[46]vom Örtel empfangen; Sie selbst doch auch ein Ziemliches. Doch das tut nichts zur Sache. Meinen Bruder bedaure ich auf der einen Seite, da er so ein elendes Schiksal hat. Aber wenn ich bedenke, daß er sich das Schiksal wol auch selbst mit macht, so ärgert mich seine Auffürung. Jezt zieht er nun so ohne Herrn in der Welt herum; lernt nichts, wird5 immer liederlicher aus Mangel der Arbeit, hält sich immer nahe zu Ihnen. Was wird denn so werden aus ihm? Er wird Ihnen immer einen Gulden nach dem andern ablokken und nichts lernen. Alt ist er genug; freilich klug noch nicht, und wirds sobald nicht werden. -- Ich weis nicht, wen Sie in Ihrem Briefe meinen, da Sie von einem10 nichtswürdigen Menschen reden, der Sie beim Barnikkel verläumdet hat. -- Den Ovid hat Örthel mit nach Töpen geschikt. Hat Ihnen solchen der alte Örthel noch nicht überschikt, so brauchen Sie ihn nur holen zu lassen. Schreiben Sie mir recht bald; Sie werden doch wol den Brief mit etwas anfüllen können, mit nichts Traurigen freilich15 nicht, mit welchem Sie so immer beladen sind, mit Neuigkeiten aber, deren es in Hof doch wol geben mag, auch von Schwarzenbach. Was macht denn mein guter Samuel? der gute Junge. Und meine Brüder; freilich werden sie nicht viel lernen. Was macht der Heinrich? Ist auch mein Hund noch am Leben? -- Hüten Sie sich bei der Rur in Hof vor20 Erkältung. Denn von dieser komt sie her. Essen Sie brav Obst. Denn dieses ist das beste Mittel gegen diese Krankheit. Auch einmal Laxiren tut seine Wirkung; aber nicht oft, wie Sie sonst zu tun pflegen. Ver- geben Sie mir meine unleserliche Hand. Ich muste geschwind schreiben: da die Post abgehen wil. Und ein kleines Stük Papier hab' ich genom-25 men, um über meinen Brief ein Kuwert machen zu können. -- Denn one ein Kuwert kan ich keinen Brief so zusiegeln, daß ihn nicht ieder one Beschädigung des Siegels öfnen könte. Schreiben Sie bald, und leben Sie wol. Ich bin
Ihr30 g. S. Leipzig den Dienstag. [2. Juli?] 178[2].J. P. F. Richter
27. An Frau Richter in Hof.
Liebe Mama!
Ich glaubte nicht, daß Sie über mein langes Stilschweigen un-35 gehalten sein würden; noch weniger, daß Sie dadurch in Sorgen
[46]vom Örtel empfangen; Sie ſelbſt doch auch ein Ziemliches. Doch das tut nichts zur Sache. Meinen Bruder bedaure ich auf der einen Seite, da er ſo ein elendes Schikſal hat. Aber wenn ich bedenke, daß er ſich das Schikſal wol auch ſelbſt mit macht, ſo ärgert mich ſeine Auffürung. Jezt zieht er nun ſo ohne Herrn in der Welt herum; lernt nichts, wird5 immer liederlicher aus Mangel der Arbeit, hält ſich immer nahe zu Ihnen. Was wird denn ſo werden aus ihm? Er wird Ihnen immer einen Gulden nach dem andern ablokken und nichts lernen. Alt iſt er genug; freilich klug noch nicht, und wirds ſobald nicht werden. — Ich weis nicht, wen Sie in Ihrem Briefe meinen, da Sie von einem10 nichtswürdigen Menſchen reden, der Sie beim Barnikkel verläumdet hat. — Den Ovid hat Örthel mit nach Töpen geſchikt. Hat Ihnen ſolchen der alte Örthel noch nicht überſchikt, ſo brauchen Sie ihn nur holen zu laſſen. Schreiben Sie mir recht bald; Sie werden doch wol den Brief mit etwas anfüllen können, mit nichts Traurigen