mit ich bisher an Sie dachte und oben die Anrede schrieb, annehmen, ich hätte Sie beleidigt -- so lieb ich Sie, -- durch mein Schweigen; aber H. Ellrodt (und einmal ich noch mehr) wird mir in Ihnen einen billigern Richter verschaffen als Sie -- selber haben.
Ich werfe Ihnen dieses Blat nur zu, wie ein Paar Worte aus dem5 Fenster: ich hoffe nunmehr sollen Sie mit dem langen Tische, worauf ich dieses schreibe, bald näher kommunizieren als durch Papier. Ich schreibe jezt verwirt; denn ich size schon in der Pomade, im Puder und in der Eierschale fürs heutige Konzert am Tische wie bei Ihrem Volke der Bibelkopist (wenigstens beim götlichen Namen) den Prunk-10 rok umhaben mus.
Das Gesicht unserer Renate ist Ihr Silhouettenbret: an ihrem schattet sich Ihres ab. Ich liebe sie oft sehr, und vernachlässige sie oft noch mehr: es ist leichter, gegen einen Freund als eine Freundin be- ständig zu sein. Ich habe mir neulich, da gerade das Schiksal ein armes15 Dorf auf den Scheiterhaufen des Feuers warf und da mich bei grossen Unglüksfällen nicht das Individuum, das sich immer durch Schmerz entehrt, sondern die ganze um uns blutende Menschheit innigst bewegt und -- doch erhebt, da hab ich mir eine ....
d. 8 Okt.20
eine Verblendung von den Augen genommen, in der ich bisher so handelte als ob man die Menschen blos ihrer Tugenden etc. wegen [110]lieben müste, da doch diese nur die Bedingung der Freundschaft, nicht der Menschenliebe sein können.... Ich habe nur den Perioden gar hinausschreiben wollen: ich wil Ihnen in einigen Wochen lieber einen25 Aufsaz darüber, eh er in die Druckerei gefahren wird, zum Prüfen schicken. -- Sie haben mir noch kein Wort über den Sterbetag Emanuels und über den ganzen Hesperus gesagt.
Da das Schiksal mir die Thüre Ihres Paradieses vor der Nase zu- geworfen hat und mich auf einen Monat nicht eintreten lässet: so wil30 ich im künftigen Frühlinge ein ganzes Vierteljahr draussen verleben und verträumen in der blühenden Glorie der neugebornen Erde. Sie haben also einen ganzen Winter lang die Plage und die Zeit, mein Regimentsquartiermeister zu sein. So geniesset man immer in der Gegenwart nur die Hofnungen und die Plane der Zukunft: bei mir35 gehts schon von Michaelis an und dauert bis zur 2ten Tag und Nacht- gleiche, daß ich auf dem Zimmerplaze der Luftschlösser für den Früh-
mit ich bisher an Sie dachte und oben die Anrede ſchrieb, annehmen, ich hätte Sie beleidigt — ſo lieb ich Sie, — durch mein Schweigen; aber H. Ellrodt (und einmal ich noch mehr) wird mir in Ihnen einen billigern Richter verſchaffen als Sie — ſelber haben.
Ich werfe Ihnen dieſes Blat nur zu, wie ein Paar Worte aus dem5 Fenſter: ich hoffe nunmehr ſollen Sie mit dem langen Tiſche, worauf ich dieſes ſchreibe, bald näher kommunizieren als durch Papier. Ich ſchreibe jezt verwirt; denn ich ſize ſchon in der Pomade, im Puder und in der Eierſchale fürs heutige Konzert am Tiſche wie bei Ihrem Volke der Bibelkopiſt (wenigſtens beim götlichen Namen) den Prunk-10 rok umhaben mus.
Das Geſicht unſerer Renate iſt Ihr Silhouettenbret: an ihrem ſchattet ſich Ihres ab. Ich liebe ſie oft ſehr, und vernachläſſige ſie oft noch mehr: es iſt leichter, gegen einen Freund als eine Freundin be- ſtändig zu ſein. Ich habe mir neulich, da gerade das Schikſal ein armes15 Dorf auf den Scheiterhaufen des Feuers warf und da mich bei groſſen Unglüksfällen nicht das Individuum, das ſich immer durch Schmerz entehrt, ſondern die ganze um uns blutende Menſchheit innigſt bewegt und — doch erhebt, da hab ich mir eine ....
d. 8 Okt.20
eine Verblendung von den Augen genommen, in der ich bisher ſo handelte als ob man die Menſchen blos ihrer Tugenden ꝛc. wegen [110]lieben müſte, da doch dieſe nur die Bedingung der Freundſchaft, nicht der Menſchenliebe ſein können.... Ich habe nur den Perioden gar hinausſchreiben wollen: ich wil Ihnen in einigen Wochen lieber einen25 Aufſaz darüber, eh er in die Druckerei gefahren wird, zum Prüfen ſchicken. — Sie haben mir noch kein Wort über den Sterbetag Emanuels und über den ganzen Hesperus geſagt.
