Verfertigung meines Buchs nämlich, das allen andern Geschäften Zeit und Kräfte wegfrist, um in 12 [?] Monaten 14 Bogen dikker zu werden. Man mus hierin die Frauen nachamen, die sich in den Be- schwerlichkeiten der Schwangerschaft und Geburt mit der Hofnung auf die Schwelgerei im Kindbet trösten.5
Hier würd' ich meinen Brief, der so ler wie der Kopf und der Beutel eines Poeten ist, schliessen, wenn Sie den Ihrigen nicht so angenem geschlossen hätten. One einen schwedenborgischen Traum bei den Lokken herzuziehen etc. bitt' ich Sie, mich Ihrer vortreflichen Freundin mit aller der Wärme zu empfelen, mit der Sie sie lieben und10 ich sie verere. Zu diesem allem wolt' ich noch hinzusezen, daß Sie nun in demselben Zimmer eine vortrefliche Lobrede und eine schlechte Satire auf das schöne Geschlecht besizen -- daß ferner die Mytologie eine himlische und dan eine irdische Venus kent, davon die leztere in Leipzig von 1000 Priesterinnen angebetet wird, die man nicht Weiber15 sondern Damen nent, und davon die erstere nur Eine -- doch dies alles mag ich nicht hinzusezen, weil Voltaire sagt, man mus nicht iede Warheit sagen. -- Ungeachtet Ihnen mein Buch schon einige [Lang- weile] macht, so wil ich Ihnen doch nächstens mit einem andern Briefe noch einige machen. etc.20
39. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Geliebtester Freund,
Vergeben Sie mir diese Aufschrift: denn ich vergebe Ihnen dafür die Ihrige "Hochedelgeborner Herr".
Zizero gab einmal auf die Frage "welche Rede des Demosthenes25 die schönste sei" zur Antwort "die längste" -- Ergo ist Ihr lezter Brief Ihr bester; doch können Sie sich in Zukunft noch übertreffen. Für einen langen Brief weis ich Sie nicht besser zu belonen als mit einem kurzen. Eine andre Ursache meiner Kürze werden Sie weiter unten erfaren. Noch ein Bonmot, das aber nicht hieher gehört: Je vous30 ecris une longue lettre, schrieb Boileau an einen Freund, parce qu'il me manque le tems de la faire courte. -- Die Warheit befielt mir iezt, Ihren Brief zu loben; allein ich gehorche ihr nicht, weil Sie mein[72] Buch zu ser lobten. Warum vergassen Sie, daß derselbe Weihrauch,
5 Jean Paul Briefe. I.
Verfertigung meines Buchs nämlich, das allen andern Geſchäften Zeit und Kräfte wegfriſt, um in 12 [?] Monaten 14 Bogen dikker zu werden. Man mus hierin die Frauen nachamen, die ſich in den Be- ſchwerlichkeiten der Schwangerſchaft und Geburt mit der Hofnung auf die Schwelgerei im Kindbet tröſten.5
Hier würd’ ich meinen Brief, der ſo ler wie der Kopf und der Beutel eines Poeten iſt, ſchlieſſen, wenn Sie den Ihrigen nicht ſo angenem geſchloſſen hätten. One einen ſchwedenborgiſchen Traum bei den Lokken herzuziehen ꝛc. bitt’ ich Sie, mich Ihrer vortreflichen Freundin mit aller der Wärme zu empfelen, mit der Sie ſie lieben und10 ich ſie verere. Zu dieſem allem wolt’ ich noch hinzuſezen, daß Sie nun in demſelben Zimmer eine vortrefliche Lobrede und eine ſchlechte Satire auf das ſchöne Geſchlecht beſizen — daß ferner die Mytologie eine himliſche und dan eine irdiſche Venus kent, davon die leztere in Leipzig von 1000 Prieſterinnen angebetet wird, die man nicht Weiber15 ſondern Damen nent, und davon die erſtere nur Eine — doch dies alles mag ich nicht hinzuſezen, weil Voltaire ſagt, man mus nicht iede Warheit ſagen. — Ungeachtet Ihnen mein Buch ſchon einige [Lang- weile] macht, ſo wil ich Ihnen doch nächſtens mit einem andern Briefe noch einige machen. ꝛc.20
39. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Geliebteſter Freund,
Vergeben Sie mir dieſe Aufſchrift: denn ich vergebe Ihnen dafür die Ihrige „Hochedelgeborner Herr“.
