[Der] Meisenkasten des Sargs fängt mich -- Die freundschaftliche Hansee -- Die Gedankenstriche sind Pferdestände -- Der litterarischen Themis wünschte man die Binde stat um die Augen, um den Hals -- ich5 sah da ihr liebendes Herz offen, das Pfeilen des Schiksals mehr blos- steht. -- Blätterskelet der Blumenstücke -- Brief-Gosse (Rand) -- Es ist verdienstlicher einem steigenden Jüngling als einem fallenden sinkenden Greise die Hand zu bieten und man wärmt dadurch eine ganze Generazion.10
*168. An J. Chr. K. Moritz in Berlin.
Hof d. 17 Sept. 1795.
Mein geliebter Moriz!
Alles was ich vom Hause, wo Sie sind, erhalte und erfahre -- z. B. durch den am Kopfe metaphorisch und am Fusse eigentlich geflügelten15 Merkur Roltsch -- giebt mir eine Sehnsucht zur Reise dahin, daß ich immer die Flügeldecken aufhebe und hinfliegen wil. -- Ich sage Ihnen den wärmsten Dank für Ihre biographischen Hefte, die mir lieber sind als die von Klischnig, der mein Gefühl zu oft mit seinem verlezte. Fahren Sie so fort, Ihren über alle unsere Leichensteine nun erhabnen20 Bruder zu palingenesieren durch Briefe und durch Samlung [?]. Sie und unser Freund Mazdorf solten musivische Steingen aus seinem Leben zu seiner Biographie zusammensezen: ich würde den Rahmen, das heist die Noten darum schnizen.
Ich bin seiner Meinung über die Nothwendigkeit der parallelen[107]25 Ausbildung aller Seelenkräfte: nur durch die Schriftstellerei mus es nicht geschehen sollen. Ein Buch fodert die ganze Seele, der Fokus der- selben auf mehrere Werke zerspalten, wird ein matter Stral und brent nicht. Noch weniger fass' ich, wie man heute etwas schreiben könne, das morgen gedrukt wird. Ein Werk von Zusammenhang fodert eine30 immerwährende Feile, schneid' ich aber hinten weg, so mus ich ihm das Vordere durch einen neuen Schnit anpassen und wenn der Anfang sich schon im Drukkasten petrifiziert hat: so macht die eine Unveränder- lichkeit die andere nothwendig. Indes waren seine Werke selten so zu- sammengekettet wie dramatische oder wie meine Eier oder wie der35 Schlangen ihre.
167. An Matzdorff in Berlin.
[Kopie][Hof, 16. Sept. 1795]
[Der] Meiſenkaſten des Sargs fängt mich — Die freundſchaftliche Hanſee — Die Gedankenſtriche ſind Pferdeſtände — Der litterariſchen Themis wünſchte man die Binde ſtat um die Augen, um den Hals — ich5 ſah da ihr liebendes Herz offen, das Pfeilen des Schikſals mehr blos- ſteht. — Blätterſkelet der Blumenſtücke — Brief-Goſſe (Rand) — Es iſt verdienſtlicher einem ſteigenden Jüngling als einem fallenden 〈ſinkenden〉 Greiſe die Hand zu bieten und man wärmt dadurch eine ganze Generazion.10
*168. An J. Chr. K. Moritz in Berlin.
Hof d. 17 Sept. 1795.
Mein geliebter Moriz!
Alles was ich vom Hauſe, wo Sie ſind, erhalte und erfahre — z. B. durch den am Kopfe metaphoriſch und am Fuſſe eigentlich geflügelten15 Merkur Roltſch — giebt mir eine Sehnſucht zur Reiſe dahin, daß ich immer die Flügeldecken aufhebe und hinfliegen wil. — Ich ſage Ihnen den wärmſten Dank für Ihre biographiſchen Hefte, die mir lieber ſind als die von Kliſchnig, der mein Gefühl zu oft mit ſeinem verlezte. Fahren Sie ſo fort, Ihren über alle unſere Leichenſteine nun erhabnen20 Bruder zu palingeneſieren durch Briefe und durch Samlung [?]. Sie und unſer Freund Mazdorf ſolten muſiviſche Steingen aus ſeinem Leben zu ſeiner Biographie zuſammenſezen: ich würde den Rahmen, das heiſt die Noten darum ſchnizen.
