Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht zu Hause ist, so tanzen die Mäuse auf
Tischen und Bänken" -- und: "Des Herrn
Auge macht das Vieh fett." Manches ist weit¬
schön, was in der Nähe betrachtet, nicht taugt,
und die Regierung ist gewöhnlich nicht da, wo
sie sein sollte "deckt den Brunnen zu, wenn das
Kind ertrunken." Die Russische Klage: "Gott
wohnt hoch, und der Kaiser weit" paßt auf je¬
den Staat, dessen Regierung nicht mit mensch¬
licher Allgegenwart durch alle Abtheilungen hin¬
unter, und hinauf würkt. Die Nerven verbrei¬
ten sich überall durch den Körper bis in die En¬
den der Außentheile; der Bäume Saft steigt
bis in die Krone hinauf, und sinkt wieder bis
zur Wurzel hinab. Bloß im Morgenlande
läßt sich die Regierung nur zuweilen öffentlich
sehen. Das ist eine Taschenspielerkunst des Sich¬
wichtigmachens -- sie erscheine auf einem Ele¬
phanten, oder Befehl aus der Hauptstadt! Und
der gemeine Mann, der im Nu Gesetze geben
und aufheben sieht und hört, äußert dann bei
jedem neuen in seinem durchfallenden Witz: "Es
steht ja drunter L. S. -- Laß schleichen." Ja
weil die niedern Behörden nicht darauf merken

nicht zu Hauſe iſt, ſo tanzen die Mäuſe auf
Tiſchen und Bänken″ — und: „Des Herrn
Auge macht das Vieh fett.″ Manches iſt weit¬
ſchön, was in der Nähe betrachtet, nicht taugt,
und die Regierung iſt gewöhnlich nicht da, wo
ſie ſein ſollte „deckt den Brunnen zu, wenn das
Kind ertrunken.″ Die Ruſſiſche Klage: „Gott
wohnt hoch, und der Kaiſer weit″ paßt auf je¬
den Staat, deſſen Regierung nicht mit menſch¬
licher Allgegenwart durch alle Abtheilungen hin¬
unter, und hinauf würkt. Die Nerven verbrei¬
ten ſich überall durch den Körper bis in die En¬
den der Außentheile; der Bäume Saft ſteigt
bis in die Krone hinauf, und ſinkt wieder bis
zur Wurzel hinab. Bloß im Morgenlande
läßt ſich die Regierung nur zuweilen öffentlich
ſehen. Das iſt eine Taſchenſpielerkunſt des Sich¬
wichtigmachens — ſie erſcheine auf einem Ele¬
phanten, oder Befehl aus der Hauptſtadt! Und
der gemeine Mann, der im Nu Geſetze geben
und aufheben ſieht und hört, äußert dann bei
jedem neuen in ſeinem durchfallenden Witz: „Es
ſteht ja drunter L. S. — Laß ſchleichen.″ Ja
weil die niedern Behörden nicht darauf merken

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0083" n="53"/><fw type="pageNum" place="top">53<lb/></fw>nicht zu Hau&#x017F;e i&#x017F;t, &#x017F;o tanzen die Mäu&#x017F;e auf<lb/>
Ti&#x017F;chen und Bänken&#x2033; &#x2014; und: &#x201E;Des Herrn<lb/>
Auge macht das Vieh fett.&#x2033; Manches i&#x017F;t weit¬<lb/>
&#x017F;chön, was in der Nähe betrachtet, nicht taugt,<lb/>
und die Regierung i&#x017F;t gewöhnlich nicht da, wo<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ein &#x017F;ollte &#x201E;deckt den Brunnen zu, wenn das<lb/>
Kind ertrunken.&#x2033; Die Ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;che Klage: &#x201E;Gott<lb/>
wohnt hoch, und der Kai&#x017F;er weit&#x2033; paßt auf je¬<lb/>
den Staat, de&#x017F;&#x017F;en Regierung nicht mit men&#x017F;ch¬<lb/>
licher Allgegenwart durch alle Abtheilungen hin¬<lb/>
unter, und hinauf würkt. Die Nerven verbrei¬<lb/>
ten &#x017F;ich überall durch den Körper bis in die En¬<lb/>
den der Außentheile; der Bäume Saft &#x017F;teigt<lb/>
bis in die Krone hinauf, und &#x017F;inkt wieder bis<lb/>
zur Wurzel hinab. Bloß im Morgenlande<lb/>
läßt &#x017F;ich die Regierung nur zuweilen öffentlich<lb/>
&#x017F;ehen. Das i&#x017F;t eine Ta&#x017F;chen&#x017F;pielerkun&#x017F;t des Sich¬<lb/>
wichtigmachens &#x2014; &#x017F;ie er&#x017F;cheine auf einem Ele¬<lb/>
phanten, oder Befehl aus der Haupt&#x017F;tadt! Und<lb/>
der gemeine Mann, der im Nu Ge&#x017F;etze geben<lb/>
und aufheben &#x017F;ieht und hört, äußert dann bei<lb/>
jedem neuen in &#x017F;einem durchfallenden Witz: &#x201E;Es<lb/>
&#x017F;teht ja drunter <hi rendition="#aq">L. S</hi>. &#x2014; Laß &#x017F;chleichen.&#x2033; Ja<lb/>
weil die niedern Behörden nicht darauf merken<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0083] 53 nicht zu Hauſe iſt, ſo tanzen die Mäuſe auf Tiſchen und Bänken″ — und: „Des Herrn Auge macht das Vieh fett.″ Manches iſt weit¬ ſchön, was in der Nähe betrachtet, nicht taugt, und die Regierung iſt gewöhnlich nicht da, wo ſie ſein ſollte „deckt den Brunnen zu, wenn das Kind ertrunken.″ Die Ruſſiſche Klage: „Gott wohnt hoch, und der Kaiſer weit″ paßt auf je¬ den Staat, deſſen Regierung nicht mit menſch¬ licher Allgegenwart durch alle Abtheilungen hin¬ unter, und hinauf würkt. Die Nerven verbrei¬ ten ſich überall durch den Körper bis in die En¬ den der Außentheile; der Bäume Saft ſteigt bis in die Krone hinauf, und ſinkt wieder bis zur Wurzel hinab. Bloß im Morgenlande läßt ſich die Regierung nur zuweilen öffentlich ſehen. Das iſt eine Taſchenſpielerkunſt des Sich¬ wichtigmachens — ſie erſcheine auf einem Ele¬ phanten, oder Befehl aus der Hauptſtadt! Und der gemeine Mann, der im Nu Geſetze geben und aufheben ſieht und hört, äußert dann bei jedem neuen in ſeinem durchfallenden Witz: „Es ſteht ja drunter L. S. — Laß ſchleichen.″ Ja weil die niedern Behörden nicht darauf merken

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/83
Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/83>, abgerufen am 23.11.2024.