frohen Kindern auf dem Arm vor uns, die wir selbst dazu gehörten. Der blaue Himmel bog sich wie ein blauer Sonnenschirm über ein blühendes Mädgen -- die Sonne stand lächelnd wie eine Mutter am Himmel und sah den unendlichen Schmuk an, den sie ihrer Tochter, der Erde, angelegt hatte. Wir vergassen unter dem Sehen das Reden und5 [375]unter dem Reden das Sehen. Aber das Bier nicht. Der Verf. trat in eine Kneipschenke ein und genoß, während O[tto] die Gegend genoß, das was in ihr gewachsen war, Bier. Der Kneipwirth und seine Frau haben vielleicht, so lange diese Biersakristei einen Bierkegel als Köder heraushengt, keinem Man eingeschenkt, der von Stande war und ein10 Seidengillet anhatte. Den armen Schelmen bescheerte das Glük einen Biergast, der noch dazu ein Badgast war und sagte, "er reisete heute ins Bad und morgen zurük." Mich dünkt, Fürsten solten es eben so machen und oft in wahren Hundshütten einkehren, damit nur die armen Wirthsleute Jahrelang davon zu leben und zu reden hätten.15 Ich schoß den meinigen ein Dreikreuzerstük hin.
Wir eilten so unserm Steeben zu, daß wir hinter dessen Kirchthurm noch die Sonne untergehen sahen. Der Tag tönte jezt wie ein fernes Echo nach -- von einem Busch zum andern, von einem Gipfel zum andern reichte die Harmonie, die ganze Natur klang und die an Ost20 und Westen aufgebreitete Himmelsröthe glich den aufgeschlagenen mit Rosataft bespanten Thüren eines tönenden Flügels. -- Um 81/2 Uhr liefen die 2 Badgäste in Steeben ein und man bließ sie mit Trompeten und Hörnern wie in Karlsbad, wider ihren Willen an.
Sie standen am Fenster und nach 1/4 Stunde, standen wir am25 nämlichen, wo ich Ihnen diesen Brief gab und den Ihrer Demoiselle Schwester wieß. Um 111/4 Uhr hatten Sie die Güte mir das bewuste Buch aus der Lesegeselschaft auf den Sontag vorzustrecken. -- Da sich meine Feder auf diesem Bisgen Papier kaum rühren kan: so wil ich hier anfangen und kurz sagen: daß ich am Sontag in die Natur, aber30 nicht in die Kirche gieng, sondern vor dem Exordio und nach der Nuzanwendung zu Ihnen -- daß mein lieber Otto auf der Empor für mich sang und saß -- daß wir alle den weisgebleichten Pfarrer und seine Frau und Bibliothek besuchten -- daß wir alle so fröhlich wie Franzosen waren und daß uns nichts fehlte als Zeit -- daß ich Ihnen35 eine Theetasse hinunterstieß und Otto nichts -- daß ich der armen Sabel (sie wohnt ganz draussen in Steeben, ihr Zuname ist Schnauber-
frohen Kindern auf dem Arm vor uns, die wir ſelbſt dazu gehörten. Der blaue Himmel bog ſich wie ein blauer Sonnenſchirm über ein blühendes Mädgen — die Sonne ſtand lächelnd wie eine Mutter am Himmel und ſah den unendlichen Schmuk an, den ſie ihrer Tochter, der Erde, angelegt hatte. Wir vergaſſen unter dem Sehen das Reden und5 [375]unter dem Reden das Sehen. Aber das Bier nicht. Der Verf. trat in eine Kneipſchenke ein und genoß, während O[tto] die Gegend genoß, das was in ihr gewachſen war, Bier. Der Kneipwirth und ſeine Frau haben vielleicht, ſo lange dieſe Bierſakriſtei einen Bierkegel als Köder heraushengt, keinem Man eingeſchenkt, der von Stande war und ein10 Seidengillet anhatte. Den armen Schelmen beſcheerte das Glük einen Biergaſt, der noch dazu ein Badgaſt war und ſagte, „er reiſete heute ins Bad und morgen zurük.“ Mich dünkt, Fürſten ſolten es eben ſo machen und oft in wahren Hundshütten einkehren, damit nur die armen Wirthsleute Jahrelang davon zu leben und zu reden hätten.15 Ich ſchoß den meinigen ein Dreikreuzerſtük hin.
Wir eilten ſo unſerm Steeben zu, daß wir hinter deſſen Kirchthurm noch die Sonne untergehen ſahen. Der Tag tönte jezt wie ein fernes Echo nach — von einem Buſch zum andern, von einem Gipfel zum andern reichte die Harmonie, die ganze Natur klang und die an Oſt20 und Weſten aufgebreitete Himmelsröthe glich den aufgeſchlagenen mit Roſataft beſpanten Thüren eines tönenden Flügels. — Um 8½ Uhr liefen die 2 Badgäſte in Steeben ein und man bließ ſie mit Trompeten und Hörnern wie in Karlsbad, wider ihren Willen an.
