Sie haben in Ihrem lezten Brief die Beurteilung der Stelle in der[104] Piece des H. Doppelmaiers, die ich Ihnen angedeutet, vergessen.
Drei lere Seiten sind eine starke Versuchung für mich, allerlei Dummes von mir zu geben; allein mein Kopf ist iezt zu erschöpft, sie auszufüllen, und ich bin des Schreibens müde wie Sie sat des Lesens.5 So wie der Buchbinder die Zal der volgedrukten Blätter mit einem leren krönet, das vielleicht nicht lerer ist als die vollen: so mag das lezte Blat meines Briefs das Amen der drei andern sein. Vielleicht würde ich noch diese Seite wenigstens bis zum ersten Viertel sich vergrössern lassen; wenn ich dem Zuruffe des Balzak folgte, der mir10 anrät, an eine spizigere Pointe zu spiesen
[Spaltenumbruch]Hof den 22. Jul. 1783.[Spaltenumbruch]Ihren gehors. Diener J. P. F. Richter
53. An Pfarrer Vogel in Rehau.15
[Kopie][Hof, 26. Juli 1783. Sonnabend]
"Lieber Got! wie einen der Mensch plagt! wär' er doch nur wieder in seinem Leipzig!" Diese drei Ausruffungen wird Ihnen der Anblik meines Briefes abgedrungen haben, noch eh' Sie sie in ihm gelesen. Kaum daß Sie seinen Vorgänger angehöret, beantwortet und be-20 friedigt; kaum daß Sie mich mit 5 Schüsseln zu guterlezt traktirt, so schreie ich gleich gefrässigen Kindern, nach der Malzeit von neuem um Brod. Ja, was noch mer ist, ich komme mit meiner vierten Bitte um tägliches Brod (ich habe gerade 4 mal um Bücher gebeten) überdies am Sonabend angezogen, den die Geistlichen gleich den koptischen25 Christen so gut wie den Sontag feiern, mit Ausname derienigen, die in ihrem Kalender 6. Ruhetage und 1. Werkeltag, und mit Ausname Ihrer, der Sie 7. Werkeltage und keinen Ruhetag zälen. Die Not- wendigkeit wird die Zudringlichkeit, die sie veranlaste, auch ent- schuldigen. Denn ungeachtet die Prolegomene [!] auf die Oster-30 feiertage, die bei den Katoliken in leiblichen, bei den Protestanten in geistlichen Fastenspeisen d. i. Passionspredigten bestehen, schon längst geendigt sind, so macht doch mein ieziger Aufenthalt in Hof meine Sele die Fastenzeit wiederholen, weil hier an geistiger Narung eine solche Teuerung ist, daß wie in Samaria, sogar ein Eselskopf 30 Silber-35
7 Jean Paul Briefe. I.
Sie haben in Ihrem lezten Brief die Beurteilung der Stelle in der[104] Piece des H. Doppelmaiers, die ich Ihnen angedeutet, vergeſſen.
Drei lere Seiten ſind eine ſtarke Verſuchung für mich, allerlei Dummes von mir zu geben; allein mein Kopf iſt iezt zu erſchöpft, ſie auszufüllen, und ich bin des Schreibens müde wie Sie ſat des Leſens.5 So wie der Buchbinder die Zal der volgedrukten Blätter mit einem leren krönet, das vielleicht nicht lerer iſt als die vollen: ſo mag das lezte Blat meines Briefs das Amen der drei andern ſein. Vielleicht würde ich noch dieſe Seite wenigſtens bis zum erſten Viertel ſich vergröſſern laſſen; wenn ich dem Zuruffe des Balzak folgte, der mir10 anrät, an eine ſpizigere Pointe zu ſpieſen
[Spaltenumbruch]Hof den 22. Jul. 1783.[Spaltenumbruch]Ihren gehorſ. Diener J. P. F. Richter
53. An Pfarrer Vogel in Rehau.15
[Kopie][Hof, 26. Juli 1783. Sonnabend]
