Concert spirituel mit einem Mspte. treten. -- Übrigens bin ich überal Ihrer Meinung.
Meine Addresse, die Sie verlangen, ist: Ew. Wohlgeboren
ergebenster Diener Jean Paul Fried. Richter35
werden zugleich mit den Nächten kürzer, und das Schweigen mit den Tagen länger. Meinen Herzensgrus an unſern Schaefer!
N. S. Seinen Brief bekam ich nach dem Schluſſe des gegen- wärtigen.
Der Mai wird mich nach Leipzig und Weimar in freundſchaftliche5 Arme führen. Fränklin räth, man ſol jede Nacht die Betten zum beſſern Schlafen wechſeln. Warlich man ſolte — Menſchen aus- genommen — alles wechſeln (nicht abdanken), Städte wie Hemden — Stuben — Gegenden. Man ſolte in 2 Städten wohnen und von einer in die andere ziehen. Ich bin gewis, der lange Tag10 [169]unſers Lebens würde uns durch ſein ewiges Idem ermüden und ekeln, wenn nicht die ſanfte Natur zwiſchen jede 12te Stunde den Schlaf als Folie des Wachens eingeſchoben hätte. Ich kan mir daher nach der ganzen menſchlichen Natur keinen immerwährenden Zuſtand in der andern Welt vorſtellen: auch dort mus es Wechſel, d. h.15 Steigen, d. h. Sterben geben. —
Eben verlangt mich der Profeſſ. Becker in Dresden zum Mit- arbeiter an einer ¼ Jahrsſchrift, den Bogen zu 8 ſächſ. rtl. —
Leben Sie wol, mein Guter, vergeſſen Sie nicht Ihren innigen blos für Sie unveränderlichen20
Freund Richter.
277. An Profeſſor W. G. Becker in Dresden.
Hof im Voigtland d. 2 Apr. 1796.
Wohlgeborner,25 Hochzuverehrender Herr Profeſſor,
Ich danke Ihnen als dem Ordensmeiſter, daß Sie mich in Ihre Propagande der Freude aufnehmen, deren Mangel durch die Kultur ſo zunimt wie der an Holz; unſre jezigen Menſchen laſſen überal wie Phalänen und Geier die Flügel hängen. — In einigen Wochen kan30 ich, hoff’ ich, in Ihr Concert spirituel mit einem Mſpte. treten. — Übrigens bin ich überal Ihrer Meinung.
Meine Addreſſe, die Sie verlangen, iſt: Ew. Wohlgeboren
ergebenſter Diener Jean Paul Fried. Richter35
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werden zugleich mit den Nächten kürzer, und das Schweigen mit den
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N. S. Seinen Brief bekam ich nach dem Schluſſe des gegen-
wärtigen.
Der Mai wird mich nach Leipzig und Weimar in freundſchaftliche 5
Arme führen. Fränklin räth, man ſol jede Nacht die Betten zum
beſſern Schlafen wechſeln. Warlich man ſolte — Menſchen aus-
genommen — alles wechſeln (nicht abdanken), Städte wie
Hemden — Stuben — Gegenden. Man ſolte in 2 Städten wohnen
und von einer in die andere ziehen. Ich bin gewis, der lange Tag 10
unſers Lebens würde uns durch ſein ewiges Idem ermüden und
ekeln, wenn nicht die ſanfte Natur zwiſchen jede 12te Stunde den
Schlaf als Folie des Wachens eingeſchoben hätte. Ich kan mir daher
nach der ganzen menſchlichen Natur keinen immerwährenden Zuſtand
in der andern Welt vorſtellen: auch dort mus es Wechſel, d. h. 15
Steigen, d. h. Sterben geben. —
[169]
Eben verlangt mich der Profeſſ. Becker in Dresden zum Mit-
arbeiter an einer ¼ Jahrsſchrift, den Bogen zu 8 ſächſ. rtl. —
Leben Sie wol, mein Guter, vergeſſen Sie nicht Ihren innigen
blos für Sie unveränderlichen 20
Freund
Richter.
277. An Profeſſor W. G. Becker in Dresden.
Hof im Voigtland d. 2 Apr. 1796.
Wohlgeborner, 25
Hochzuverehrender Herr Profeſſor,
Ich danke Ihnen als dem Ordensmeiſter, daß Sie mich in Ihre
Propagande der Freude aufnehmen, deren Mangel durch die Kultur ſo
zunimt wie der an Holz; unſre jezigen Menſchen laſſen überal wie
Phalänen und Geier die Flügel hängen. — In einigen Wochen kan 30
ich, hoff’ ich, in Ihr Concert spirituel mit einem Mſpte. treten. —
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/185>, abgerufen am 16.02.2025.
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