freilich15 nicht, mit welchem Sie ſo immer beladen ſind, mit Neuigkeiten aber, deren es in Hof doch wol geben mag, auch von Schwarzenbach. Was macht denn mein guter Samuel? der gute Junge. Und meine Brüder; freilich werden ſie nicht viel lernen. Was macht der Heinrich? Iſt auch mein Hund noch am Leben? — Hüten Sie ſich bei der Rur in Hof vor20 Erkältung. Denn von dieſer komt ſie her. Eſſen Sie brav Obſt. Denn dieſes iſt das beſte Mittel gegen dieſe Krankheit. Auch einmal Laxiren tut ſeine Wirkung; aber nicht oft, wie Sie ſonſt zu tun pflegen. Ver- geben Sie mir meine unleſerliche Hand. Ich muſte geſchwind ſchreiben: da die Poſt abgehen wil. Und ein kleines Stük Papier hab’ ich genom-25 men, um über meinen Brief ein Kuwert machen zu können. — Denn one ein Kuwert kan ich keinen Brief ſo zuſiegeln, daß ihn nicht ieder one Beſchädigung des Siegels öfnen könte. Schreiben Sie bald, und leben Sie wol. Ich bin
Ihr30 g. S. Leipzig den Dienſtag. [2. Juli?] 178[2].J. P. F. Richter
27. An Frau Richter in Hof.
Liebe Mama!
Ich glaubte nicht, daß Sie über mein langes Stilſchweigen un-35 gehalten ſein würden; noch weniger, daß Sie dadurch in Sorgen
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0067"n="44"/><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd#_46">[46]</ref></note>vom Örtel empfangen; Sie ſelbſt doch auch ein Ziemliches. Doch das<lb/>
tut nichts zur Sache. Meinen Bruder bedaure ich auf der einen Seite,<lb/>
da er ſo ein elendes Schikſal hat. Aber wenn ich bedenke, daß er ſich das<lb/>
Schikſal wol auch ſelbſt mit macht, ſo ärgert mich ſeine Auffürung.<lb/>
Jezt zieht er nun ſo ohne Herrn in der Welt herum; lernt nichts, wird<lbn="5"/>
immer liederlicher aus Mangel der Arbeit, hält ſich immer nahe zu<lb/>
Ihnen. Was wird denn ſo werden aus ihm? Er wird Ihnen immer<lb/>
einen Gulden nach dem andern ablokken und nichts lernen. Alt iſt er<lb/>
genug; freilich klug noch nicht, und wirds ſobald nicht werden. —<lb/>
Ich weis nicht, wen Sie in Ihrem Briefe meinen, da Sie von einem<lbn="10"/>
nichtswürdigen Menſchen reden, der Sie beim Barnikkel verläumdet<lb/>
hat. — Den Ovid hat Örthel mit nach Töpen geſchikt. Hat Ihnen<lb/>ſolchen der alte Örthel noch nicht überſchikt, ſo brauchen Sie ihn nur<lb/>
holen zu laſſen. Schreiben Sie mir recht bald; Sie werden doch wol<lb/>
den Brief mit etwas anfüllen können, mit nichts Traurigen freilich<lbn="15"/>
nicht, mit welchem Sie ſo immer beladen ſind, mit Neuigkeiten aber,<lb/>
deren es in Hof doch wol geben mag, auch von Schwarzenbach. Was<lb/>
macht denn mein guter Samuel? der gute Junge. Und meine Brüder;<lb/>
freilich werden ſie nicht viel lernen. Was macht der Heinrich? Iſt auch<lb/>
mein Hund noch am Leben? — Hüten Sie ſich bei der Rur in Hof vor<lbn="20"/>
Erkältung. Denn von dieſer komt ſie her. Eſſen Sie brav Obſt. Denn<lb/>
dieſes iſt das beſte Mittel gegen dieſe Krankheit. Auch einmal Laxiren<lb/>
tut ſeine Wirkung; aber nicht oft, wie Sie ſonſt zu tun pflegen. Ver-<lb/>
geben Sie mir meine unleſerliche Hand. Ich muſte geſchwind ſchreiben:<lb/>
da die Poſt abgehen wil. Und ein kleines Stük Papier hab’ ich genom-<lbn="25"/>