Sie ſtanden am Fenſter und nach ¼ Stunde, ſtanden wir am25 nämlichen, wo ich Ihnen dieſen Brief gab und den Ihrer Demoiſelle Schweſter wieß. Um 11¼ Uhr hatten Sie die Güte mir das bewuſte Buch aus der Leſegeſelſchaft auf den Sontag vorzuſtrecken. — Da ſich meine Feder auf dieſem Bisgen Papier kaum rühren kan: ſo wil ich hier anfangen und kurz ſagen: daß ich am Sontag in die Natur, aber30 nicht in die Kirche gieng, ſondern vor dem Exordio und nach der Nuzanwendung zu Ihnen — daß mein lieber Otto auf der Empor für mich ſang und ſaß — daß wir alle den weisgebleichten Pfarrer und ſeine Frau und Bibliothek beſuchten — daß wir alle ſo fröhlich wie Franzoſen waren und daß uns nichts fehlte als Zeit — daß ich Ihnen35 eine Theetaſſe hinunterſtieß und Otto nichts — daß ich der armen Sabel (ſie wohnt ganz drauſſen in Steeben, ihr Zuname iſt Schnauber-
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frohen Kindern auf dem Arm vor uns, die wir ſelbſt dazu gehörten.
Der blaue Himmel bog ſich wie ein blauer Sonnenſchirm über ein
blühendes Mädgen — die Sonne ſtand lächelnd wie eine Mutter am
Himmel und ſah den unendlichen Schmuk an, den ſie ihrer Tochter, der
Erde, angelegt hatte. Wir vergaſſen unter dem Sehen das Reden und 5
unter dem Reden das Sehen. Aber das Bier nicht. Der Verf. trat in
eine Kneipſchenke ein und genoß, während O[tto] die Gegend genoß,
das was in ihr gewachſen war, Bier. Der Kneipwirth und ſeine Frau
haben vielleicht, ſo lange dieſe Bierſakriſtei einen Bierkegel als Köder
heraushengt, keinem Man eingeſchenkt, der von Stande war und ein 10
Seidengillet anhatte. Den armen Schelmen beſcheerte das Glük einen
Biergaſt, der noch dazu ein Badgaſt war und ſagte, „er reiſete heute
ins Bad und morgen zurük.“ Mich dünkt, Fürſten ſolten es eben ſo
machen und oft in wahren Hundshütten einkehren, damit nur die
armen Wirthsleute Jahrelang davon zu leben und zu reden hätten. 15
Ich ſchoß den meinigen ein Dreikreuzerſtük hin.
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Wir eilten ſo unſerm Steeben zu, daß wir hinter deſſen Kirchthurm
noch die Sonne untergehen ſahen. Der Tag tönte jezt wie ein fernes
Echo nach — von einem Buſch zum andern, von einem Gipfel zum
andern reichte die Harmonie, die ganze Natur klang und die an Oſt 20
und Weſten aufgebreitete Himmelsröthe glich den aufgeſchlagenen
mit Roſataft beſpanten Thüren eines tönenden Flügels. — Um
8½ Uhr liefen die 2 Badgäſte in Steeben ein und man bließ ſie mit
Trompeten und Hörnern wie in Karlsbad, wider ihren Willen an.
Sie ſtanden am Fenſter und nach ¼ Stunde, ſtanden wir am 25
nämlichen, wo ich Ihnen dieſen Brief gab und den Ihrer Demoiſelle
Schweſter wieß. Um 11¼ Uhr hatten Sie die Güte mir das bewuſte
Buch aus der Leſegeſelſchaft auf den Sontag vorzuſtrecken. — Da ſich
meine Feder auf dieſem Bisgen Papier kaum rühren kan: ſo wil ich
hier anfangen und kurz ſagen: daß ich am Sontag in die Natur, aber 30
nicht in die Kirche gieng, ſondern vor dem Exordio und nach der
Nuzanwendung zu Ihnen — daß mein lieber Otto auf der Empor für
mich ſang und ſaß — daß wir alle den weisgebleichten Pfarrer und
ſeine Frau und Bibliothek beſuchten — daß wir alle ſo fröhlich wie
Franzoſen waren und daß uns nichts fehlte als Zeit — daß ich Ihnen 35
eine Theetaſſe hinunterſtieß und Otto nichts — daß ich der armen
Sabel (ſie wohnt ganz drauſſen in Steeben, ihr Zuname iſt Schnauber-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/383>, abgerufen am 26.11.2024.
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