Da das Schikſal mir die Thüre Ihres Paradieſes vor der Naſe zu- geworfen hat und mich auf einen Monat nicht eintreten läſſet: ſo wil30 ich im künftigen Frühlinge ein ganzes Vierteljahr drauſſen verleben und verträumen in der blühenden Glorie der neugebornen Erde. Sie haben alſo einen ganzen Winter lang die Plage und die Zeit, mein Regimentsquartiermeiſter zu ſein. So genieſſet man immer in der Gegenwart nur die Hofnungen und die Plane der Zukunft: bei mir35 gehts ſchon von Michaelis an und dauert bis zur 2ten Tag und Nacht- gleiche, daß ich auf dem Zimmerplaze der Luftſchlöſſer für den Früh-
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mit ich bisher an Sie dachte und oben die Anrede ſchrieb, annehmen, ich
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H. Ellrodt (und einmal ich noch mehr) wird mir in Ihnen einen billigern
Richter verſchaffen als Sie — ſelber haben.
Ich werfe Ihnen dieſes Blat nur zu, wie ein Paar Worte aus dem 5
Fenſter: ich hoffe nunmehr ſollen Sie mit dem langen Tiſche, worauf
ich dieſes ſchreibe, bald näher kommunizieren als durch Papier. Ich
ſchreibe jezt verwirt; denn ich ſize ſchon in der Pomade, im Puder
und in der Eierſchale fürs heutige Konzert am Tiſche wie bei Ihrem
Volke der Bibelkopiſt (wenigſtens beim götlichen Namen) den Prunk- 10
rok umhaben mus.
Das Geſicht unſerer Renate iſt Ihr Silhouettenbret: an ihrem
ſchattet ſich Ihres ab. Ich liebe ſie oft ſehr, und vernachläſſige ſie oft
noch mehr: es iſt leichter, gegen einen Freund als eine Freundin be-
ſtändig zu ſein. Ich habe mir neulich, da gerade das Schikſal ein armes 15
Dorf auf den Scheiterhaufen des Feuers warf und da mich bei groſſen
Unglüksfällen nicht das Individuum, das ſich immer durch Schmerz
entehrt, ſondern die ganze um uns blutende Menſchheit innigſt bewegt
und — doch erhebt, da hab ich mir eine ....
d. 8 Okt. 20
eine Verblendung von den Augen genommen, in der ich bisher ſo
handelte als ob man die Menſchen blos ihrer Tugenden ꝛc. wegen
lieben müſte, da doch dieſe nur die Bedingung der Freundſchaft, nicht
der Menſchenliebe ſein können.... Ich habe nur den Perioden gar
hinausſchreiben wollen: ich wil Ihnen in einigen Wochen lieber einen 25
Aufſaz darüber, eh er in die Druckerei gefahren wird, zum Prüfen
ſchicken. — Sie haben mir noch kein Wort über den Sterbetag
Emanuels und über den ganzen Hesperus geſagt.
[110]
Da das Schikſal mir die Thüre Ihres Paradieſes vor der Naſe zu-
geworfen hat und mich auf einen Monat nicht eintreten läſſet: ſo wil 30
ich im künftigen Frühlinge ein ganzes Vierteljahr drauſſen verleben
und verträumen in der blühenden Glorie der neugebornen Erde. Sie
haben alſo einen ganzen Winter lang die Plage und die Zeit, mein
Regimentsquartiermeiſter zu ſein. So genieſſet man immer in der
Gegenwart nur die Hofnungen und die Plane der Zukunft: bei mir 35
gehts ſchon von Michaelis an und dauert bis zur 2ten Tag und Nacht-
gleiche, daß ich auf dem Zimmerplaze der Luftſchlöſſer für den Früh-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/125>, abgerufen am 22.11.2024.
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