-- dan bekommen Sie einen Brief. Zwei andere aber gedrukte, zum Nachhall eines Jahres gemachte Briefe könten Sie wenn Sie wolten im 2ten Theil meiner Mumien von 135 bis 148 und von 447 etc. lesen. -- -- Und doch werd' ich jezt weich, indem mir ist als hört' ich die Abend- und Todtenglocken eines eingesunknen Menschenjahrs sanfte5 Töne in Ihre Seele senken, Töne wie aus der Ewigkeit -- und ich sage, indem ich Ihr Jahr heute mit der Abendröthe seines lezten Tages in sein Grab einsteigen sehe: "Sinke nur unter, du langes Jahr, "mit allen den Thränen, die du Ihr aus dem Herzen gedrükt, und lege "dich auf dein Todtenkissen vol Freudenblumen, die du Ihr ertreten10 "hast -- aber doch habe Dank für alles was du Ihr gabest und was "schöner war als was du Ihr nahmest -- habe Dank für das weichere "Herz, das du dem Busen vol Seufzer gegeben, für jede Thräne, die "Sie besser gemacht, für jede Tugend, die du Ihr abgefodert und für "jeden Abend, wo das Versinken der Sonne Sie an Ihres und das15 "Emporsteigen des Mondes Sie an unseres in der zweiten Welt "erinnerte -- und so ruhe wol, langes Jahr, bis irgend ein grosser "Genius dich aufreisset und sagt: steh auf und sag' an vor Gott Ihre Fehler und Ihre Tugenden" -- --
O meine Freundin, es wird gewis aufstehen, so wie meines, das sich20 auch in diesem Monat nicht weit von Ihrem niederlegt -- ach wenn der Mensch die Hofnung nicht hätte, morgen noch besser zu werden, er wäre trostlos; und doch kan der nächste stockende Pulsschlag diesen Morgen ermorden --
"Neues Jahr meiner geliebten Freundin! -- sag' ich auf Morgen[I, 435]25 "jezt in dieser schönen Stunde der Erweichung -- nim Ihrem Herzen "die Seufzer, Ihrem Auge die Thränen, Freudenthränen aus- "genommen -- mach' Ihre Entschlüsse fester, Ihre Seele stiller, Ihr "Leben gleicher -- vernichte den Unterschied zwischen der Einsamkeit "und der Geselschaft als wenn man nicht gerade in dieser das aus-30 "führen müste, was man sich in jener vorgenommen und als wenn "die Gedanken der Einsamkeit nicht grösser, schöner, wichtiger, ewiger "wären als die Gedanken der Geselschaft -- die schönsten Gefühle sind "nur Blüten, schöne Thaten sind erst die Früchte dieser Blüten; und "die heissesten Thränen sind nur der warme Abendregen auf die35 "Tugenden, aber nicht die Tugenden selber -- beglücke, erhebe, prüfe, "beschenke, und erhalte Sie, Neues Jahr!"
— dan bekommen Sie einen Brief. Zwei andere aber gedrukte, zum Nachhall eines Jahres gemachte Briefe könten Sie wenn Sie wolten im 2ten Theil meiner Mumien von 135 bis 148 und von 447 ꝛc. leſen. — — Und doch werd’ ich jezt weich, indem mir iſt als hört’ ich die Abend- und Todtenglocken eines eingeſunknen Menſchenjahrs ſanfte5 Töne in Ihre Seele ſenken, Töne wie aus der Ewigkeit — und ich ſage, indem ich Ihr Jahr heute mit der Abendröthe ſeines lezten Tages in ſein Grab einſteigen ſehe: „Sinke nur unter, du langes Jahr, „mit allen den Thränen, die du Ihr aus dem Herzen gedrükt, und lege „dich auf dein Todtenkiſſen vol Freudenblumen, die du Ihr ertreten10 „haſt — aber doch habe Dank für alles was du Ihr gabeſt und was „ſchöner war als was du Ihr nahmeſt — habe Dank für das weichere „Herz, das du dem Buſen vol Seufzer gegeben, für jede Thräne, die „Sie beſſer gemacht, für jede Tugend, die du Ihr abgefodert und für „jeden Abend, wo das Verſinken der Sonne Sie an Ihres und das15 „Emporſteigen des Mondes Sie an unſeres in der zweiten Welt „erinnerte — und ſo ruhe wol, langes Jahr, bis irgend ein groſſer „Genius dich aufreiſſet und ſagt: ſteh auf und ſag’ an vor Gott Ihre Fehler und Ihre Tugenden“ — —
