hierin zum Ventilator und Erdbebenableiter zu machen, der ist sehr schlim daran. Einer der sich daran gewöhnt hat an einen solchen Abßes, weis, wenn er Einen Tag ausbleibt, gar nicht mehr selbst zu bleiben. -- Es mus dem Publikum misfallen, daß dieses Stambuch, das eine Polyglotte, wenigstens Hexapla von Sprachen sein solte,5 nicht einmal Einen hebräischen Buchstaben aufzeigt, der übrigen morgen[ländischen], afrikanischen, amerikanischen Sprachen gar nicht zu gedenken. Ich habe mit Verwunderung fruchtlos nach einem Quodlibet im Buche herumgeblättert und muste den [?] Band ausser demselben für eines annehmen. -- Ein zweiter Jammer ists, daß die10 Arbeiten im theologischen Fache darin so sehr fehlen, daß einer schlecht fahren würde, der das Stambuch zu einem Spruchkästlein zu brauchen wünschte. Sowenig Rezensionen so wie die ersten Grundsäze alles Denkens eines Beweises fähig oder bedürftig sind: so glaubt doch Rezensent, zumal da er zugleich Selbstrezensent ist, seinen Tadel mit15 einem Beispiele belegen zu müssen und er hebt dazu das nächste aus, das noch darzu nicht das elendeste ist:
"Wirds (sagt der H. Verfasser) mein guter Herman, wol der Mühe werth sein, zwischen Erinnerung und Vergessenheit, zwischen Vergnügen und Schmerz einen Unterschied zu machen und mir die erste20 und dir das zweite zu wünschen, in einem Traum- und Theaterleben wie diesem mein' ich, in dieser dunkeln Ekke des Universums, in einer Welt, die der kleinste Zähler einer bessern ist, in einer hypochondrischen, in einer verwitternden, zerstöhrten und zerstöhrenden, in einer wo man im 24 Jahr noch nicht in Weimar sizt, in einer wo du dich weg nach[251]25 Erlang verlierst, in einer wo dein Kopf vol Avtochthonen Ideen und Systemen auf einem unsystematischen kranken Körper wächst, in einer wo glaub' ich die Stadtpf[arrer] nicht besser sind als die Landpf[arrer], in einer wo alles im Wechsel zerfährt, meine Lustigkeit auf dem Neben- blatte, Oerthel und zur Hälfte einmal30
Dein Freund?"
213. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Töpen den 6 April 88.
Lieber Herr Pfarrer,
H. Herman hörte in Töpen den elendesten aller Geistlichen -- der35 zur geistlichen Makulatur und den priesterlichen Fidibus gehört: da
hierin zum Ventilator und Erdbebenableiter zu machen, der iſt ſehr ſchlim daran. Einer der ſich daran gewöhnt hat an einen ſolchen Abſzes, weis, wenn er Einen Tag ausbleibt, gar nicht mehr ſelbſt zu bleiben. — Es mus dem Publikum misfallen, daß dieſes Stambuch, das eine Polyglotte, wenigſtens Hexapla von Sprachen ſein ſolte,5 nicht einmal Einen hebräiſchen Buchſtaben aufzeigt, der übrigen morgen[ländiſchen], afrikaniſchen, amerikaniſchen Sprachen gar nicht zu gedenken. Ich habe mit Verwunderung fruchtlos nach einem Quodlibet im Buche herumgeblättert und muſte den [?] Band auſſer demſelben für eines annehmen. — Ein zweiter Jammer iſts, daß die10 Arbeiten im theologiſchen Fache darin ſo ſehr fehlen, daß einer ſchlecht fahren würde, der das Stambuch zu einem Spruchkäſtlein zu brauchen wünſchte. Sowenig Rezenſionen ſo wie die erſten Grundſäze alles Denkens eines Beweiſes fähig oder bedürftig ſind: ſo glaubt doch Rezenſent, zumal da er zugleich Selbſtrezenſent iſt, ſeinen Tadel mit15 einem Beiſpiele belegen zu müſſen und er hebt dazu das nächſte aus, das noch darzu nicht das elendeſte iſt:
„Wirds (ſagt der H. Verfaſſer) mein guter Herman, wol der Mühe werth ſein, zwiſchen Erinnerung und Vergeſſenheit, zwiſchen Vergnügen und Schmerz einen Unterſchied zu machen und mir die erſte20 und dir das zweite zu wünſchen, in einem Traum- und Theaterleben wie dieſem mein’ ich, in dieſer dunkeln Ekke des Univerſums, in einer Welt, die der kleinſte Zähler einer beſſern iſt, in einer hypochondriſchen, in einer verwitternden, zerſtöhrten und zerſtöhrenden, in einer wo man im 24 Jahr noch nicht in Weimar ſizt, in einer wo du dich weg nach[251]25 Erlang verlierſt, in einer wo dein Kopf vol Avtochthonen Ideen und Syſtemen auf einem unſyſtematiſchen kranken Körper wächſt, in einer wo glaub’ ich die Stadtpf[arrer] nicht beſſer ſind als die Landpf[arrer], in einer wo alles im Wechſel zerfährt, meine Luſtigkeit auf dem Neben- blatte, Oerthel und zur Hälfte einmal30
Dein Freund?“
213. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Töpen den 6 April 88.
