dabei ist, siehst du, weil sie (z. B. bei dem Vorfal in Neuhof, den mir selber erst deine Schwester entzifferte) niemals weis, wo sie gefehlet hat. Blos gegen eine Person (K) war sie ungerecht; aber wenn ich schon der Käusserliche die Büste einnehmende Koketterie kaum mit ihren Briefen, häuslichen Verdiensten und vielfachen Beraubungen5 wie mit einem Mantel der Liebe zu bedecken weis, wie viel weniger kans sie, nähere Rüksichten noch abgerechnet. -- Indessen fehlt sie doch in diesem Punkt -- in welchem aber jede andre mit ähnlichen Verhältnissen auch fehlen müste -- und du must sie zu bessern suchen; aber nicht durch die bisherigen Mittel, nicht durch die Kälte, die10 gerade alle ihre geselschaftlichen Sünden erzeugte und deren Absicht sie nicht erräth und die ihre Schmerzen und Fehler mit einander anhäuft. Und wenn du noch fortfährst, sie mit diesem Wechsel von kalten und warmen Tagen zu verwunden, der die Menschen wie die Gewächse zerrüttet: so erliegt sie. O warum stellest du ihr nicht gerade zu, mit15 klaren Worten, mit der Beredsamkeit der Herzlichkeit die kleinen Fehltritte vor, wie du mir es thätest und thust? Sag ihr nicht einmal einen Grund und begehr' es als einen Gefallen: so thut sie es. Es giebt[I, 433] nicht[s] folgsameres -- nicht gegen die Kälte der rationes decidendi sondern die Wärme der Freundschaft und Liebe -- als dieses Ge-20 schlecht: sie ertragen vom unsrigen alle Wahrheiten und bessern sich gern um, wenn nicht Liebe oder Ehrgeiz (worüber sie nicht siegen können) es ihnen erschwert. Ueberhaupt wird mir dieses Geschlecht heiliger, je länger ich es zu kennen suche; es hat eine fassende Seele für alle unsre Vorzüge, aber die wenigsten von uns haben eine für alle25 seinigen; und wenn es den höhern das Ganze und die Ewigkeit be- schauenden und umfassenden philosophischen Geist noch hätte, so wär' es besser als wir.
Glaub' aber nicht, daß ich darum dein Betragen tadele, das ich den ganzen Sommer hindurch als eine neue Seite deiner den Weg30 durch die sonderbarsten Verhältnisse findenden Rechtschaffenheit und Feinheit verehrte; sondern nur den Gegenstand deines Betragens wil ich ändern.
Die Stellen des von ihr erhaltenen Tagebuchs schrieb ich ohne ihr Wissen ab; aber mit ihrem nachfolgenden weiblichen Ja-Nein35 obwol ohne ihren Auftrag geb ich dir sie und den Brief. Ich habe vor euch beiden wie vor Gott gehandelt und keinem etwas verborgen;
1*
dabei iſt, ſiehſt du, weil ſie (z. B. bei dem Vorfal in Neuhof, den mir ſelber erſt deine Schweſter entzifferte) niemals weis, wo ſie gefehlet hat. Blos gegen eine Perſon (K) war ſie ungerecht; aber wenn ich ſchon der Käuſſerliche die Büſte einnehmende Koketterie kaum mit ihren Briefen, häuslichen Verdienſten und vielfachen Beraubungen5 wie mit einem Mantel der Liebe zu bedecken weis, wie viel weniger kans ſie, nähere Rükſichten noch abgerechnet. — Indeſſen fehlt ſie doch in dieſem Punkt — in welchem aber jede andre mit ähnlichen Verhältniſſen auch fehlen müſte — und du muſt ſie zu beſſern ſuchen; aber nicht durch die bisherigen Mittel, nicht durch die Kälte, die10 gerade alle ihre geſelſchaftlichen Sünden erzeugte und deren Abſicht ſie nicht erräth und die ihre Schmerzen und Fehler mit einander anhäuft. Und wenn du noch fortfährſt, ſie mit dieſem Wechſel von kalten und warmen Tagen zu verwunden, der die Menſchen wie die Gewächſe zerrüttet: ſo erliegt ſie. O warum ſtelleſt du ihr nicht gerade zu, mit15 klaren Worten, mit der Beredſamkeit der Herzlichkeit die kleinen Fehltritte vor, wie du mir es thäteſt und thuſt? Sag ihr nicht einmal einen Grund und begehr’ es als einen Gefallen: ſo thut ſie es. Es giebt[I, 433] nicht[s] folgſameres — nicht gegen die Kälte der rationes decidendi ſondern die Wärme der Freundſchaft und Liebe — als dieſes Ge-20 ſchlecht: ſie ertragen vom unſrigen alle Wahrheiten und beſſern ſich gern um, wenn nicht Liebe oder Ehrgeiz (worüber ſie nicht ſiegen können) es ihnen erſchwert. Ueberhaupt wird mir dieſes Geſchlecht heiliger, je länger ich es zu kennen ſuche; es hat eine faſſende Seele für alle unſre Vorzüge, aber die wenigſten von uns haben eine für alle25 ſeinigen; und wenn es den höhern das Ganze und die Ewigkeit be- ſchauenden und umfaſſenden philoſophiſchen Geiſt noch hätte, ſo wär’ es beſſer als wir.
