Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956.

Bild:
<< vorherige Seite

herannahende Messe und der Verleger mich ermante, war ein Anlas
zu meinem langen Stilschweigen und ob mich gleich nichts hindern kan,
an Sie zu denken, so kan manches mich doch hindern, an Sie zu
schreiben. Allein nichts kan mich hindern, für Sie zu arbeiten; nur
gleicht der Erfolg meiner Mühe noch nicht. Zu dem Glük, Sie zu sehen,5
hab' ich zwar Hofnung, aber noch nicht Gewisheit. Hier ist es
weniger gewönlich, als an andern Orten, Personen, deren Namen Sie
kennen, zu halten; und meistens halten nur die sich sogenante Aus-
geberinnen, die ihre Weiber verloren haben. Doch lassen Sie sich
dadurch nicht mutlos machen; dies alles beweist nur die Schwierigkeit,10
aber nicht die Unmöglichkeit der Sache. Was kan nicht das Ungefär tun?
das Ungefär, das schon so viel tat, wird die Liebe, die es veranstaltet hat,[117]
gewis auch beglükken. Schreiben Sie mir bald, viel und mer als ich iezt
schreiben kan; schreiben Sie mir iede Kleinigkeit, die Sie betrift: denn
für mich ist das, was Sie betrift, keine Kleinigkeit; wenden Sie die15
Stärke Ihres Geistes, die Sie vor andern Frauen so sichtbar aus-
zeichnet, zur Bekämpfung einer Sensucht an, in die sich bei Ihnen nicht
wie bei mir Süssigkeiten mischen, und lieben Sie den, den Sie so
beglükten, der Sie so liebt und der immer sein [wird] etc.

61. An Sophie Ellrodt in Helmbrechts.20
[Kopie]

Ich eile Ihren Brief zu beantworten, eh' die Post abgeht; ich werd'
ihn darum aber freilich kurz beantworten müssen. Jede Verstellung
ist mir verhast; daher sei sie auch von dieser Antwort entfernt. -- Ihr
neulicher Brief, der meine Nachlässigkeit bestrafte, gefiel mir besser als25
Ihr ieziger, der sie verzeiht und Sie schienen mir, erzürnt mich wärmer
zu lieben als ausgesönet. Ihr Brief enthält die Silhouette Ihres
Kopfs, aber nicht J[h]res Herzens; das Licht des einen ersezt die
Wärme des andern und Ihre Vernunft, aber nicht Ihre Liebe hör'
ich darin sprechen. Solte diese Liebe auch nicht mer in Ihrem Herzen30
für mich sprechen? Solte Ihre Wärme für mich mit der Wärme des
Sommers entflohen sein? Diesen Argwon wird Ihr nächster Brief ent-
weder heben oder nären. Schreiben Sie daher bald: denn ist meine
Furcht gegründet, so sei sie bald erfült, da man ein Übel leichter erträgt
als voraussieht: ist sie ungegründet, so daure sie auch dan nicht lange,35

herannahende Meſſe und der Verleger mich ermante, war ein Anlas
zu meinem langen Stilſchweigen und ob mich gleich nichts hindern kan,
an Sie zu denken, ſo kan manches mich doch hindern, an Sie zu
ſchreiben. Allein nichts kan mich hindern, für Sie zu arbeiten; nur
gleicht der Erfolg meiner Mühe noch nicht. Zu dem Glük, Sie zu ſehen,5
hab’ ich zwar Hofnung, aber noch nicht Gewisheit. Hier iſt es
weniger gewönlich, als an andern Orten, Perſonen, deren Namen Sie
kennen, zu halten; und meiſtens halten nur die ſich ſogenante Aus-
geberinnen, die ihre Weiber verloren haben. Doch laſſen Sie ſich
dadurch nicht mutlos machen; dies alles beweiſt nur die Schwierigkeit,10
aber nicht die Unmöglichkeit der Sache. Was kan nicht das Ungefär tun?
das Ungefär, das ſchon ſo viel tat, wird die Liebe, die es veranſtaltet hat,[117]
gewis auch beglükken. Schreiben Sie mir bald, viel und mer als ich iezt
ſchreiben kan; ſchreiben Sie mir iede Kleinigkeit, die Sie betrift: denn
für mich iſt das, was Sie betrift, keine Kleinigkeit; wenden Sie die15
Stärke Ihres Geiſtes, die Sie vor andern Frauen ſo ſichtbar aus-
zeichnet, zur Bekämpfung einer Senſucht an, in die ſich bei Ihnen nicht
wie bei mir Süſſigkeiten miſchen, und lieben Sie den, den Sie ſo
beglükten, der Sie ſo liebt und der immer ſein [wird] ꝛc.