Lieber Herr Pfarrer,
H. Herman hörte in Töpen den elendeſten aller Geiſtlichen — der35 zur geiſtlichen Makulatur und den prieſterlichen Fidibus gehört: da
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hierin zum Ventilator und Erdbebenableiter zu machen, der iſt ſehr
ſchlim daran. Einer der ſich daran gewöhnt hat an einen ſolchen
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bleiben. — Es mus dem Publikum misfallen, daß dieſes Stambuch,
das eine Polyglotte, wenigſtens Hexapla von Sprachen ſein ſolte, 5
nicht einmal Einen hebräiſchen Buchſtaben aufzeigt, der übrigen
morgen[ländiſchen], afrikaniſchen, amerikaniſchen Sprachen gar nicht
zu gedenken. Ich habe mit Verwunderung fruchtlos nach einem
Quodlibet im Buche herumgeblättert und muſte den [?] Band auſſer
demſelben für eines annehmen. — Ein zweiter Jammer iſts, daß die 10
Arbeiten im theologiſchen Fache darin ſo ſehr fehlen, daß einer ſchlecht
fahren würde, der das Stambuch zu einem Spruchkäſtlein zu brauchen
wünſchte. Sowenig Rezenſionen ſo wie die erſten Grundſäze alles
Denkens eines Beweiſes fähig oder bedürftig ſind: ſo glaubt doch
Rezenſent, zumal da er zugleich Selbſtrezenſent iſt, ſeinen Tadel mit 15
einem Beiſpiele belegen zu müſſen und er hebt dazu das nächſte aus,
das noch darzu nicht das elendeſte iſt:
„Wirds (ſagt der H. Verfaſſer) mein guter Herman, wol der
Mühe werth ſein, zwiſchen Erinnerung und Vergeſſenheit, zwiſchen
Vergnügen und Schmerz einen Unterſchied zu machen und mir die erſte 20
und dir das zweite zu wünſchen, in einem Traum- und Theaterleben
wie dieſem mein’ ich, in dieſer dunkeln Ekke des Univerſums, in einer
Welt, die der kleinſte Zähler einer beſſern iſt, in einer hypochondriſchen,
in einer verwitternden, zerſtöhrten und zerſtöhrenden, in einer wo man
im 24 Jahr noch nicht in Weimar ſizt, in einer wo du dich weg nach 25
Erlang verlierſt, in einer wo dein Kopf vol Avtochthonen Ideen und
Syſtemen auf einem unſyſtematiſchen kranken Körper wächſt, in einer
wo glaub’ ich die Stadtpf[arrer] nicht beſſer ſind als die Landpf[arrer],
in einer wo alles im Wechſel zerfährt, meine Luſtigkeit auf dem Neben-
blatte, Oerthel und zur Hälfte einmal 30
[251]Dein Freund?“
213. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Töpen den 6 April 88.
Lieber Herr Pfarrer,
H. Herman hörte in Töpen den elendeſten aller Geiſtlichen — der 35
zur geiſtlichen Makulatur und den prieſterlichen Fidibus gehört: da
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/262>, abgerufen am 16.02.2025.
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