formen können; aber das Jahrhundert und das Volk brütet ihn fort- während und lebendig und handelnd an, der Erzieher hingegen wirkt nur wenige Jahre -- rukweise und redend. Aus der Mühsamkeit, mit der man sich selbst zu etwas besserem ausmünzt, lässet sich die noch grössere schliessen, mit der ein anderer es an uns thue: denn können meine eignen5 Vorstellungen, deren Dasein doch schon einen für sie günstigen Boden voraussezt und die am lebhaftesten und unausgesezt auf mich wirken, gleichwol mich nur so langsam umformen: wie wenig müssen es erst fremde vermögen, denen diese Vortheile sämtlich fehlen! -- Unsre Erziehungen taugen nur zur Beschleunigung der Ausbildung, nicht10 zur Ausbildung selbst. -- Vollends Menschen höherer Gattung behalten in ihren Gehirnen so wenig Eindrücke von der Schulbank, worauf sie sassen, als das der Schulbank nächste Glied. Nur der stärkere, höchstens gleiche Geist wirkt und bildet am andern Geist mit Erfolg. Doch wird die Nachahmerkohorte nie einen originalen Styl erhalten, sie mag15 lesen was sie wil, und nicht Göthe sondern ihre Schwäche ist schuld, so wie er seinen nie verlieren wird, er mag lesen was [er] wil. Ohne diese athletische Unbiegsamkeit einiger knöchernen Seelen wäre ia die Vor- sehung nie im Stand, ganzen Jahrhunderten und Völkern andre Stösse zu geben und sie aus ihrer Bahn zu biegen. -- Vielleicht ist am Herzen20 der Boden und seine Früchte zu unterscheiden, 2 Dinge, die oft von ganz entgegen[geseztem] Werth sind. Über iedes Menschen Triebe herscht ein höheres sie alle tingierendes Prinzip, das allein seinen Werth bestimt. Ohne dieses edle Prinzip wird ein Mensch, er sei so tugend- hast als er wolle und kan, nie edel sein -- 100 mal hat er wie Thiere25 Tugenden ohne edel und Laster ohne unedel zu sein. Man könte das Wesen dieses Prinzips in Losreissung vom Irdischen sezen oder An- pichung an dasselbe ... solche Menschen, die alles auf der Erde für [308]Mittel, nicht für Zwek ansehen, die wie Shakesp[eare] und die meisten Engländer das Gefühl der Eitelkeit aller Dinge in ihrem Busen30 tragen, die, von der hiesigen irdischen Bestrebung nicht mitfortgerissen, von unsern Menschenfreuden und Leiden unbetäubt, geniessen, leiden und thun nur mit dem besonnenen Blik entweder nach einer andern Welt oder nach dem Grabe -- können nur von der Natur gebildet und vom Schiksal nie gemisbildet werden. -- Diese Denkungsart wird35 weder von der Philosophie noch Religion noch Poesie verliehen aber wol gestärkt; und durch Geselschaften, Arbeiten, Aemter -- entnervt. --
formen können; aber das Jahrhundert und das Volk brütet ihn fort- während und lebendig und handelnd an, der Erzieher hingegen wirkt nur wenige Jahre — rukweiſe und redend. Aus der Mühſamkeit, mit der man ſich ſelbſt zu etwas beſſerem ausmünzt, läſſet ſich die noch gröſſere ſchlieſſen, mit der ein anderer es an uns thue: denn können meine eignen5 Vorſtellungen, deren Daſein doch ſchon einen für ſie günſtigen Boden vorausſezt und die am lebhafteſten und unausgeſezt auf mich wirken, gleichwol mich nur ſo langſam umformen: wie wenig müſſen es erſt fremde vermögen, denen dieſe Vortheile ſämtlich fehlen! — Unſre Erziehungen taugen nur zur Beſchleunigung der Ausbildung, nicht10 zur Ausbildung ſelbſt. — Vollends Menſchen höherer Gattung behalten in ihren Gehirnen ſo wenig Eindrücke von der Schulbank, worauf ſie ſaſſen, als das der Schulbank nächſte Glied. Nur der ſtärkere, höchſtens gleiche Geiſt wirkt und bildet am andern Geiſt mit Erfolg. Doch wird die Nachahmerkohorte nie einen originalen Styl erhalten, ſie mag15 leſen was ſie wil, und nicht Göthe ſondern ihre Schwäche iſt ſchuld, ſo wie er ſeinen nie verlieren wird, er mag leſen was [er] wil. Ohne dieſe athletiſche Unbiegſamkeit einiger knöchernen Seelen wäre ia die Vor- ſehung nie im Stand, ganzen Jahrhunderten und Völkern andre Stöſſe zu geben