der Dichter trocken. Vor 10 Jahren kreuzigte ich mich vor dem Rechte, besonders dem LehnR[echte]; iezt siz' ich mit Wollust darüber.
II. Wegen deiner Klage über die Einkleidung. Wenn du diesem Theorem eine geben woltest: so köntest du es, nach deiner "Danziger" Probe, von einem algemeinen Saz eine individuelle Anwendung zu5 machen. Nehm' eine wahre Linie, die eine Erbschaft erstreiten wil[339] und defendiere stat der Wahrheit den adelichen Stam: so könte man sogar Feudal-Leserinnen um sich sammeln, auf eine so leichte und so närrische Art wird das Interesse der Menschen gewonnen und ver- scherzt. Sogar in Schriften mus man wie in Geselschaften von Perso-10 nen stat von Sachen reden und diese in iene verkörpern. "Weibliche Müzen sizen schlecht." Das ist der algemeine Saz und wenn du ihn einem Mädgen vorträgst: so hat es ihn vor dem Sontage vergessen. Sagst du aber: "im Schreibspiel besprizten verschiedne Federn dasige "weibliche Müzen und schwärzten sie an": so bleibts. Die unnöthige15 Erläuterung meines Raths ist wie ich sehe auch eine Ausführung desselben.
III. Wegen der Stellung der Beweise. Es giebt zweierlei Stel- lungen -- die deutsche, langweilige, logische, analytische Stellung -- und zweitens die französische, interessante und synthetische. Bei iener20 fängst du wie ein Kompendium an und schickest mit algemeinen, be- kanten, zugestandnen Säzen soviel Eckel voraus, daß der Leser nicht weiter mit dir geht. Die zweite (die Voltairische, Mösersche, Addi- sonsche) umstrikt und fässet den Leser sogleich mit einem wichtigen, partikularen Saz und zieht und schleift ihn an diesem Interesse zu den25 minder interessanten Beweisen. Bleibe also bei deiner, wo du sogleich dadurch, daß du den Leser ins Gesez wirfst und in die Hauptsache, Interesse gewinst, das du einbüssetest, wenn die Dedukzion aus dem primo adquirente vorstände. Der noch wichtigere Grund ist aber der, daß die Dedukzion p. 20 etc. das Gesez II. F. 50 und die bessere Inter-30 pretazion des Gesezes II. F. 37 rechtfertigt und wahrscheinlich macht und also besser zulezt steht. Da am Ende alles auf Geseze und nichts auf algemeine Schlüsse ankömt: so sind diese nur das Anhängsel von ienen und können iene nur erläutern, nie ersezen. Nicht die Vernunft- mässigkeit sondern das Dasein des Gesezes habt ihr zu erweisen.35
Uebrigens dünkt mich, hättest du dir einige Mühe Worte erspart, wenn du F. 50 zum Grunde geleget und F. 37 als einen Einwand be-
21 Jean Paul Briefe. I.
der Dichter trocken. Vor 10 Jahren kreuzigte ich mich vor dem Rechte, beſonders dem LehnR[echte]; iezt ſiz’ ich mit Wolluſt darüber.
II. Wegen deiner Klage über die Einkleidung. Wenn du dieſem Theorem eine geben wolteſt: ſo könteſt du es, nach deiner „Danziger“ Probe, von einem algemeinen Saz eine individuelle Anwendung zu5 machen. Nehm’ eine wahre Linie, die eine Erbſchaft erſtreiten wil[339] und defendiere ſtat der Wahrheit den adelichen Stam: ſo könte man ſogar Feudal-Leſerinnen um ſich ſammeln, auf eine ſo leichte und ſo närriſche Art wird das Intereſſe der Menſchen gewonnen und ver- ſcherzt. Sogar in Schriften mus man wie in Geſelſchaften von Perſo-10 nen ſtat von Sachen reden und dieſe in iene verkörpern. „Weibliche Müzen ſizen ſchlecht.“ Das iſt der algemeine Saz und wenn du ihn einem Mädgen vorträgſt: ſo hat es ihn vor dem Sontage vergeſſen. Sagſt du aber: „im Schreibſpiel beſprizten verſchiedne Federn daſige „weibliche Müzen und ſchwärzten ſie an“: ſo bleibts. Die unnöthige15 Erläuterung meines Raths iſt wie ich ſehe auch eine Ausführung deſſelben.
