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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

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195. An Rektor Georg Wilhelm Kirsch in Hof.
[Kopie]

Ich habe keine Entschuldigung, daß ich den Cilano so lange als wolt'
ich ihn rezensiren, bessern Lesern entzogen: ausser die, daß ich noch mehr
thun und ihn so gar lesen wolte ... Menschen, die ihr ganzes Leben5
durch Billigkeit [?] lieben, bewerben sich um nichts als mir dieses Lob
zu geben.

196. An Pfarrer Vogel in Rehau.
p. p.
Liebster Herr Pfarrer,
10

Hier send' ich Ihnen den armen hinkenden Epiktet. Ohne ihn wär'
[240]ich oft arm gewesen. Antonin redet zum Herzen, Epiktet zum Kopfe.
Auch in diesem wird Ihnen die Widerlegung der theologischen Fabel
begegnen, als ob die alten Philosophen die Tugend von aller Rüksicht
auf Got losgetrennet hätten. Ich selber kan iezt beide weniger als15
sonst von einander sondern; ohne den Aufblik zum volkommensten
Wesen ist die Tugend kalt, oft ohne Aufmunterung und Flügel, ohne
Freude; und das nämliche Ideal der Tugend, das ich in meinem Kopfe
aufgestellet habe und an dem ich iede andere, selbst die götliche zu prüfen
scheine, ründete ia eben erst der Schöpfer selbst: wie sol er nicht das20
Ideal der Tugend sein können, da er mir erst meines einschuf.

"Die Tugend ist Nachahmung Gottes" wäre eine der erhabensten
Vorstellungen, wenn nicht die Kanzeln es zu einer der abgegriffend-
sten [!] gemacht hätten.

Ich habe Lust, Ihnen im nächsten Briefe für folgende Bücher zu25
danken:

1. Den neuesten Theil von Nikolais Reisen, den Sie zu Hause
haben.
2. Den 6 Theil der griechischen Geschichte, wenn Sie auf kurze Zeit
könten.30
3. Derhams Physikotheologie.
4. Priestley Verfälschungen des Christenthums, den wahren ersten
Theil.
5. Den Stok des H. Kammerraths.
195. An Rektor Georg Wilhelm Kirſch in Hof.
[Kopie]

Ich habe keine Entſchuldigung, daß ich den Cilano ſo lange als wolt’
ich ihn rezenſiren, beſſern Leſern entzogen: auſſer die, daß ich noch mehr
thun und ihn ſo gar leſen wolte … Menſchen, die ihr ganzes Leben5
durch Billigkeit [?] lieben, bewerben ſich um nichts als mir dieſes Lob
zu geben.

196. An Pfarrer Vogel in Rehau.
p. p.
Liebſter Herr Pfarrer,
10

Hier ſend’ ich Ihnen den armen hinkenden Epiktet. Ohne ihn wär’
[240]ich oft arm geweſen. Antonin redet zum Herzen, Epiktet zum Kopfe.
Auch in dieſem wird Ihnen die Widerlegung der theologiſchen Fabel
begegnen, als ob die alten Philoſophen die Tugend von aller Rükſicht
auf Got losgetrennet hätten. Ich ſelber kan iezt beide weniger als15
ſonſt von einander ſondern; ohne den Aufblik zum volkommenſten
Weſen iſt die Tugend kalt, oft ohne Aufmunterung und Flügel, ohne
Freude; und das nämliche Ideal der Tugend, das ich in meinem Kopfe
aufgeſtellet habe und an dem ich iede andere, ſelbſt die götliche zu prüfen
ſcheine, ründete ia eben erſt der Schöpfer ſelbſt: wie ſol er nicht das20
Ideal der Tugend ſein können, da er mir erſt meines einſchuf.

„Die Tugend iſt Nachahmung Gottes“ wäre eine der erhabenſten
Vorſtellungen, wenn nicht die Kanzeln es zu einer der abgegriffend-
ſten [!] gemacht hätten.

Ich habe Luſt, Ihnen im nächſten Briefe für folgende Bücher zu25
danken:

1. Den neueſten Theil von Nikolais Reiſen, den Sie zu Hauſe
haben.
2. Den 6 Theil der griechiſchen Geſchichte, wenn Sie auf kurze Zeit
könten.30
3. Derhams Phyſikotheologie.
4. Prieſtley Verfälſchungen des Chriſtenthums, den wahren erſten
Theil.
5. Den Stok des H. Kammerraths.
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[226/0251] 195. An Rektor Georg Wilhelm Kirſch in Hof. [Töpen, 1. Mai 1787] Ich habe keine Entſchuldigung, daß ich den Cilano ſo lange als wolt’ ich ihn rezenſiren, beſſern Leſern entzogen: auſſer die, daß ich noch mehr thun und ihn ſo gar leſen wolte … Menſchen, die ihr ganzes Leben 5 durch Billigkeit [?] lieben, bewerben ſich um nichts als mir dieſes Lob zu geben. 196. An Pfarrer Vogel in Rehau. p. p. Liebſter Herr Pfarrer, 10 Hier ſend’ ich Ihnen den armen hinkenden Epiktet. Ohne ihn wär’ ich oft arm geweſen. Antonin redet zum Herzen, Epiktet zum Kopfe. Auch in dieſem wird Ihnen die Widerlegung der theologiſchen Fabel begegnen, als ob die alten Philoſophen die Tugend von aller Rükſicht auf Got losgetrennet hätten. Ich ſelber kan iezt beide weniger als 15 ſonſt von einander ſondern; ohne den Aufblik zum volkommenſten Weſen iſt die Tugend kalt, oft ohne Aufmunterung und Flügel, ohne Freude; und das nämliche Ideal der Tugend, das ich in meinem Kopfe aufgeſtellet habe und an dem ich iede andere, ſelbſt die götliche zu prüfen ſcheine, ründete ia eben erſt der Schöpfer ſelbſt: wie ſol er nicht das 20 Ideal der Tugend ſein können, da er mir erſt meines einſchuf. [240] „Die Tugend iſt Nachahmung Gottes“ wäre eine der erhabenſten Vorſtellungen, wenn nicht die Kanzeln es zu einer der abgegriffend- ſten [!] gemacht hätten. Ich habe Luſt, Ihnen im nächſten Briefe für folgende Bücher zu 25 danken: 1. Den neueſten Theil von Nikolais Reiſen, den Sie zu Hauſe haben. 2. Den 6 Theil der griechiſchen Geſchichte, wenn Sie auf kurze Zeit könten. 30 3. Derhams Phyſikotheologie. 4. Prieſtley Verfälſchungen des Chriſtenthums, den wahren erſten Theil. 5. Den Stok des H. Kammerraths.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/251>, abgerufen am 27.04.2024.