Ich bin ſeiner Meinung über die Nothwendigkeit der parallelen[107]25 Ausbildung aller Seelenkräfte: nur durch die Schriftſtellerei mus es nicht geſchehen ſollen. Ein Buch fodert die ganze Seele, der Fokus der- ſelben auf mehrere Werke zerſpalten, wird ein matter Stral und brent nicht. Noch weniger faſſ’ ich, wie man heute etwas ſchreiben könne, das morgen gedrukt wird. Ein Werk von Zuſammenhang fodert eine30 immerwährende Feile, ſchneid’ ich aber hinten weg, ſo mus ich ihm das Vordere durch einen neuen Schnit anpaſſen und wenn der Anfang ſich ſchon im Drukkaſten petrifiziert hat: ſo macht die eine Unveränder- lichkeit die andere nothwendig. Indes waren ſeine Werke ſelten ſo zu- ſammengekettet wie dramatiſche oder wie meine Eier oder wie der35 Schlangen ihre.
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Hanſee — Die Gedankenſtriche ſind Pferdeſtände — Der litterariſchen
Themis wünſchte man die Binde ſtat um die Augen, um den Hals — ich 5
ſah da ihr liebendes Herz offen, das Pfeilen des Schikſals mehr blos-
ſteht. — Blätterſkelet der Blumenſtücke — Brief-Goſſe (Rand) — Es
iſt verdienſtlicher einem ſteigenden Jüngling als einem fallenden
〈ſinkenden〉 Greiſe die Hand zu bieten und man wärmt dadurch eine
ganze Generazion. 10
*168. An J. Chr. K. Moritz in Berlin.
Hof d. 17 Sept. 1795.
Mein geliebter Moriz!
Alles was ich vom Hauſe, wo Sie ſind, erhalte und erfahre — z. B.
durch den am Kopfe metaphoriſch und am Fuſſe eigentlich geflügelten 15
Merkur Roltſch — giebt mir eine Sehnſucht zur Reiſe dahin, daß ich
immer die Flügeldecken aufhebe und hinfliegen wil. — Ich ſage Ihnen
den wärmſten Dank für Ihre biographiſchen Hefte, die mir lieber ſind
als die von Kliſchnig, der mein Gefühl zu oft mit ſeinem verlezte.
Fahren Sie ſo fort, Ihren über alle unſere Leichenſteine nun erhabnen 20
Bruder zu palingeneſieren durch Briefe und durch Samlung [?]. Sie und
unſer Freund Mazdorf ſolten muſiviſche Steingen aus ſeinem Leben zu
ſeiner Biographie zuſammenſezen: ich würde den Rahmen, das heiſt die
Noten darum ſchnizen.
Ich bin ſeiner Meinung über die Nothwendigkeit der parallelen 25
Ausbildung aller Seelenkräfte: nur durch die Schriftſtellerei mus es
nicht geſchehen ſollen. Ein Buch fodert die ganze Seele, der Fokus der-
ſelben auf mehrere Werke zerſpalten, wird ein matter Stral und brent
nicht. Noch weniger faſſ’ ich, wie man heute etwas ſchreiben könne, das
morgen gedrukt wird. Ein Werk von Zuſammenhang fodert eine 30
immerwährende Feile, ſchneid’ ich aber hinten weg, ſo mus ich ihm das
Vordere durch einen neuen Schnit anpaſſen und wenn der Anfang ſich
ſchon im Drukkaſten petrifiziert hat: ſo macht die eine Unveränder-
lichkeit die andere nothwendig. Indes waren ſeine Werke ſelten ſo zu-
ſammengekettet wie dramatiſche oder wie meine Eier oder wie der 35
Schlangen ihre.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/122>, abgerufen am 16.02.2025.
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