zum Essen geruffen; nun zerschneidet das Esmesser die ganze iezige Ideenkette und die Lebensgeister steigen aus dem edlern Eingeweide in ein niedrigers Stokwerk hernieder und die Empfindung wälet stat des Herzens den Gaumen. -- -- --
Schönes Wetter erzeugt selten einen schönen Brief. Die Hize reizt5 zur Bildung leiblicher, aber nicht geistlicher Kinder und am warmen Mittage scheint Apollo die Stralen, die er der Gasse verschwendet, dem Kopfe zu entziehen..... Da ich noch überdies gegessen habe, so bin ich so dum und träge, wie das Tier, das sonst nur schlechte Disteln frist. Diese Trägheit erinnert mich an eine gewisse Stelle deines Briefs,10 über die mir eine Bemerkung erlaubt sei. "Der Ideengang eines "Hipochondristen nach dem Essen ist so unordentlich als die Bewegung "seiner Säfte." So heist die Stelle. Wo felet derselben Wiz? nicht am Gedanken, sondern am Ausdruk, dem man erst die Wörter abschneiden mus, die die Vergleichung zwischen den zwo gegebnen unänlichen15 Ideen erschweren. Ändere ihn kurz so um: "die Verdauung verwirret meine Ideen und meine Säfte." Der Gedanke ist derselbe, allein die Kürze des Ausdruks macht die Änlichkeit der unänlichen Ideen auf- fallender; stat daß sie der deinige verstekt. Von den "Ideen" brauchst du das Wort Gang; von den Säften das Wort Bewegung; nimt man20 aber zu beiden dasselbe Wort, so leuchtet iedem die Änlichkeit ein. Daher schrieben alle dieienigen wizig, die kurz schrieben; Pope, Seneka, Tazitus, Rousseau, Voltaire, Montaigne. Niemand bestätigt besser diese Bemerkung als Wernike. Daher rechnet man Kürze zur ersten Erfordernis des Epigrams. Salz bleibt auch im Wasser Salz; aber25 niemand sieht es, daß es Salz ist -- einen Chemiker aus-[84] genommen.
Die Annäherung des Posttags entreist mich dem Strome von un- zusammenhängenden Gedanken, denen ich schon einen halben Bogen durch one kritisches Ruder gefolgt; aber mit eben dem Vergnügen,30 womit der gen Himmelsehende [!] Rousseau sich vom anarchischen Bote tragen lies. Auch ist mir an dem baldigen Fortkommen dieses Briefs darum viel gelegen, weil er das Verzeichnis der Bücher in Folio, die der Pfarrer in Rehau aus der Aukzion verlangt, in sich schliest. Das Zettelgen giebst du dem dir bekanten Man. Du tust diese Gefälligkeit35 nicht blos demienigen Freunde, dem du schon so viele getan, sondern auch demienigen, welchem du einst noch manche tun wirst.
zum Eſſen geruffen; nun zerſchneidet das Esmeſſer die ganze iezige Ideenkette und die Lebensgeiſter ſteigen aus dem edlern Eingeweide in ein niedrigers Stokwerk hernieder und die Empfindung wälet ſtat des Herzens den Gaumen. — — —
Schönes Wetter erzeugt ſelten einen ſchönen Brief. Die Hize reizt5 zur Bildung leiblicher, aber nicht geiſtlicher Kinder und am warmen Mittage ſcheint Apollo die Stralen, die er der Gaſſe verſchwendet, dem Kopfe zu entziehen..... Da ich noch überdies gegeſſen habe, ſo bin ich ſo dum und träge, wie das Tier, das ſonſt nur ſchlechte Diſteln friſt. Dieſe Trägheit erinnert mich an eine gewiſſe Stelle deines Briefs,10 über die mir eine Bemerkung erlaubt ſei. „Der Ideengang eines „Hipochondriſten nach dem Eſſen iſt ſo unordentlich als die Bewegung „ſeiner Säfte.“ So heiſt die Stelle. Wo felet derſelben Wiz? nicht am Gedanken, ſondern am Ausdruk, dem man erſt die Wörter abſchneiden mus, die die Vergleichung zwiſchen den zwo gegebnen unänlichen15 Ideen erſchweren. Ändere ihn kurz ſo um: „die Verdauung verwirret meine Ideen und meine Säfte.“ Der Gedanke iſt derſelbe, allein die Kürze des Ausdruks macht die Änlichkeit der unänlichen Ideen auf- fallender; ſtat daß ſie der deinige verſtekt. Von den „Ideen“ brauchſt du das Wort Gang; von den Säften das Wort Bewegung; nimt man20 aber zu beiden daſſelbe Wort, ſo leuchtet iedem die Änlichkeit ein. Daher ſchrieben alle dieienigen wizig, die kurz ſchrieben; Pope, Seneka, Tazitus, Rouſſeau, Voltaire, Montaigne. Niemand beſtätigt beſſer dieſe Bemerkung als Wernike. Daher rechnet man Kürze zur erſten Erfordernis des Epigrams. Salz bleibt auch im Waſſer Salz; aber25 niemand ſieht es, daß es Salz iſt — einen Chemiker aus-[84] genommen.