Zizero gab einmal auf die Frage „welche Rede des Demoſthenes25 die ſchönſte ſei“ zur Antwort „die längſte“ — Ergo iſt Ihr lezter Brief Ihr beſter; doch können Sie ſich in Zukunft noch übertreffen. Für einen langen Brief weis ich Sie nicht beſſer zu belonen als mit einem kurzen. Eine andre Urſache meiner Kürze werden Sie weiter unten erfaren. Noch ein Bonmot, das aber nicht hieher gehört: Je vous30 écris une longue lettre, ſchrieb Boileau an einen Freund, parce qu’il me manque le tems de la faire courte. — Die Warheit befielt mir iezt, Ihren Brief zu loben; allein ich gehorche ihr nicht, weil Sie mein[72] Buch zu ſer lobten. Warum vergaſſen Sie, daß derſelbe Weihrauch,
5 Jean Paul Briefe. I.
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0088"n="65"/>
Verfertigung meines Buchs nämlich, das allen andern Geſchäften<lb/>
Zeit und Kräfte wegfriſt, um in 12 <metamark>[?]</metamark> Monaten 14 Bogen dikker zu<lb/>
werden. Man mus hierin die Frauen nachamen, die ſich in den Be-<lb/>ſchwerlichkeiten der Schwangerſchaft und Geburt mit der Hofnung<lb/>
auf die Schwelgerei im Kindbet tröſten.<lbn="5"/></p><p>Hier würd’ ich meinen Brief, der ſo ler wie der Kopf und der<lb/>
Beutel eines Poeten iſt, ſchlieſſen, wenn Sie den Ihrigen nicht ſo<lb/>
angenem geſchloſſen hätten. One einen ſchwedenborgiſchen Traum<lb/>
bei den Lokken herzuziehen ꝛc. bitt’ ich Sie, mich Ihrer vortreflichen<lb/>
Freundin mit aller der Wärme zu empfelen, mit der Sie ſie lieben und<lbn="10"/>
ich ſie verere. Zu dieſem allem wolt’ ich noch hinzuſezen, daß Sie nun<lb/>
in demſelben Zimmer eine vortrefliche Lobrede und eine ſchlechte<lb/>
Satire auf das ſchöne Geſchlecht beſizen — daß ferner die Mytologie<lb/>
eine himliſche und dan eine irdiſche Venus kent, davon die leztere in<lb/>
Leipzig von 1000 Prieſterinnen angebetet wird, die man nicht Weiber<lbn="15"/>ſondern Damen nent, und davon die erſtere nur Eine — doch dies alles<lb/>
mag ich nicht hinzuſezen, weil Voltaire ſagt, man mus nicht iede<lb/>
Warheit ſagen. — Ungeachtet Ihnen mein Buch ſchon einige <metamark>[</metamark>Lang-<lb/>
weile<metamark>]</metamark> macht, ſo wil ich Ihnen doch nächſtens mit einem andern Briefe<lb/>
noch einige machen. ꝛc.<lbn="20"/></p></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>39. An <hirendition="#g">Pfarrer Vogel in Rehau.</hi></head><lb/><opener><salute><hirendition="#et">Geliebteſter Freund,</hi></salute></opener><lb/><p>Vergeben Sie mir dieſe Aufſchrift: denn ich vergebe Ihnen dafür<lb/>
die Ihrige „Hochedelgeborner Herr“.</p><lb/><p>Zizero gab einmal auf die Frage „welche Rede des Demoſthenes<lbn="25"/>
die ſchönſte ſei“ zur Antwort „die längſte“—<hirendition="#aq">Ergo</hi> iſt Ihr lezter Brief<lb/>
Ihr beſter; doch können Sie ſich in Zukunft noch übertreffen. Für<lb/>
einen langen Brief weis ich Sie nicht beſſer zu belonen als mit einem<lb/>
kurzen. Eine andre Urſache meiner Kürze werden Sie weiter unten<lb/>