61. An Sophie Ellrodt in Helmbrechts.20
[Kopie]

Ich eile Ihren Brief zu beantworten, eh’ die Poſt abgeht; ich werd’
ihn darum aber freilich kurz beantworten müſſen. Jede Verſtellung
iſt mir verhaſt; daher ſei ſie auch von dieſer Antwort entfernt. — Ihr
neulicher Brief, der meine Nachläſſigkeit beſtrafte, gefiel mir beſſer als25
Ihr ieziger, der ſie verzeiht und Sie ſchienen mir, erzürnt mich wärmer
zu lieben als ausgeſönet. Ihr Brief enthält die Silhouette Ihres
Kopfs, aber nicht J[h]res Herzens; das Licht des einen erſezt die
Wärme des andern und Ihre Vernunft, aber nicht Ihre Liebe hör’
ich darin ſprechen. Solte dieſe Liebe auch nicht mer in Ihrem Herzen30
für mich ſprechen? Solte Ihre Wärme für mich mit der Wärme des
Sommers entflohen ſein? Dieſen Argwon wird Ihr nächſter Brief ent-
weder heben oder nären. Schreiben Sie daher bald: denn iſt meine
Furcht gegründet, ſo ſei ſie bald erfült, da man ein Übel leichter erträgt
als vorausſieht: iſt ſie ungegründet, ſo daure ſie auch dan nicht lange,35

