Die "Naturwissenschaft" hat mit der "Kritik" des Kants keine Ver- bindung und man kan eine ohne die andere lesen. Um die mendel- sohnsche Hofnung, daß Kant eben so gut aufbauen werde als er niedergerissen, hat er sich gar nicht bekümmert. Er hat zwar ein Lehrgebäude wieder hergesezt, aber die Mathematik hat es bezogen;5 die Metaphysik läuft, (nach seinem Petalismus mit Papier blättern,) vergeblich schon viele Wochen nach einem Papagai-Bauer, oder auch Mirakulatorium zu Zürch herum und wil gar in die 12 himlischen Häuser hinein, wiewol neulich Feder ihr sagen lassen, er halte in seinem Hause wirklich ein Laboratorium für sie leer. -- Die Natur-10 wissenschaft ist in den meisten Stellen viel leichter als die Kritik, aber eben so geniemässig.
Ich wolte, ich hätte einen armirten Magneten in Händen, um dich aus deinem wollüstigen Musenharam [!], in den du dich verschliessest, glüklich hieher zu schaffen: denn gegenwärtig leb' ich immer in der15 Furcht, daß ich selber nach Töpen gezogen werde, ob ich mich gleich ganz fest halte.
Richter
177. An die Brüder Otto.
[Kopie][Hof, Juli 1786]20
Es ist Ihr eigner Nuzen, daß ich das Buch, das etc., nicht mit einem Brief begleiten wollen, der selbst so lang ist wie ein Buch. An dem gegenwärtigen haben mehrere gezimmert und ich und mein Feder- messer, wir waren auch dabei. H. ist das Kainszeichen, das meine [Beiträge] von den übrigen absondert. -- Es ist aber wol nicht über-25 flüssig, wenn ich unversehends den H... herschaffe und mich darin nach dem Juramentum umthue, das ich hier am besten brauchen kan... Er schreibt[?], das promiss[orium] wärs unfehlbar und er könne mir dafür iederzeit haften.. Also das prom[issorium] must' ich ableisten, daß ich keinem Menschen, Engel oder Vieh das geringste hinterbringen30 wolte*). Indessen brech' ich diesen Schwur mit dem grösten Ver-[227] gnügen, da ich ihn nur unter wenigen Feierlichkeiten abgelegt, und ich wünschte, man hätte mich durch einen aufgestelten Todtenkopf, durch ein schlechtes Licht und ein geschwärztes Zimmer hinlänglich zu
*) zu Gewissensvertretung mit Beweisen lies man mich gar nicht gelangen.35
Die „Naturwiſſenſchaft“ hat mit der „Kritik“ des Kants keine Ver- bindung und man kan eine ohne die andere leſen. Um die mendel- ſohnſche Hofnung, daß Kant eben ſo gut aufbauen werde als er niedergeriſſen, hat er ſich gar nicht bekümmert. Er hat zwar ein Lehrgebäude wieder hergeſezt, aber die Mathematik hat es bezogen;5 die Metaphyſik läuft, (nach ſeinem Petaliſmus mit Papier blättern,) vergeblich ſchon viele Wochen nach einem Papagai-Bauer, oder auch Mirakulatorium zu Zürch herum und wil gar in die 12 himliſchen Häuſer hinein, wiewol neulich Feder ihr ſagen laſſen, er halte in ſeinem Hauſe wirklich ein Laboratorium für ſie leer. — Die Natur-10 wiſſenſchaft iſt in den meiſten Stellen viel leichter als die Kritik, aber eben ſo geniemäſſig.
Ich wolte, ich hätte einen armirten Magneten in Händen, um dich aus deinem wollüſtigen Muſenharam [!], in den du dich verſchlieſſeſt, glüklich hieher zu ſchaffen: denn gegenwärtig leb’ ich immer in der15 Furcht, daß ich ſelber nach Töpen gezogen werde, ob ich mich gleich ganz feſt halte.