erfaren. Noch ein Bonmot, das aber nicht hieher gehört: <hirendition="#aq">Je vous<lbn="30"/>
écris une longue lettre,</hi>ſchrieb Boileau an einen Freund, <hirendition="#aq">parce qu’il<lb/>
me manque le tems de la faire courte.</hi>— Die Warheit befielt mir<lb/>
iezt, Ihren Brief zu loben; allein ich gehorche ihr nicht, weil Sie mein<noteplace="right"><reftarget="1922_Bd#_72">[72]</ref></note><lb/>
Buch zu ſer lobten. Warum vergaſſen Sie, daß derſelbe Weihrauch,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">5 Jean Paul Briefe. <hirendition="#aq">I.</hi></fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[65/0088]
Verfertigung meines Buchs nämlich, das allen andern Geſchäften
Zeit und Kräfte wegfriſt, um in 12 [?] Monaten 14 Bogen dikker zu
werden. Man mus hierin die Frauen nachamen, die ſich in den Be-
ſchwerlichkeiten der Schwangerſchaft und Geburt mit der Hofnung
auf die Schwelgerei im Kindbet tröſten. 5
Hier würd’ ich meinen Brief, der ſo ler wie der Kopf und der
Beutel eines Poeten iſt, ſchlieſſen, wenn Sie den Ihrigen nicht ſo
angenem geſchloſſen hätten. One einen ſchwedenborgiſchen Traum
bei den Lokken herzuziehen ꝛc. bitt’ ich Sie, mich Ihrer vortreflichen
Freundin mit aller der Wärme zu empfelen, mit der Sie ſie lieben und 10
ich ſie verere. Zu dieſem allem wolt’ ich noch hinzuſezen, daß Sie nun
in demſelben Zimmer eine vortrefliche Lobrede und eine ſchlechte
Satire auf das ſchöne Geſchlecht beſizen — daß ferner die Mytologie
eine himliſche und dan eine irdiſche Venus kent, davon die leztere in
Leipzig von 1000 Prieſterinnen angebetet wird, die man nicht Weiber 15
ſondern Damen nent, und davon die erſtere nur Eine — doch dies alles
mag ich nicht hinzuſezen, weil Voltaire ſagt, man mus nicht iede
Warheit ſagen. — Ungeachtet Ihnen mein Buch ſchon einige [Lang-
weile] macht, ſo wil ich Ihnen doch nächſtens mit einem andern Briefe
noch einige machen. ꝛc. 20
39. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Geliebteſter Freund,
Vergeben Sie mir dieſe Aufſchrift: denn ich vergebe Ihnen dafür
die Ihrige „Hochedelgeborner Herr“.
Zizero gab einmal auf die Frage „welche Rede des Demoſthenes 25
die ſchönſte ſei“ zur Antwort „die längſte“ — Ergo iſt Ihr lezter Brief
Ihr beſter; doch können Sie ſich in Zukunft noch übertreffen. Für
einen langen Brief weis ich Sie nicht beſſer zu belonen als mit einem
kurzen. Eine andre Urſache meiner Kürze werden Sie weiter unten
erfaren. Noch ein Bonmot, das aber nicht hieher gehört: Je vous 30
écris une longue lettre, ſchrieb Boileau an einen Freund, parce qu’il
me manque le tems de la faire courte. — Die Warheit befielt mir
iezt, Ihren Brief zu loben; allein ich gehorche ihr nicht, weil Sie mein
Buch zu ſer lobten. Warum vergaſſen Sie, daß derſelbe Weihrauch,
[72]
5 Jean Paul Briefe. I.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/88>, abgerufen am 02.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.