Da mir iezt der Wiz felet, den Dank für die zeither geliehenen Bücher einzukleiden: so mag er nakt auftreten; wie ich denn überhaupt mein Herz so ser zu enthüllen pflege wie den Busen, der es verhült. Zur Ver- hüllung beider kan mich blos die Kälte zwingen. Vielleicht mus der, welcher die natürliche Gestalt seines Herzens enthült, eben das mit der5 natürlichen Gestalt seines Kopfes tun. Von diesem leztern mag diese Seite ein Zeuge sein, so wie es vom erstern die übrigen sind. Denn gegen manches Wetterkülen meines Wizes in diesem und meinen andern Briefen möchte die Kritik viel einzuwenden haben; und es ges[ch]ieht auf Unkosten des Geschmaks, daß ich in einen Brief ieden10 Einfal, wie die Gelertenbuchhandlung iedes Buch, aufneme.
Haben Sie meine Exzerpten durchgelesen?
Da in Leipzig ein Heer von Geschäften meinen Kopf erwartet, so werd' ich Ihnen vielleicht nicht gleich schreiben können. Nur amen Sie mich hierinnen nicht nach, da Sie Ihr Stilschweigen weniger ent-15 schuldigen können; sondern machen Sie Ihren ersten Brief zur Hebamme meines ersten. -- Empfelen Sie mich Ihrer Gattin, leben [114]Sie wol mitten unter den vielen Leuten, die nicht wol leben, und schreiben Sie nicht blos heute sondern auch künftighin bald an
[Spaltenumbruch]Hof den 16 August 1783.[Spaltenumbruch]Ihren20 geh. D[iener] und Fr[eund] J. P. F. Richter
58. An Sophie Ellrodt in Helmbrechts.
[Kopie][Hof, 22. August 1783. Freitag]
Der, welchen Sie um 10 Meilen weit entfernt glauben, wird von25 Ihnen immer noch nur durch 4 Stunden getrent; und der Brief, den Sie iezt lesen, komt nicht von Leipzig, sondern von Hof. Meinen festen Entschlus, den vergangnen M[ontag?] abzureisen, vereitelte eine Hindernis, die ich Ihnen iezt erzälen werde, um mich bei Ihnen zu ent- schuldigen, daß ich mein Versprechen, bald abzureisen, erst auf den30 nächsten Montag erfülle. Ich hatte nämlich alles mein Geld, das ich von Leipzig mitgebracht, meiner Mama geliehen. Allein sie konte mir es zur Zeit, wo ichs brauchte, nicht wiedergeben; und kan es erst iezt, da ihr ein guter Freund damit ausgeholfen. Aber bald werd' ich die Gegenden auf lange verlassen, die mir nichts schönes anbieten ausser35
Da mir iezt der Wiz felet, den Dank für die zeither geliehenen Bücher einzukleiden: ſo mag er nakt auftreten; wie ich denn überhaupt mein Herz ſo ſer zu enthüllen pflege wie den Buſen, der es verhült. Zur Ver- hüllung beider kan mich blos die Kälte zwingen. Vielleicht mus der, welcher die natürliche Geſtalt ſeines Herzens enthült, eben das mit der5 natürlichen Geſtalt ſeines Kopfes tun. Von dieſem leztern mag dieſe Seite ein Zeuge ſein, ſo wie es vom erſtern die übrigen ſind. Denn gegen manches Wetterkülen meines Wizes in dieſem und meinen andern Briefen möchte die Kritik viel einzuwenden haben; und es geſ[ch]ieht auf Unkoſten des Geſchmaks, daß ich in einen Brief ieden10 Einfal, wie die Gelertenbuchhandlung iedes Buch, aufneme.
Haben Sie meine Exzerpten durchgeleſen?
