Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.sprache und oft die Lieblingssprache der Grossen war. In unsern *) In einer Erzählung eines Kinds ist die nämliche Verschmähung des Puzes
und der Kürze, die nämliche Naivete, die uns oft Laune scheint und keine ist und35 das Vergessen der Erzählers Rolle über die Erzählung wie bei einem Griechen etc. ſprache und oft die Lieblingsſprache der Groſſen war. In unſern *) In einer Erzählung eines Kinds iſt die nämliche Verſchmähung des Puzes
und der Kürze, die nämliche Naivete, die uns oft Laune ſcheint und keine iſt und35 das Vergeſſen der Erzählers Rolle über die Erzählung wie bei einem Griechen ꝛc. <TEI> <text> <body> <div type="letter" n="1"> <p><pb facs="#f0358" n="332"/> ſprache und oft die Lieblingsſprache der Groſſen war. In unſern<lb/> Tagen ſtekt ſicher keine Frau mehr ihren meublierten und infulierten<lb/> Kopf ins klaſſiſche Kummet, wenns nicht des Hermes Töchter thun.<lb/> Das glauben Sie alles auch mit mir, ſo wie ich mit Ihnen, daß man<lb/> die Alten beſſer kommentiere ꝛc. Aber mit dem <hi rendition="#g">Werthe</hi> ihrer Verehrer<lb n="5"/> wuchs ia nicht die <hi rendition="#g">Menge</hi> derſelben und ſtat daß iezt Theologen,<lb/> Mediziner ꝛc. ſich in die Univerſalmonarchie aller Leſer theilen,<lb/> ſizen die <hi rendition="#aq">Humaniora</hi> mit ihren paar pädagogiſchen Lehnleuten<lb/> 〈Voßius〉 auf einem S. Marino Felſen. Jenen Wiſſenſchaften laufen<lb/> die Laien zu, dieſen die Epopten davon. Auch <hi rendition="#g">der Geſchmak</hi> am Geiſt<lb n="10"/> <metamark>[</metamark>der Alten mus ſich abſtumpfen. Darunter<metamark>]</metamark> verſteh’ <metamark>[</metamark>ich<metamark>]</metamark> ihren<lb/> geraden feſten Gang zum Zwek, ihren Has des doppelten dreifachen<lb/> Schmuks (denn man ſchmükt iezt den Schmuk, bindet den Einband ein<lb/> und trägt Ueber-ueberkleider und ſpäter wird man, um ſeine Frau<lb/> ganz zu konſervieren, auf Vice- oder Aſſiſtenzfrauen denken müſſen).<lb n="15"/> Verſchieden <metamark>[</metamark>iſt<metamark>]</metamark> der Geſchmak des Volks und der einzelnen Perſon.<lb/> Geſchmak <metamark>[</metamark>iſt<metamark>]</metamark> noch ſeltner als Genie; da er Sinnen für alle Arten von<lb/> Schönheit vorausſezt ꝛc.; da nur Perſonen von ſeltner Eurythmie und<lb/> Menſur aller Seelenkräfte ſeiner fähig ſind, (daher Home ſagt, Bos-<lb/> heit ꝛc.) da eben deswegen das Genie wegen ſeiner Kraft Plethora<lb n="20"/> entweder keinen Geſchmak oder doch nur in den ſpäten Jahren des<lb/> entladenen elektriſchen Feuers einen hat: ſo kan nie ein Volk ſondern<lb/><note place="left"><ref target="1922_Bd#_351">[351]</ref></note>nur wenige die Nerven dieſes ſeltnen Sinnes haben. Das atheniſche<lb/> und ſeine Autoren hatten weniger Geſchmak als wir und gleichwol iſt<lb/> das Vergnügen an ihren Produkten die Neuner- und Tiegelprobe des<lb n="25"/> beſten Geſchmaks. Die uns unerreichbare, eben deswegen geniesbare<lb/> Simplizität der Alten fühlten die Alten — nicht. Die griechiſche iſt<lb/> von der der Morgenländer, Wilden und Kinder<note place="foot" n="*)">In einer Erzählung eines Kinds iſt die nämliche Verſchmähung des Puzes<lb/> und der Kürze, die nämliche Naivete, die uns oft Laune ſcheint und keine iſt und<lb n="35"/> das Vergeſſen der Erzählers Rolle über die Erzählung wie bei einem Griechen ꝛc.</note> nur im Genie ver-<lb/> ſchieden, womit das heitere griechiſche Klima iene Einfachheit aus-<lb/> zeichnete; ſie iſt nicht eine Wirkung ſondern Vorläuferin der Kultur.<lb n="30"/> Eben ungebildete Völker ſchreiben einfach 1) wegen geringerer Ein-,<lb/> Aus-, Überſichten wie bei Kindern ꝛc. 2) <metamark>[</metamark>wegen der<metamark>]</metamark> Neuheit, die ſie<lb/> an <metamark>[</metamark>den<metamark>]</metamark> Gegenſtand heftet und vom Puz wegreiſſet 3) <metamark>[</metamark>wegen ihres<metamark>]</metamark><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [332/0358]
ſprache und oft die Lieblingsſprache der Groſſen war. In unſern
Tagen ſtekt ſicher keine Frau mehr ihren meublierten und infulierten
Kopf ins klaſſiſche Kummet, wenns nicht des Hermes Töchter thun.