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="letter" n="1">
        <p><pb facs="#f0132" n="109"/>
herannahende Me&#x017F;&#x017F;e und der Verleger mich ermante, war ein Anlas<lb/>
zu meinem langen Stil&#x017F;chweigen und ob mich gleich nichts hindern kan,<lb/>
an Sie zu denken, &#x017F;o kan manches mich doch hindern, an Sie zu<lb/>
&#x017F;chreiben. Allein nichts kan mich hindern, für Sie zu arbeiten; nur<lb/>
gleicht der Erfolg meiner Mühe noch nicht. Zu dem Glük, Sie zu &#x017F;ehen,<lb n="5"/>
hab&#x2019; ich zwar Hofnung, aber noch nicht Gewisheit. Hier i&#x017F;t es<lb/>
weniger gewönlich, als an andern Orten, Per&#x017F;onen, deren Namen Sie<lb/>
kennen, zu halten; und mei&#x017F;tens halten nur die &#x017F;ich &#x017F;ogenante Aus-<lb/>
geberinnen, die ihre Weiber verloren haben. Doch la&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;ich<lb/>
dadurch nicht mutlos machen; dies alles bewei&#x017F;t nur die Schwierigkeit,<lb n="10"/>
aber nicht die Unmöglichkeit der Sache. Was kan nicht das Ungefär tun?<lb/>
das Ungefär, das &#x017F;chon &#x017F;o viel tat, wird die Liebe, die es veran&#x017F;taltet hat,<note place="right"><ref target="1922_Bd#_117">[117]</ref></note><lb/>
gewis auch beglükken. Schreiben Sie mir bald, viel und mer als ich iezt<lb/>
&#x017F;chreiben kan; &#x017F;chreiben Sie mir iede Kleinigkeit, die Sie betrift: denn<lb/>
für mich i&#x017F;t das, was Sie betrift, keine Kleinigkeit; wenden Sie die<lb n="15"/>
Stärke Ihres Gei&#x017F;tes, die Sie vor andern Frauen &#x017F;o &#x017F;ichtbar aus-<lb/>
zeichnet, zur Bekämpfung einer Sen&#x017F;ucht an, in die &#x017F;ich bei Ihnen nicht<lb/>
wie bei mir Sü&#x017F;&#x017F;igkeiten mi&#x017F;chen, und lieben Sie den, den Sie &#x017F;o<lb/>
beglükten, der Sie &#x017F;o liebt und der immer &#x017F;ein <metamark>[</metamark>wird<metamark>]</metamark> &#xA75B;c.</p>
      </div><lb/>
      <div type="letter" n="1">
        <head>61. An <hi rendition="#g">Sophie Ellrodt in Helmbrechts.</hi><lb n="20"/>
</head>
        <note type="editorial"><metamark>[</metamark>Kopie<metamark>]</metamark></note>
        <dateline> <hi rendition="#right"><metamark>[</metamark>Leipzig, 20. Oktober 1783<metamark>]</metamark></hi> </dateline><lb/>
        <p>Ich eile Ihren Brief zu beantworten, eh&#x2019; die Po&#x017F;t abgeht; ich werd&#x2019;<lb/>
ihn darum aber freilich kurz beantworten mü&#x017F;&#x017F;en. Jede Ver&#x017F;tellung<lb/>
i&#x017F;t mir verha&#x017F;t; daher &#x017F;ei &#x017F;ie auch von die&#x017F;er Antwort entfernt. &#x2014; Ihr<lb/>
neulicher Brief, der meine Nachlä&#x017F;&#x017F;igkeit be&#x017F;trafte, gefiel mir be&#x017F;&#x017F;er als<lb n="25"/>
Ihr ieziger, der &#x017F;ie verzeiht und Sie &#x017F;chienen mir, erzürnt mich wärmer<lb/>
zu lieben als ausge&#x017F;önet. Ihr Brief enthält die Silhouette Ihres<lb/>
Kopfs, aber nicht J<metamark>[</metamark>h<metamark>]</metamark>res Herzens; das Licht des einen er&#x017F;ezt die<lb/>
Wärme des andern und Ihre Vernunft, aber nicht Ihre Liebe hör&#x2019;<lb/>
ich darin &#x017F;prechen. Solte die&#x017F;e Liebe auch nicht mer in Ihrem Herzen<lb n="30"/>
für mich &#x017F;prechen? Solte Ihre Wärme für mich mit der Wärme des<lb/>
Sommers entflohen &#x017F;ein? Die&#x017F;en Argwon wird Ihr näch&#x017F;ter Brief ent-<lb/>
weder heben oder nären. Schreiben Sie daher bald: denn i&#x017F;t meine<lb/>
Furcht gegründet, &#x017F;o &#x017F;ei &#x017F;ie bald erfült, da man ein Übel leichter erträgt<lb/>
als voraus&#x017F;ieht: i&#x017F;t &#x017F;ie ungegründet, &#x017F;o daure &#x017F;ie auch dan nicht lange,<lb n="35"/><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0132] herannahende Meſſe und der Verleger mich ermante, war ein Anlas zu meinem langen Stilſchweigen und ob mich gleich nichts hindern kan, an Sie zu denken, ſo kan manches mich doch hindern, an Sie zu ſchreiben. Allein nichts kan mich hindern, für Sie zu arbeiten; nur gleicht der Erfolg meiner Mühe noch nicht. Zu dem Glük, Sie zu ſehen, 5 hab’ ich zwar Hofnung, aber noch nicht Gewisheit. Hier iſt es weniger gewönlich, als an andern Orten, Perſonen, deren Namen Sie kennen, zu halten; und meiſtens halten nur die ſich ſogenante Aus- geberinnen, die ihre Weiber verloren haben. Doch laſſen Sie ſich dadurch nicht mutlos machen; dies alles beweiſt nur die Schwierigkeit, 10 aber nicht die Unmöglichkeit der Sache. Was kan nicht das Ungefär tun? das Ungefär, das ſchon ſo viel tat, wird die Liebe, die es veranſtaltet hat, gewis auch beglükken. Schreiben Sie mir bald, viel und mer als ich iezt ſchreiben kan; ſchreiben Sie mir iede Kleinigkeit, die Sie betrift: denn für mich iſt das, was Sie betrift, keine Kleinigkeit; wenden Sie die 15 Stärke Ihres Geiſtes, die Sie vor andern Frauen ſo ſichtbar aus- zeichnet, zur Bekämpfung einer Senſucht an, in die ſich bei Ihnen nicht wie bei mir Süſſigkeiten miſchen, und lieben Sie den, den Sie ſo beglükten, der Sie ſo liebt und der immer ſein [wird] ꝛc. [117] 61. An Sophie Ellrodt in Helmbrechts. 20 [Leipzig, 20. Oktober 1783] Ich eile Ihren Brief zu beantworten, eh’ die Poſt abgeht; ich werd’ ihn darum aber freilich kurz beantworten müſſen. Jede Verſtellung iſt mir verhaſt; daher ſei ſie auch von dieſer Antwort entfernt. — Ihr neulicher Brief, der meine Nachläſſigkeit beſtrafte, gefiel mir beſſer als 25 Ihr ieziger, der ſie verzeiht und Sie ſchienen mir, erzürnt mich wärmer zu lieben als ausgeſönet. Ihr Brief enthält die Silhouette Ihres Kopfs, aber nicht J[h]res Herzens; das Licht des einen erſezt die Wärme des andern und Ihre Vernunft, aber nicht Ihre Liebe hör’ ich darin ſprechen. Solte dieſe Liebe auch nicht mer in Ihrem Herzen 30 für mich ſprechen? Solte Ihre Wärme für mich mit der Wärme des Sommers entflohen ſein? Dieſen Argwon wird Ihr nächſter Brief ent- weder heben oder nären. Schreiben Sie daher bald: denn iſt meine Furcht gegründet, ſo ſei ſie bald erfült, da man ein Übel leichter erträgt als vorausſieht: iſt ſie ungegründet, ſo daure ſie auch dan nicht lange, 35

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T14:52:17Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T14:52:17Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/132
Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/132>, abgerufen am 24.11.2024.