Da in Leipzig ein Heer von Geſchäften meinen Kopf erwartet, ſo werd’ ich Ihnen vielleicht nicht gleich ſchreiben können. Nur amen Sie mich hierinnen nicht nach, da Sie Ihr Stilſchweigen weniger ent-15 ſchuldigen können; ſondern machen Sie Ihren erſten Brief zur Hebamme meines erſten. — Empfelen Sie mich Ihrer Gattin, leben [114]Sie wol mitten unter den vielen Leuten, die nicht wol leben, und ſchreiben Sie nicht blos heute ſondern auch künftighin bald an
[Spaltenumbruch]Hof den 16 Auguſt 1783.[Spaltenumbruch]Ihren20 geh. D[iener] und Fr[eund] J. P. F. Richter
58. An Sophie Ellrodt in Helmbrechts.
[Kopie][Hof, 22. Auguſt 1783. Freitag]
Der, welchen Sie um 10 Meilen weit entfernt glauben, wird von25 Ihnen immer noch nur durch 4 Stunden getrent; und der Brief, den Sie iezt leſen, komt nicht von Leipzig, ſondern von Hof. Meinen feſten Entſchlus, den vergangnen M[ontag?] abzureiſen, vereitelte eine Hindernis, die ich Ihnen iezt erzälen werde, um mich bei Ihnen zu ent- ſchuldigen, daß ich mein Verſprechen, bald abzureiſen, erſt auf den30 nächſten Montag erfülle. Ich hatte nämlich alles mein Geld, das ich von Leipzig mitgebracht, meiner Mama geliehen. Allein ſie konte mir es zur Zeit, wo ichs brauchte, nicht wiedergeben; und kan es erſt iezt, da ihr ein guter Freund damit ausgeholfen. Aber bald werd’ ich die Gegenden auf lange verlaſſen, die mir nichts ſchönes anbieten auſſer35
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Herz ſo ſer zu enthüllen pflege wie den Buſen, der es verhült. Zur Ver-
hüllung beider kan mich blos die Kälte zwingen. Vielleicht mus der,
welcher die natürliche Geſtalt ſeines Herzens enthült, eben das mit der 5
natürlichen Geſtalt ſeines Kopfes tun. Von dieſem leztern mag dieſe
Seite ein Zeuge ſein, ſo wie es vom erſtern die übrigen ſind. Denn
gegen manches Wetterkülen meines Wizes in dieſem und meinen
andern Briefen möchte die Kritik viel einzuwenden haben; und es
geſ[ch]ieht auf Unkoſten des Geſchmaks, daß ich in einen Brief ieden 10
Einfal, wie die Gelertenbuchhandlung iedes Buch, aufneme.
Haben Sie meine Exzerpten durchgeleſen?
Da in Leipzig ein Heer von Geſchäften meinen Kopf erwartet, ſo
werd’ ich Ihnen vielleicht nicht gleich ſchreiben können. Nur amen Sie
mich hierinnen nicht nach, da Sie Ihr Stilſchweigen weniger ent- 15
ſchuldigen können; ſondern machen Sie Ihren erſten Brief zur
Hebamme meines erſten. — Empfelen Sie mich Ihrer Gattin, leben
Sie wol mitten unter den vielen Leuten, die nicht wol leben, und
ſchreiben Sie nicht blos heute ſondern auch künftighin bald an
[114]
Hof den 16 Auguſt
1783.
Ihren 20
geh. D[iener] und Fr[eund]
J. P. F. Richter
58. An Sophie Ellrodt in Helmbrechts.
[Hof, 22. Auguſt 1783. Freitag]
Der, welchen Sie um 10 Meilen weit entfernt glauben, wird von 25
Ihnen immer noch nur durch 4 Stunden getrent; und der Brief, den
Sie iezt leſen, komt nicht von Leipzig, ſondern von Hof. Meinen feſten
Entſchlus, den vergangnen M[ontag?] abzureiſen, vereitelte eine
Hindernis, die ich Ihnen iezt erzälen werde, um mich bei Ihnen zu ent-
ſchuldigen, daß ich mein Verſprechen, bald abzureiſen, erſt auf den 30
nächſten Montag erfülle. Ich hatte nämlich alles mein Geld, das ich
von Leipzig mitgebracht, meiner Mama geliehen. Allein ſie konte mir
es zur Zeit, wo ichs brauchte, nicht wiedergeben; und kan es erſt iezt,
da ihr ein guter Freund damit ausgeholfen. Aber bald werd’ ich die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/129>, abgerufen am 25.07.2024.
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