O meine Freundin, es wird gewis aufſtehen, ſo wie meines, das ſich20 auch in dieſem Monat nicht weit von Ihrem niederlegt — ach wenn der Menſch die Hofnung nicht hätte, morgen noch beſſer zu werden, er wäre troſtlos; und doch kan der nächſte ſtockende Pulsſchlag dieſen Morgen ermorden —
„Neues Jahr meiner geliebten Freundin! — ſag’ ich auf Morgen[I, 435]25 „jezt in dieſer ſchönen Stunde der Erweichung — nim Ihrem Herzen „die Seufzer, Ihrem Auge die Thränen, Freudenthränen aus- „genommen — mach’ Ihre Entſchlüſſe feſter, Ihre Seele ſtiller, Ihr „Leben gleicher — vernichte den Unterſchied zwiſchen der Einſamkeit „und der Geſelſchaft als wenn man nicht gerade in dieſer das aus-30 „führen müſte, was man ſich in jener vorgenommen und als wenn „die Gedanken der Einſamkeit nicht gröſſer, ſchöner, wichtiger, ewiger „wären als die Gedanken der Geſelſchaft — die ſchönſten Gefühle ſind „nur Blüten, ſchöne Thaten ſind erſt die Früchte dieſer Blüten; und „die heiſſeſten Thränen ſind nur der warme Abendregen auf die35 „Tugenden, aber nicht die Tugenden ſelber — beglücke, erhebe, prüfe, „beſchenke, und erhalte Sie, Neues Jahr!“
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Töne in Ihre Seele ſenken, Töne wie aus der Ewigkeit — und ich
ſage, indem ich Ihr Jahr heute mit der Abendröthe ſeines lezten
Tages in ſein Grab einſteigen ſehe: „Sinke nur unter, du langes Jahr,
„mit allen den Thränen, die du Ihr aus dem Herzen gedrükt, und lege
„dich auf dein Todtenkiſſen vol Freudenblumen, die du Ihr ertreten 10
„haſt — aber doch habe Dank für alles was du Ihr gabeſt und was
„ſchöner war als was du Ihr nahmeſt — habe Dank für das weichere
„Herz, das du dem Buſen vol Seufzer gegeben, für jede Thräne, die
„Sie beſſer gemacht, für jede Tugend, die du Ihr abgefodert und für
„jeden Abend, wo das Verſinken der Sonne Sie an Ihres und das 15
„Emporſteigen des Mondes Sie an unſeres in der zweiten Welt
„erinnerte — und ſo ruhe wol, langes Jahr, bis irgend ein groſſer
„Genius dich aufreiſſet und ſagt: ſteh auf und ſag’ an vor Gott Ihre
Fehler und Ihre Tugenden“ — —
O meine Freundin, es wird gewis aufſtehen, ſo wie meines, das ſich 20
auch in dieſem Monat nicht weit von Ihrem niederlegt — ach wenn
der Menſch die Hofnung nicht hätte, morgen noch beſſer zu werden, er
wäre troſtlos; und doch kan der nächſte ſtockende Pulsſchlag dieſen
Morgen ermorden —
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„jezt in dieſer ſchönen Stunde der Erweichung — nim Ihrem Herzen
„die Seufzer, Ihrem Auge die Thränen, Freudenthränen aus-
„genommen — mach’ Ihre Entſchlüſſe feſter, Ihre Seele ſtiller, Ihr
„Leben gleicher — vernichte den Unterſchied zwiſchen der Einſamkeit
„und der Geſelſchaft als wenn man nicht gerade in dieſer das aus- 30
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„die Gedanken der Einſamkeit nicht gröſſer, ſchöner, wichtiger, ewiger
„wären als die Gedanken der Geſelſchaft — die ſchönſten Gefühle ſind
„nur Blüten, ſchöne Thaten ſind erſt die Früchte dieſer Blüten; und
„die heiſſeſten Thränen ſind nur der warme Abendregen auf die 35
„Tugenden, aber nicht die Tugenden ſelber — beglücke, erhebe, prüfe,
„beſchenke, und erhalte Sie, Neues Jahr!“
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/14>, abgerufen am 24.11.2024.
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