nächstens zu schreiben: und das hat mir freilich nicht gefallen: denn wenn es nicht falsch ist (und es ist nur gar zu wahr), daß die Träume gerade das Gegentheil ihres Inhalts weissagen: so prophezeiet dein geträumtes Versprechen, mir zu schreiben, nur gar zu deutlich, daß du mir sobald keinen Brief schikken wirst.5
Du wirst den Wiz meiner Erfindung sehr erheben. Auch dünkt mich hast du nicht Unrecht. Überhaupt sezet der Traum unserm Geiste neue Flügel an, auf die vielleicht die alten Künstler anspielten, wenn sie den Schlaf mit Flügeln gestalten. Daher ist es ein fataler Fehler unserer Poeten, daß sie so selten im Schlafe schreiben und noch in dem all-10 gemeinen Irthum stehen, ihren Versen sei durch den Schlaf des Lesers weit besser als durch ihren eignen gerathen.
Diese Linie sol mein Scherz nicht überschreiten und ich bitte dich, las deinen künftigen Brief einen Ablasbrief für die Schwachheits- sünden sein, die ich [mir] in meiner Laune gegen die Freundschaft etwan15 zu Schulden kommen lassen.
Wenn ich und du mehr Ruhe erhalten: so wil ich dir etwas vor- schlagen, das mich und dich in eine häufige Korrespondenz verwikkeln wird. Eh' ich dich auf lange verlasse: mus ich noch für etwas sorgen, das dich mich nicht so bald vergessen lässet.20
[172]Lebe tausendmal wol und werde gesünder, wenn du es nicht bist und erinnere dich zuweilen an deinen Freund.
Hof den 21 April 1785.
102. An Oerthel in Töpen.
Hof den 28 April 1785.25
Lieber Örthel
Die erste Neuigkeit, die ich dir zu schreiben habe, ist, daß ich in kurzer Zeit zwei unbeantwortete Briefe nebst zwei Couverten an dich abgelassen habe, welche dir hoffentlich durch die Besorgung des Hern Guldens zugestellet worden sind. -- Ich hoffe, daß du meinen30 Bruder mit etwas belästigest, das mich an dich erinnert; nur nicht mit der Nachricht, daß die Zunahme deiner Krankheit dein bisheriges Stil- schweigen veranlasset hat.
nächſtens zu ſchreiben: und das hat mir freilich nicht gefallen: denn wenn es nicht falſch iſt (und es iſt nur gar zu wahr), daß die Träume gerade das Gegentheil ihres Inhalts weiſſagen: ſo prophezeiet dein geträumtes Verſprechen, mir zu ſchreiben, nur gar zu deutlich, daß du mir ſobald keinen Brief ſchikken wirſt.5
Du wirſt den Wiz meiner Erfindung ſehr erheben. Auch dünkt mich haſt du nicht Unrecht. Überhaupt ſezet der Traum unſerm Geiſte neue Flügel an, auf die vielleicht die alten Künſtler anſpielten, wenn ſie den Schlaf mit Flügeln geſtalten. Daher iſt es ein fataler Fehler unſerer Poeten, daß ſie ſo ſelten im Schlafe ſchreiben und noch in dem all-10 gemeinen Irthum ſtehen, ihren Verſen ſei durch den Schlaf des Leſers weit beſſer als durch ihren eignen gerathen.
Dieſe Linie ſol mein Scherz nicht überſchreiten und ich bitte dich, las deinen künftigen Brief einen Ablasbrief für die Schwachheits- ſünden ſein, die ich [mir] in meiner Laune gegen die Freundſchaft etwan15 zu Schulden kommen laſſen.
Wenn ich und du mehr Ruhe erhalten: ſo wil ich dir etwas vor- ſchlagen, das mich und dich in eine häufige Korreſpondenz verwikkeln wird. Eh’ ich dich auf lange verlaſſe: mus ich noch für etwas ſorgen, das dich mich nicht ſo bald vergeſſen läſſet.20
[172]Lebe tauſendmal wol und werde geſünder, wenn du es nicht biſt und erinnere dich zuweilen an deinen Freund.
Hof den 21 April 1785.
102. An Oerthel in Töpen.
Hof den 28 April 1785.25
Lieber Örthel
Die erſte Neuigkeit, die ich dir zu ſchreiben habe, iſt, daß ich in kurzer Zeit zwei unbeantwortete Briefe nebſt zwei Couverten an dich abgelaſſen habe, welche dir hoffentlich durch die Beſorgung des Hern Guldens zugeſtellet worden ſind. — Ich hoffe, daß du meinen30 Bruder mit etwas beläſtigeſt, das mich an dich erinnert; nur nicht mit der Nachricht, daß die Zunahme deiner Krankheit dein bisheriges Stil- ſchweigen veranlaſſet hat.
<TEI><text><body><divtype="letter"n="1"><p><pbfacs="#f0187"n="162"/>
nächſtens zu ſchreiben: und das hat mir freilich nicht gefallen: denn<lb/>
wenn es nicht falſch iſt (und es iſt nur gar zu wahr), daß die Träume<lb/>
gerade das Gegentheil ihres Inhalts weiſſagen: ſo prophezeiet dein<lb/>
geträumtes Verſprechen, mir zu ſchreiben, nur gar zu deutlich, daß<lb/>
du mir ſobald keinen Brief ſchikken wirſt.<lbn="5"/></p><p>Du wirſt den Wiz meiner Erfindung ſehr erheben. Auch dünkt mich<lb/>
haſt du nicht Unrecht. Überhaupt ſezet der Traum unſerm Geiſte neue<lb/>
Flügel an, auf die vielleicht die alten Künſtler anſpielten, wenn ſie den<lb/>
Schlaf mit Flügeln geſtalten. Daher iſt es ein fataler Fehler unſerer<lb/>
Poeten, daß ſie ſo ſelten im Schlafe ſchreiben und noch in dem all-<lbn="10"/>
gemeinen Irthum ſtehen, ihren Verſen ſei durch den Schlaf des<lb/>
Leſers weit beſſer als durch ihren eignen gerathen.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Dieſe Linie ſol mein Scherz nicht überſchreiten und ich bitte dich,<lb/>
las deinen künftigen Brief einen <hirendition="#g">Ablasbrief</hi> für die Schwachheits-<lb/>ſünden ſein, die ich <metamark>[</metamark>mir<metamark>]</metamark> in meiner Laune gegen die Freundſchaft etwan<lbn="15"/>
zu Schulden kommen laſſen.</p><lb/><p>Wenn ich und du mehr Ruhe erhalten: ſo wil ich dir etwas vor-<lb/>ſchlagen, das mich und dich in eine häufige Korreſpondenz verwikkeln<lb/>
wird. Eh’ ich dich auf lange verlaſſe: mus ich noch für etwas ſorgen,<lb/>
das dich mich nicht ſo bald vergeſſen läſſet.<lbn="20"/></p><p><noteplace="left"><reftarget="1922_Bd#_172">[172]</ref></note>Lebe tauſendmal wol und werde geſünder, wenn du es nicht biſt und<lb/>
erinnere dich zuweilen an deinen Freund.</p><lb/><p><date>Hof den 21 April 1785.</date></p></div><lb/><divtype="letter"n="1"><head>102. An <hirendition="#g">Oerthel in Töpen.</hi></head><lb/><dateline><hirendition="#right">Hof den 28 April 1785.</hi></dateline><lbn="25"/><opener><salute><hirendition="#et">Lieber Örthel</hi></salute></opener><lb/><p>Die erſte Neuigkeit, die ich dir zu ſchreiben habe, iſt, daß ich in<lb/>
kurzer Zeit zwei unbeantwortete Briefe nebſt zwei Couverten an dich<lb/>
abgelaſſen habe, welche dir hoffentlich durch die Beſorgung des<lb/>
Hern Guldens zugeſtellet worden ſind. — Ich hoffe, daß du meinen<lbn="30"/>
Bruder mit etwas beläſtigeſt, das mich an dich erinnert; nur nicht mit<lb/>
der Nachricht, daß die Zunahme deiner Krankheit dein bisheriges Stil-<lb/>ſchweigen veranlaſſet hat.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[162/0187]
nächſtens zu ſchreiben: und das hat mir freilich nicht gefallen: denn
wenn es nicht falſch iſt (und es iſt nur gar zu wahr), daß die Träume
gerade das Gegentheil ihres Inhalts weiſſagen: ſo prophezeiet dein
geträumtes Verſprechen, mir zu ſchreiben, nur gar zu deutlich, daß
du mir ſobald keinen Brief ſchikken wirſt. 5
Du wirſt den Wiz meiner Erfindung ſehr erheben. Auch dünkt mich
haſt du nicht Unrecht. Überhaupt ſezet der Traum unſerm Geiſte neue
Flügel an, auf die vielleicht die alten Künſtler anſpielten, wenn ſie den
Schlaf mit Flügeln geſtalten. Daher iſt es ein fataler Fehler unſerer
Poeten, daß ſie ſo ſelten im Schlafe ſchreiben und noch in dem all- 10
gemeinen Irthum ſtehen, ihren Verſen ſei durch den Schlaf des
Leſers weit beſſer als durch ihren eignen gerathen.
Dieſe Linie ſol mein Scherz nicht überſchreiten und ich bitte dich,
las deinen künftigen Brief einen Ablasbrief für die Schwachheits-
ſünden ſein, die ich [mir] in meiner Laune gegen die Freundſchaft etwan 15
zu Schulden kommen laſſen.
Wenn ich und du mehr Ruhe erhalten: ſo wil ich dir etwas vor-
ſchlagen, das mich und dich in eine häufige Korreſpondenz verwikkeln
wird. Eh’ ich dich auf lange verlaſſe: mus ich noch für etwas ſorgen,
das dich mich nicht ſo bald vergeſſen läſſet. 20
Lebe tauſendmal wol und werde geſünder, wenn du es nicht biſt und
erinnere dich zuweilen an deinen Freund.
[172]
Hof den 21 April 1785.
102. An Oerthel in Töpen.
Hof den 28 April 1785. 25
Lieber Örthel
Die erſte Neuigkeit, die ich dir zu ſchreiben habe, iſt, daß ich in
kurzer Zeit zwei unbeantwortete Briefe nebſt zwei Couverten an dich
abgelaſſen habe, welche dir hoffentlich durch die Beſorgung des
Hern Guldens zugeſtellet worden ſind. — Ich hoffe, daß du meinen 30
Bruder mit etwas beläſtigeſt, das mich an dich erinnert; nur nicht mit
der Nachricht, daß die Zunahme deiner Krankheit dein bisheriges Stil-
ſchweigen veranlaſſet hat.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/187>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.