III. Wegen der Stellung der Beweiſe. Es giebt zweierlei Stel- lungen — die deutſche, langweilige, logiſche, analytiſche Stellung — und zweitens die franzöſiſche, intereſſante und ſynthetiſche. Bei iener20 fängſt du wie ein Kompendium an und ſchickeſt mit algemeinen, be- kanten, zugeſtandnen Säzen ſoviel Eckel voraus, daß der Leſer nicht weiter mit dir geht. Die zweite (die Voltairiſche, Möſerſche, Addi- ſonſche) umſtrikt und fäſſet den Leſer ſogleich mit einem wichtigen, partikularen Saz und zieht und ſchleift ihn an dieſem Intereſſe zu den25 minder intereſſanten Beweiſen. Bleibe alſo bei deiner, wo du ſogleich dadurch, daß du den Leſer ins Geſez wirfſt und in die Hauptſache, Intereſſe gewinſt, das du einbüſſeteſt, wenn die Dedukzion aus dem primo adquirente vorſtände. Der noch wichtigere Grund iſt aber der, daß die Dedukzion p. 20 ꝛc. das Geſez II. F. 50 und die beſſere Inter-30 pretazion des Geſezes II. F. 37 rechtfertigt und wahrſcheinlich macht und alſo beſſer zulezt ſteht. Da am Ende alles auf Geſeze und nichts auf algemeine Schlüſſe ankömt: ſo ſind dieſe nur das Anhängſel von ienen und können iene nur erläutern, nie erſezen. Nicht die Vernunft- mäſſigkeit ſondern das Daſein des Geſezes habt ihr zu erweiſen.35
Uebrigens dünkt mich, hätteſt du dir einige Mühe 〈Worte〉 erſpart, wenn du F. 50 zum Grunde geleget und F. 37 als einen Einwand be-
21 Jean Paul Briefe. I.
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der Dichter trocken. Vor 10 Jahren kreuzigte ich mich vor dem
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II. Wegen deiner Klage über die Einkleidung. Wenn du dieſem
Theorem eine geben wolteſt: ſo könteſt du es, nach deiner „Danziger“
Probe, von einem algemeinen Saz eine individuelle Anwendung zu 5
machen. Nehm’ eine wahre Linie, die eine Erbſchaft erſtreiten wil
und defendiere ſtat der Wahrheit den adelichen Stam: ſo könte man
ſogar Feudal-Leſerinnen um ſich ſammeln, auf eine ſo leichte und ſo
närriſche Art wird das Intereſſe der Menſchen gewonnen und ver-
ſcherzt. Sogar in Schriften mus man wie in Geſelſchaften von Perſo- 10
nen ſtat von Sachen reden und dieſe in iene verkörpern. „Weibliche
Müzen ſizen ſchlecht.“ Das iſt der algemeine Saz und wenn du ihn
einem Mädgen vorträgſt: ſo hat es ihn vor dem Sontage vergeſſen.
Sagſt du aber: „im Schreibſpiel beſprizten verſchiedne Federn daſige
„weibliche Müzen und ſchwärzten ſie an“: ſo bleibts. Die unnöthige 15
Erläuterung meines Raths iſt wie ich ſehe auch eine Ausführung
deſſelben.
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III. Wegen der Stellung der Beweiſe. Es giebt zweierlei Stel-
lungen — die deutſche, langweilige, logiſche, analytiſche Stellung —
und zweitens die franzöſiſche, intereſſante und ſynthetiſche. Bei iener 20
fängſt du wie ein Kompendium an und ſchickeſt mit algemeinen, be-
kanten, zugeſtandnen Säzen ſoviel Eckel voraus, daß der Leſer nicht
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ſonſche) umſtrikt und fäſſet den Leſer ſogleich mit einem wichtigen,
partikularen Saz und zieht und ſchleift ihn an dieſem Intereſſe zu den 25
minder intereſſanten Beweiſen. Bleibe alſo bei deiner, wo du ſogleich
dadurch, daß du den Leſer ins Geſez wirfſt und in die Hauptſache,
Intereſſe gewinſt, das du einbüſſeteſt, wenn die Dedukzion aus dem
primo adquirente vorſtände. Der noch wichtigere Grund iſt aber der,
daß die Dedukzion p. 20 ꝛc. das Geſez II. F. 50 und die beſſere Inter- 30
pretazion des Geſezes II. F. 37 rechtfertigt und wahrſcheinlich macht
und alſo beſſer zulezt ſteht. Da am Ende alles auf Geſeze und nichts
auf algemeine Schlüſſe ankömt: ſo ſind dieſe nur das Anhängſel von
ienen und können iene nur erläutern, nie erſezen. Nicht die Vernunft-
mäſſigkeit ſondern das Daſein des Geſezes habt ihr zu erweiſen. 35
Uebrigens dünkt mich, hätteſt du dir einige Mühe 〈Worte〉 erſpart,
wenn du F. 50 zum Grunde geleget und F. 37 als einen Einwand be-
21 Jean Paul Briefe. I.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/347>, abgerufen am 16.02.2025.
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