Richter
177. An die Brüder Otto.
[Kopie][Hof, Juli 1786]20
Es iſt Ihr eigner Nuzen, daß ich das Buch, das ꝛc., nicht mit einem Brief begleiten wollen, der ſelbſt ſo lang iſt wie ein Buch. An dem gegenwärtigen haben mehrere gezimmert und ich und mein Feder- meſſer, wir waren auch dabei. H. iſt das Kainszeichen, das meine [Beiträge] von den übrigen abſondert. — Es iſt aber wol nicht über-25 flüſſig, wenn ich unverſehends den H... herſchaffe und mich darin nach dem Juramentum umthue, das ich hier am beſten brauchen kan... Er ſchreibt[?], das promiss[orium] wärs unfehlbar und er könne mir dafür iederzeit haften.. Alſo das prom[issorium] muſt’ ich ableiſten, daß ich keinem Menſchen, Engel oder Vieh das geringſte hinterbringen30 wolte*). Indeſſen brech’ ich dieſen Schwur mit dem gröſten Ver-[227] gnügen, da ich ihn nur unter wenigen Feierlichkeiten abgelegt, und ich wünſchte, man hätte mich durch einen aufgeſtelten Todtenkopf, durch ein ſchlechtes Licht und ein geſchwärztes Zimmer hinlänglich zu
*) zu Gewiſſensvertretung mit Beweiſen lies man mich gar nicht gelangen.35
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niedergeriſſen, hat er ſich gar nicht bekümmert. Er hat zwar ein
Lehrgebäude wieder hergeſezt, aber die Mathematik hat es bezogen; 5
die Metaphyſik läuft, (nach ſeinem Petaliſmus mit Papier blättern,)
vergeblich ſchon viele Wochen nach einem Papagai-Bauer, oder auch
Mirakulatorium zu Zürch herum und wil gar in die 12 himliſchen
Häuſer hinein, wiewol neulich Feder ihr ſagen laſſen, er halte in
ſeinem Hauſe wirklich ein Laboratorium für ſie leer. — Die Natur- 10
wiſſenſchaft iſt in den meiſten Stellen viel leichter als die Kritik, aber
eben ſo geniemäſſig.
Ich wolte, ich hätte einen armirten Magneten in Händen, um dich
aus deinem wollüſtigen Muſenharam [!], in den du dich verſchlieſſeſt,
glüklich hieher zu ſchaffen: denn gegenwärtig leb’ ich immer in der 15
Furcht, daß ich ſelber nach Töpen gezogen werde, ob ich mich gleich ganz
feſt halte.
Richter
177. An die Brüder Otto.
[Hof, Juli 1786] 20
Es iſt Ihr eigner Nuzen, daß ich das Buch, das ꝛc., nicht mit einem
Brief begleiten wollen, der ſelbſt ſo lang iſt wie ein Buch. An dem
gegenwärtigen haben mehrere gezimmert und ich und mein Feder-
meſſer, wir waren auch dabei. H. iſt das Kainszeichen, das meine
[Beiträge] von den übrigen abſondert. — Es iſt aber wol nicht über- 25
flüſſig, wenn ich unverſehends den H... herſchaffe und mich darin nach
dem Juramentum umthue, das ich hier am beſten brauchen kan... Er
ſchreibt[?], das promiss[orium] wärs unfehlbar und er könne mir
dafür iederzeit haften.. Alſo das prom[issorium] muſt’ ich ableiſten,
daß ich keinem Menſchen, Engel oder Vieh das geringſte hinterbringen 30
wolte *). Indeſſen brech’ ich dieſen Schwur mit dem gröſten Ver-
gnügen, da ich ihn nur unter wenigen Feierlichkeiten abgelegt, und
ich wünſchte, man hätte mich durch einen aufgeſtelten Todtenkopf,
durch ein ſchlechtes Licht und ein geſchwärztes Zimmer hinlänglich zu
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*) zu Gewiſſensvertretung mit Beweiſen lies man mich gar nicht gelangen. 35
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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/240>, abgerufen am 04.07.2024.
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