und ſie aus ihrer Bahn zu biegen. — Vielleicht iſt am Herzen20 der Boden und ſeine Früchte zu unterſcheiden, 2 Dinge, die oft von ganz entgegen[geſeztem] Werth ſind. Über iedes Menſchen Triebe herſcht ein höheres ſie alle tingierendes Prinzip, das allein ſeinen Werth beſtimt. Ohne dieſes edle Prinzip wird ein Menſch, er ſei ſo tugend- haſt als er wolle und kan, nie edel ſein — 100 mal hat er wie Thiere25 Tugenden ohne edel und Laſter ohne unedel zu ſein. Man könte das Weſen dieſes Prinzips in Losreiſſung vom Irdiſchen ſezen oder An- pichung an daſſelbe … ſolche Menſchen, die alles auf der Erde für [308]Mittel, nicht für Zwek anſehen, die wie Shakeſp[eare] und die meiſten Engländer das Gefühl der Eitelkeit aller Dinge in ihrem Buſen30 tragen, die, von der hieſigen irdiſchen Beſtrebung nicht mitfortgeriſſen, von unſern Menſchenfreuden und Leiden unbetäubt, genieſſen, leiden und thun nur mit dem beſonnenen Blik entweder nach einer andern Welt oder nach dem Grabe — können nur von der Natur gebildet und vom Schikſal nie gemisbildet werden. — Dieſe Denkungsart wird35 weder von der Philoſophie noch Religion noch Poeſie verliehen aber wol geſtärkt; und durch Geſelſchaften, Arbeiten, Aemter — entnervt. —
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formen können; aber das Jahrhundert und das Volk brütet ihn fort-
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man ſich ſelbſt zu etwas beſſerem ausmünzt, läſſet ſich die noch gröſſere
ſchlieſſen, mit der ein anderer es an uns thue: denn können meine eignen 5
Vorſtellungen, deren Daſein doch ſchon einen für ſie günſtigen Boden
vorausſezt und die am lebhafteſten und unausgeſezt auf mich wirken,
gleichwol mich nur ſo langſam umformen: wie wenig müſſen es erſt
fremde vermögen, denen dieſe Vortheile ſämtlich fehlen! — Unſre
Erziehungen taugen nur zur Beſchleunigung der Ausbildung, nicht 10
zur Ausbildung ſelbſt. — Vollends Menſchen höherer Gattung behalten
in ihren Gehirnen ſo wenig Eindrücke von der Schulbank, worauf ſie
ſaſſen, als das der Schulbank nächſte Glied. Nur der ſtärkere, höchſtens
gleiche Geiſt wirkt und bildet am andern Geiſt mit Erfolg. Doch wird
die Nachahmerkohorte nie einen originalen Styl erhalten, ſie mag 15
leſen was ſie wil, und nicht Göthe ſondern ihre Schwäche iſt ſchuld, ſo
wie er ſeinen nie verlieren wird, er mag leſen was [er] wil. Ohne dieſe
athletiſche Unbiegſamkeit einiger knöchernen Seelen wäre ia die Vor-
ſehung nie im Stand, ganzen Jahrhunderten und Völkern andre Stöſſe
zu geben und ſie aus ihrer Bahn zu biegen. — Vielleicht iſt am Herzen 20
der Boden und ſeine Früchte zu unterſcheiden, 2 Dinge, die oft von ganz
entgegen[geſeztem] Werth ſind. Über iedes Menſchen Triebe herſcht
ein höheres ſie alle tingierendes Prinzip, das allein ſeinen Werth
beſtimt. Ohne dieſes edle Prinzip wird ein Menſch, er ſei ſo tugend-
haſt als er wolle und kan, nie edel ſein — 100 mal hat er wie Thiere 25
Tugenden ohne edel und Laſter ohne unedel zu ſein. Man könte das
Weſen dieſes Prinzips in Losreiſſung vom Irdiſchen ſezen oder An-
pichung an daſſelbe … ſolche Menſchen, die alles auf der Erde für
Mittel, nicht für Zwek anſehen, die wie Shakeſp[eare] und die meiſten
Engländer das Gefühl der Eitelkeit aller Dinge in ihrem Buſen 30
tragen, die, von der hieſigen irdiſchen Beſtrebung nicht mitfortgeriſſen,
von unſern Menſchenfreuden und Leiden unbetäubt, genieſſen, leiden
und thun nur mit dem beſonnenen Blik entweder nach einer andern
Welt oder nach dem Grabe — können nur von der Natur gebildet
und vom Schikſal nie gemisbildet werden. — Dieſe Denkungsart wird 35
weder von der Philoſophie noch Religion noch Poeſie verliehen aber
wol geſtärkt; und durch Geſelſchaften, Arbeiten, Aemter — entnervt. —
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/318>, abgerufen am 24.11.2024.
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