Das glauben Sie alles auch mit mir, ſo wie ich mit Ihnen, daß man
die Alten beſſer kommentiere ꝛc. Aber mit dem Werthe ihrer Verehrer 5
wuchs ia nicht die Menge derſelben und ſtat daß iezt Theologen,
Mediziner ꝛc. ſich in die Univerſalmonarchie aller Leſer theilen,
ſizen die Humaniora mit ihren paar pädagogiſchen Lehnleuten
〈Voßius〉 auf einem S. Marino Felſen. Jenen Wiſſenſchaften laufen
die Laien zu, dieſen die Epopten davon. Auch der Geſchmak am Geiſt 10
[der Alten mus ſich abſtumpfen. Darunter] verſteh’ [ich] ihren
geraden feſten Gang zum Zwek, ihren Has des doppelten dreifachen
Schmuks (denn man ſchmükt iezt den Schmuk, bindet den Einband ein
und trägt Ueber-ueberkleider und ſpäter wird man, um ſeine Frau
ganz zu konſervieren, auf Vice- oder Aſſiſtenzfrauen denken müſſen). 15
Verſchieden [iſt] der Geſchmak des Volks und der einzelnen Perſon.
Geſchmak [iſt] noch ſeltner als Genie; da er Sinnen für alle Arten von
Schönheit vorausſezt ꝛc.; da nur Perſonen von ſeltner Eurythmie und
Menſur aller Seelenkräfte ſeiner fähig ſind, (daher Home ſagt, Bos-
heit ꝛc.) da eben deswegen das Genie wegen ſeiner Kraft Plethora 20
entweder keinen Geſchmak oder doch nur in den ſpäten Jahren des
entladenen elektriſchen Feuers einen hat: ſo kan nie ein Volk ſondern
nur wenige die Nerven dieſes ſeltnen Sinnes haben. Das atheniſche
und ſeine Autoren hatten weniger Geſchmak als wir und gleichwol iſt
das Vergnügen an ihren Produkten die Neuner- und Tiegelprobe des 25
beſten Geſchmaks. Die uns unerreichbare, eben deswegen geniesbare
Simplizität der Alten fühlten die Alten — nicht. Die griechiſche iſt
von der der Morgenländer, Wilden und Kinder *) nur im Genie ver-
ſchieden, womit das heitere griechiſche Klima iene Einfachheit aus-
zeichnete; ſie iſt nicht eine Wirkung ſondern Vorläuferin der Kultur. 30
Eben ungebildete Völker ſchreiben einfach 1) wegen geringerer Ein-,
Aus-, Überſichten wie bei Kindern ꝛc. 2) [wegen der] Neuheit, die ſie
an [den] Gegenſtand heftet und vom Puz wegreiſſet 3) [wegen ihres]
[351]
*) In einer Erzählung eines Kinds iſt die nämliche Verſchmähung des Puzes
und der Kürze, die nämliche Naivete, die uns oft Laune ſcheint und keine iſt und 35
das Vergeſſen der Erzählers Rolle über die Erzählung wie bei einem Griechen ꝛc.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen). Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |