[161]Mein voriges Geschwäz sagte dir nichts, was du nicht wustest; aber wenn ich dir das nicht sagen sol, was du schon weist, warum sagst du mir so oft und ich dir, daß ich bin dein Freund R.
94. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Hochehrwürdiger und hochgelehrter Herr,5 Hochzuverehrender Herr Pfarrer,
Die Wiener sezen auf ihre Anschlagszettel: "Heute wird ein bril- "lantes Feuerwerk gegeben, wenn es die Witterung zulässet." Diesen Zusaz solte ieder von ihnen borgen, der nicht zum Lügner werden wil. Ich z. B. hätte so an Sie neulich schreiben sollen: "ich wil Ew. Hoch-10 "ehrwürden nicht belügen, fals es die Witterung zulässet." Denn die Witterung lies es wirklich nicht zu, daß ich Ihnen die Abhandlung am vergangnen Donnerstag schon schikte. Indessen wird diese Verzögerung dem Drukke derselben nichts schaden; denn Sie könten sie immer noch nachschikken, wenn auch der übrige Theil des Manuskripts schon fort15 wäre.
Übrigens fehlen dieser Abhandlung noch Ihre Anmerkungen dar- über, welche mir Örthel nicht geschikt.
Büste und Paste sind himmelweit verschieden, so verschieden wie etwan ein Haubenkopf und ein Louisd'or. Eine Paste ist eine erhobne20 Gipsabbildung; und gewöhnlich so gros wie ein Thaler und eben so gestaltet.
Ihre neue Vergrösserung des Titels "für raffinirte Theologen" scheint mir der Kürze und dem Auffallenden des simpeln Titels "Raffinerien" etwas zu entziehen: auch scheint dieser Zusaz mir ent-25 behrlich zu sein. Endlich müste es stat raffinirte wol raffinirende heissen, so wie man nicht gedachte, sondern denkende Köpfe sagt.
Noch ein Wort von der Wilddieberei, der sich Ew. Hochehrw. unglüklicherweise zu ergeben scheinen und für die Sie die Strafe des Strangs ganz wol verdienen dürften: denn ich kan Ihrer Hofnung30 nicht beitreten, daß man Sie wegen 5 gestohlnen Gleichnissen nicht hängen könne. Ich glaube vielmehr, es giebt keine vernünftigere Halsgerichtsordnung als die einiger Wilden, von der ich neulich ge- lesen. Je grösser nämlich der Werth des Diebstahls ist, desto gelinder [162]bestrafen sie ihn: denn, sagen sie, desto grösser war die Versuchung und35
[161]Mein voriges Geſchwäz ſagte dir nichts, was du nicht wuſteſt; aber wenn ich dir das nicht ſagen ſol, was du ſchon weiſt, warum ſagſt du mir ſo oft und ich dir, daß ich bin dein Freund R.
94. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Hochehrwürdiger und hochgelehrter Herr,5 Hochzuverehrender Herr Pfarrer,
Die Wiener ſezen auf ihre Anſchlagszettel: „Heute wird ein bril- „lantes Feuerwerk gegeben, wenn es die Witterung zuläſſet.“ Dieſen Zuſaz ſolte ieder von ihnen borgen, der nicht zum Lügner werden wil. Ich z. B. hätte ſo an Sie neulich ſchreiben ſollen: „ich wil Ew. Hoch-10 „ehrwürden nicht belügen, fals es die Witterung zuläſſet.“ Denn die Witterung lies es wirklich nicht zu, daß ich Ihnen die Abhandlung am vergangnen Donnerſtag ſchon ſchikte. Indeſſen wird dieſe Verzögerung dem Drukke derſelben nichts ſchaden; denn Sie könten ſie immer noch nachſchikken, wenn auch der übrige Theil des Manuſkripts ſchon fort15 wäre.
Übrigens fehlen dieſer Abhandlung noch Ihre Anmerkungen dar- über, welche mir Örthel nicht geſchikt.
Büſte und Paſte ſind himmelweit verſchieden, ſo verſchieden wie etwan ein Haubenkopf und ein Louisd’or. Eine Paſte iſt eine erhobne20 Gipsabbildung; und gewöhnlich ſo gros wie ein Thaler und eben ſo geſtaltet.
Ihre neue Vergröſſerung des Titels „für raffinirte Theologen“ ſcheint mir der Kürze und dem Auffallenden des ſimpeln Titels „Raffinerien“ etwas zu entziehen: auch ſcheint dieſer Zuſaz mir ent-25 behrlich zu ſein. Endlich müſte es ſtat raffinirte wol raffinirende heiſſen, ſo wie man nicht gedachte, ſondern denkende Köpfe ſagt.
Noch ein Wort von der Wilddieberei, der ſich Ew. Hochehrw. unglüklicherweiſe zu ergeben ſcheinen und für die Sie die Strafe des Strangs ganz wol verdienen dürften: denn ich kan Ihrer Hofnung30 nicht beitreten, daß man Sie wegen 5 geſtohlnen Gleichniſſen nicht hängen könne. Ich glaube vielmehr, es giebt keine vernünftigere Halsgerichtsordnung als die einiger Wilden, von der ich neulich ge- leſen. Je gröſſer nämlich der Werth des Diebſtahls iſt, deſto gelinder [162]beſtrafen ſie ihn: denn, ſagen ſie, deſto gröſſer war die Verſuchung und35
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mir ſo oft und ich dir, daß ich bin dein Freund R.
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94. An Pfarrer Vogel in Rehau.
Hochehrwürdiger und hochgelehrter Herr, 5
Hochzuverehrender Herr Pfarrer,
Die Wiener ſezen auf ihre Anſchlagszettel: „Heute wird ein bril-
„lantes Feuerwerk gegeben, wenn es die Witterung zuläſſet.“ Dieſen
Zuſaz ſolte ieder von ihnen borgen, der nicht zum Lügner werden wil.
Ich z. B. hätte ſo an Sie neulich ſchreiben ſollen: „ich wil Ew. Hoch- 10
„ehrwürden nicht belügen, fals es die Witterung zuläſſet.“ Denn die
Witterung lies es wirklich nicht zu, daß ich Ihnen die Abhandlung am
vergangnen Donnerſtag ſchon ſchikte. Indeſſen wird dieſe Verzögerung
dem Drukke derſelben nichts ſchaden; denn Sie könten ſie immer noch
nachſchikken, wenn auch der übrige Theil des Manuſkripts ſchon fort 15
wäre.
Übrigens fehlen dieſer Abhandlung noch Ihre Anmerkungen dar-
über, welche mir Örthel nicht geſchikt.
Büſte und Paſte ſind himmelweit verſchieden, ſo verſchieden wie
etwan ein Haubenkopf und ein Louisd’or. Eine Paſte iſt eine erhobne 20
Gipsabbildung; und gewöhnlich ſo gros wie ein Thaler und eben ſo
geſtaltet.
Ihre neue Vergröſſerung des Titels „für raffinirte Theologen“
ſcheint mir der Kürze und dem Auffallenden des ſimpeln Titels
„Raffinerien“ etwas zu entziehen: auch ſcheint dieſer Zuſaz mir ent- 25
behrlich zu ſein. Endlich müſte es ſtat raffinirte wol raffinirende
heiſſen, ſo wie man nicht gedachte, ſondern denkende Köpfe ſagt.
Noch ein Wort von der Wilddieberei, der ſich Ew. Hochehrw.
unglüklicherweiſe zu ergeben ſcheinen und für die Sie die Strafe des
Strangs ganz wol verdienen dürften: denn ich kan Ihrer Hofnung 30
nicht beitreten, daß man Sie wegen 5 geſtohlnen Gleichniſſen nicht
hängen könne. Ich glaube vielmehr, es giebt keine vernünftigere
Halsgerichtsordnung als die einiger Wilden, von der ich neulich ge-
leſen. Je gröſſer nämlich der Werth des Diebſtahls iſt, deſto gelinder
beſtrafen ſie ihn: denn, ſagen ſie, deſto gröſſer war die Verſuchung und 35
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
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Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/176>, abgerufen am 04.07.2024.
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