Glaub’ aber nicht, daß ich darum dein Betragen tadele, das ich den ganzen Sommer hindurch als eine neue Seite deiner den Weg30 durch die ſonderbarſten Verhältniſſe findenden Rechtſchaffenheit und Feinheit verehrte; ſondern nur den Gegenſtand deines Betragens wil ich ändern.
Die Stellen des von ihr erhaltenen Tagebuchs ſchrieb ich ohne ihr Wiſſen ab; aber mit ihrem nachfolgenden weiblichen Ja-Nein35 obwol ohne ihren Auftrag geb ich dir ſie und den Brief. Ich habe vor euch beiden wie vor Gott gehandelt und keinem etwas verborgen;
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hat. Blos gegen eine Perſon (K) war ſie ungerecht; aber wenn ich
ſchon der K äuſſerliche die Büſte einnehmende Koketterie kaum mit
ihren Briefen, häuslichen Verdienſten und vielfachen Beraubungen 5
wie mit einem Mantel der Liebe zu bedecken weis, wie viel weniger
kans ſie, nähere Rükſichten noch abgerechnet. — Indeſſen fehlt ſie
doch in dieſem Punkt — in welchem aber jede andre mit ähnlichen
Verhältniſſen auch fehlen müſte — und du muſt ſie zu beſſern ſuchen;
aber nicht durch die bisherigen Mittel, nicht durch die Kälte, die 10
gerade alle ihre geſelſchaftlichen Sünden erzeugte und deren Abſicht ſie
nicht erräth und die ihre Schmerzen und Fehler mit einander anhäuft.
Und wenn du noch fortfährſt, ſie mit dieſem Wechſel von kalten und
warmen Tagen zu verwunden, der die Menſchen wie die Gewächſe
zerrüttet: ſo erliegt ſie. O warum ſtelleſt du ihr nicht gerade zu, mit 15
klaren Worten, mit der Beredſamkeit der Herzlichkeit die kleinen
Fehltritte vor, wie du mir es thäteſt und thuſt? Sag ihr nicht einmal
einen Grund und begehr’ es als einen Gefallen: ſo thut ſie es. Es giebt
nicht[s] folgſameres — nicht gegen die Kälte der rationes decidendi
ſondern die Wärme der Freundſchaft und Liebe — als dieſes Ge- 20
ſchlecht: ſie ertragen vom unſrigen alle Wahrheiten und beſſern ſich
gern um, wenn nicht Liebe oder Ehrgeiz (worüber ſie nicht ſiegen
können) es ihnen erſchwert. Ueberhaupt wird mir dieſes Geſchlecht
heiliger, je länger ich es zu kennen ſuche; es hat eine faſſende Seele
für alle unſre Vorzüge, aber die wenigſten von uns haben eine für alle 25
ſeinigen; und wenn es den höhern das Ganze und die Ewigkeit be-
ſchauenden und umfaſſenden philoſophiſchen Geiſt noch hätte, ſo wär’
es beſſer als wir.
[I, 433]
Glaub’ aber nicht, daß ich darum dein Betragen tadele, das ich
den ganzen Sommer hindurch als eine neue Seite deiner den Weg 30
durch die ſonderbarſten Verhältniſſe findenden Rechtſchaffenheit
und Feinheit verehrte; ſondern nur den Gegenſtand deines Betragens
wil ich ändern.
Die Stellen des von ihr erhaltenen Tagebuchs ſchrieb ich ohne ihr
Wiſſen ab; aber mit ihrem nachfolgenden weiblichen Ja-Nein 35
obwol ohne ihren Auftrag geb ich dir ſie und den Brief. Ich habe
vor euch beiden wie vor Gott gehandelt und keinem etwas verborgen;
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T15:02:06Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 2. Berlin, 1958, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe02_1958/10>, abgerufen am 24.11.2024.
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