men, um über meinen Brief ein Kuwert machen zu können. — Denn one<lb/>
ein Kuwert kan ich keinen Brief ſo zuſiegeln, daß ihn nicht ieder one<lb/>
Beſchädigung des Siegels öfnen könte. Schreiben Sie bald, und<lb/>
leben Sie wol. Ich bin</p><lb/><closer><salute><hirendition="#et">Ihr<lbn="30"/>
g. S.</hi><lb/><date><hirendition="#left">Leipzig den Dienſtag. <metamark>[</metamark>2. Juli?<metamark>]</metamark> 178<metamark>[</metamark>2<metamark>]</metamark>.</hi></date><hirendition="#right">J. P. F. Richter</hi></salute></closer></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>27. An <hirendition="#g">Frau Richter in Hof.</hi></head><lb/><opener><salute><hirendition="#et">Liebe Mama!</hi></salute></opener><lb/><p>Ich glaubte nicht, daß Sie über mein langes Stilſchweigen un-<lbn="35"/>
gehalten ſein würden; noch weniger, daß Sie dadurch in Sorgen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[44/0067]
vom Örtel empfangen; Sie ſelbſt doch auch ein Ziemliches. Doch das
tut nichts zur Sache. Meinen Bruder bedaure ich auf der einen Seite,
da er ſo ein elendes Schikſal hat. Aber wenn ich bedenke, daß er ſich das
Schikſal wol auch ſelbſt mit macht, ſo ärgert mich ſeine Auffürung.
Jezt zieht er nun ſo ohne Herrn in der Welt herum; lernt nichts, wird 5
immer liederlicher aus Mangel der Arbeit, hält ſich immer nahe zu
Ihnen. Was wird denn ſo werden aus ihm? Er wird Ihnen immer
einen Gulden nach dem andern ablokken und nichts lernen. Alt iſt er
genug; freilich klug noch nicht, und wirds ſobald nicht werden. —
Ich weis nicht, wen Sie in Ihrem Briefe meinen, da Sie von einem 10
nichtswürdigen Menſchen reden, der Sie beim Barnikkel verläumdet
hat. — Den Ovid hat Örthel mit nach Töpen geſchikt. Hat Ihnen
ſolchen der alte Örthel noch nicht überſchikt, ſo brauchen Sie ihn nur
holen zu laſſen. Schreiben Sie mir recht bald; Sie werden doch wol
den Brief mit etwas anfüllen können, mit nichts Traurigen freilich 15
nicht, mit welchem Sie ſo immer beladen ſind, mit Neuigkeiten aber,
deren es in Hof doch wol geben mag, auch von Schwarzenbach. Was
macht denn mein guter Samuel? der gute Junge. Und meine Brüder;
freilich werden ſie nicht viel lernen. Was macht der Heinrich? Iſt auch
mein Hund noch am Leben? — Hüten Sie ſich bei der Rur in Hof vor 20
Erkältung. Denn von dieſer komt ſie her. Eſſen Sie brav Obſt. Denn
dieſes iſt das beſte Mittel gegen dieſe Krankheit. Auch einmal Laxiren
tut ſeine Wirkung; aber nicht oft, wie Sie ſonſt zu tun pflegen. Ver-
geben Sie mir meine unleſerliche Hand. Ich muſte geſchwind ſchreiben:
da die Poſt abgehen wil. Und ein kleines Stük Papier hab’ ich genom- 25
men, um über meinen Brief ein Kuwert machen zu können. — Denn one
ein Kuwert kan ich keinen Brief ſo zuſiegeln, daß ihn nicht ieder one
Beſchädigung des Siegels öfnen könte. Schreiben Sie bald, und
leben Sie wol. Ich bin
[46]
Ihr 30
g. S.
Leipzig den Dienſtag. [2. Juli?] 178[2]. J. P. F. Richter
27. An Frau Richter in Hof.
Liebe Mama!
Ich glaubte nicht, daß Sie über mein langes Stilſchweigen un- 35
gehalten ſein würden; noch weniger, daß Sie dadurch in Sorgen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/67>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.