„Lieber Got! wie einen der Menſch plagt! wär’ er doch nur wieder in ſeinem Leipzig!“ Dieſe drei Ausruffungen wird Ihnen der Anblik meines Briefes abgedrungen haben, noch eh’ Sie ſie in ihm geleſen. Kaum daß Sie ſeinen Vorgänger angehöret, beantwortet und be-20 friedigt; kaum daß Sie mich mit 5 Schüſſeln zu guterlezt traktirt, ſo ſchreie ich gleich gefräſſigen Kindern, nach der Malzeit von neuem um Brod. Ja, was noch mer iſt, ich komme mit meiner vierten Bitte um tägliches Brod (ich habe gerade 4 mal um Bücher gebeten) überdies am Sonabend angezogen, den die Geiſtlichen gleich den koptiſchen25 Chriſten ſo gut wie den Sontag feiern, mit Ausname derienigen, die in ihrem Kalender 6. Ruhetage und 1. Werkeltag, und mit Ausname Ihrer, der Sie 7. Werkeltage und keinen Ruhetag zälen. Die Not- wendigkeit wird die Zudringlichkeit, die ſie veranlaſte, auch ent- ſchuldigen. Denn ungeachtet die Prolegomene [!] auf die Oſter-30 feiertage, die bei den Katoliken in leiblichen, bei den Proteſtanten in geiſtlichen Faſtenſpeiſen d. i. Paſſionspredigten beſtehen, ſchon längſt geendigt ſind, ſo macht doch mein ieziger Aufenthalt in Hof meine Sele die Faſtenzeit wiederholen, weil hier an geiſtiger Narung eine ſolche Teuerung iſt, daß wie in Samaria, ſogar ein Eſelskopf 30 Silber-35
7 Jean Paul Briefe. I.
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Sie haben in Ihrem lezten Brief die Beurteilung der Stelle in der
Piece des H. Doppelmaiers, die ich Ihnen angedeutet, vergeſſen.
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Drei lere Seiten ſind eine ſtarke Verſuchung für mich, allerlei
Dummes von mir zu geben; allein mein Kopf iſt iezt zu erſchöpft, ſie
auszufüllen, und ich bin des Schreibens müde wie Sie ſat des Leſens. 5
So wie der Buchbinder die Zal der volgedrukten Blätter mit einem
leren krönet, das vielleicht nicht lerer iſt als die vollen: ſo mag das
lezte Blat meines Briefs das Amen der drei andern ſein. Vielleicht
würde ich noch dieſe Seite wenigſtens bis zum erſten Viertel ſich
vergröſſern laſſen; wenn ich dem Zuruffe des Balzak folgte, der mir 10
anrät, an eine ſpizigere Pointe zu ſpieſen
Hof den 22. Jul.
1783.
Ihren
gehorſ. Diener
J. P. F. Richter
53. An Pfarrer Vogel in Rehau. 15
[Hof, 26. Juli 1783. Sonnabend]
„Lieber Got! wie einen der Menſch plagt! wär’ er doch nur wieder
in ſeinem Leipzig!“ Dieſe drei Ausruffungen wird Ihnen der Anblik
meines Briefes abgedrungen haben, noch eh’ Sie ſie in ihm geleſen.
Kaum daß Sie ſeinen Vorgänger angehöret, beantwortet und be- 20
friedigt; kaum daß Sie mich mit 5 Schüſſeln zu guterlezt traktirt, ſo
ſchreie ich gleich gefräſſigen Kindern, nach der Malzeit von neuem um
Brod. Ja, was noch mer iſt, ich komme mit meiner vierten Bitte um
tägliches Brod (ich habe gerade 4 mal um Bücher gebeten) überdies
am Sonabend angezogen, den die Geiſtlichen gleich den koptiſchen 25
Chriſten ſo gut wie den Sontag feiern, mit Ausname derienigen, die in
ihrem Kalender 6. Ruhetage und 1. Werkeltag, und mit Ausname
Ihrer, der Sie 7. Werkeltage und keinen Ruhetag zälen. Die Not-
wendigkeit wird die Zudringlichkeit, die ſie veranlaſte, auch ent-
ſchuldigen. Denn ungeachtet die Prolegomene [!] auf die Oſter- 30
feiertage, die bei den Katoliken in leiblichen, bei den Proteſtanten in
geiſtlichen Faſtenſpeiſen d. i. Paſſionspredigten beſtehen, ſchon längſt
geendigt ſind, ſo macht doch mein ieziger Aufenthalt in Hof meine
Sele die Faſtenzeit wiederholen, weil hier an geiſtiger Narung eine
ſolche Teuerung iſt, daß wie in Samaria, ſogar ein Eſelskopf 30 Silber- 35
7 Jean Paul Briefe. I.
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/120>, abgerufen am 04.07.2024.
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