Die Annäherung des Poſttags entreiſt mich dem Strome von un- zuſammenhängenden Gedanken, denen ich ſchon einen halben Bogen durch one kritiſches Ruder gefolgt; aber mit eben dem Vergnügen,30 womit der gen Himmelſehende [!] Rouſſeau ſich vom anarchiſchen Bote tragen lies. Auch iſt mir an dem baldigen Fortkommen dieſes Briefs darum viel gelegen, weil er das Verzeichnis der Bücher in Folio, die der Pfarrer in Rehau aus der Aukzion verlangt, in ſich ſchlieſt. Das Zettelgen giebſt du dem dir bekanten Man. Du tuſt dieſe Gefälligkeit35 nicht blos demienigen Freunde, dem du ſchon ſo viele getan, ſondern auch demienigen, welchem du einſt noch manche tun wirſt.
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Schönes Wetter erzeugt ſelten einen ſchönen Brief. Die Hize reizt 5
zur Bildung leiblicher, aber nicht geiſtlicher Kinder und am warmen
Mittage ſcheint Apollo die Stralen, die er der Gaſſe verſchwendet, dem
Kopfe zu entziehen..... Da ich noch überdies gegeſſen habe, ſo bin ich
ſo dum und träge, wie das Tier, das ſonſt nur ſchlechte Diſteln friſt.
Dieſe Trägheit erinnert mich an eine gewiſſe Stelle deines Briefs, 10
über die mir eine Bemerkung erlaubt ſei. „Der Ideengang eines
„Hipochondriſten nach dem Eſſen iſt ſo unordentlich als die Bewegung
„ſeiner Säfte.“ So heiſt die Stelle. Wo felet derſelben Wiz? nicht am
Gedanken, ſondern am Ausdruk, dem man erſt die Wörter abſchneiden
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Ideen erſchweren. Ändere ihn kurz ſo um: „die Verdauung verwirret
meine Ideen und meine Säfte.“ Der Gedanke iſt derſelbe, allein die
Kürze des Ausdruks macht die Änlichkeit der unänlichen Ideen auf-
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aber zu beiden daſſelbe Wort, ſo leuchtet iedem die Änlichkeit ein.
Daher ſchrieben alle dieienigen wizig, die kurz ſchrieben; Pope, Seneka,
Tazitus, Rouſſeau, Voltaire, Montaigne. Niemand beſtätigt beſſer
dieſe Bemerkung als Wernike. Daher rechnet man Kürze zur erſten
Erfordernis des Epigrams. Salz bleibt auch im Waſſer Salz; aber 25
niemand ſieht es, daß es Salz iſt — einen Chemiker aus-
genommen.
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Die Annäherung des Poſttags entreiſt mich dem Strome von un-
zuſammenhängenden Gedanken, denen ich ſchon einen halben Bogen
durch one kritiſches Ruder gefolgt; aber mit eben dem Vergnügen, 30
womit der gen Himmelſehende [!] Rouſſeau ſich vom anarchiſchen Bote
tragen lies. Auch iſt mir an dem baldigen Fortkommen dieſes Briefs
darum viel gelegen, weil er das Verzeichnis der Bücher in Folio, die
der Pfarrer in Rehau aus der Aukzion verlangt, in ſich ſchlieſt. Das
Zettelgen giebſt du dem dir bekanten Man. Du tuſt dieſe Gefälligkeit 35
nicht blos demienigen Freunde, dem du ſchon ſo viele getan, ſondern
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
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Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-11-22T14:52:17Z)
Weitere Informationen:
Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).
Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.
Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 1. Berlin, 1956, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe01_1956/100>, abgerufen am 25.11.2024.
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