schenherz leer, wenn sie nicht durch andere Men¬ schen belebt wird. Ein Örtchen, äußerlich un¬ ansehnlich und sonst unbedeutend, wird uns lieb, so bald Menschen darin wohnen, die uns ange¬ hen. Ungewitter die dort hin ziehn, streifen nicht als Luftgebilde an unserer Selbstsucht vorüber; wir schauen ihnen ängstlich nach, denn sie bedro¬ hen unsere Theuren. Eine Gegend, wo wir Freude genossen, glückliche Augenblicke verlebten, gute Thaten verrichteten, ist uns heimisch, wie die Geburtsstätte unsers Daseins. Und Umge¬ bungen, wo sich Hochgedanken in uns erzeug¬ ten, wo Gefühle, uns vorher unbekannt, die Seele füllten, heiligen sich uns zu einer Vereh¬ rung. Aus Erinnerungen von Gedanken, Ge¬ fühlen und Handlungen besteht unser Leben, und wir fesseln sie nur durch die Vorstellung von Raum und Zeit. Sind uns aber erst diese entflohn, so tappen wir vor uns in Nacht, und hinter uns in Düsterniß. Das Leben soll ja selbst nur eine Reise sein, aber man kann auch auf Reisen leben: Nur muß man nicht im ge¬ mächlichen Blindekuhwagen fahren, sich auf Landstraßen umhertreiben, um Wirthshäuser und
ſchenherz leer, wenn ſie nicht durch andere Men¬ ſchen belebt wird. Ein Örtchen, äußerlich un¬ anſehnlich und ſonſt unbedeutend, wird uns lieb, ſo bald Menſchen darin wohnen, die uns ange¬ hen. Ungewitter die dort hin ziehn, ſtreifen nicht als Luftgebilde an unſerer Selbſtſucht vorüber; wir ſchauen ihnen ängſtlich nach, denn ſie bedro¬ hen unſere Theuren. Eine Gegend, wo wir Freude genoſſen, glückliche Augenblicke verlebten, gute Thaten verrichteten, iſt uns heimiſch, wie die Geburtsſtätte unſers Daſeins. Und Umge¬ bungen, wo ſich Hochgedanken in uns erzeug¬ ten, wo Gefühle, uns vorher unbekannt, die Seele füllten, heiligen ſich uns zu einer Vereh¬ rung. Aus Erinnerungen von Gedanken, Ge¬ fühlen und Handlungen beſteht unſer Leben, und wir feſſeln ſie nur durch die Vorſtellung von Raum und Zeit. Sind uns aber erſt dieſe entflohn, ſo tappen wir vor uns in Nacht, und hinter uns in Düſterniß. Das Leben ſoll ja ſelbſt nur eine Reiſe ſein, aber man kann auch auf Reiſen leben: Nur muß man nicht im ge¬ mächlichen Blindekuhwagen fahren, ſich auf Landſtraßen umhertreiben, um Wirthshäuſer und
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ſchenherz leer, wenn ſie nicht durch andere Men¬
ſchen belebt wird. Ein Örtchen, äußerlich un¬
anſehnlich und ſonſt unbedeutend, wird uns lieb,
ſo bald Menſchen darin wohnen, die uns ange¬
hen. Ungewitter die dort hin ziehn, ſtreifen nicht
als Luftgebilde an unſerer Selbſtſucht vorüber;
wir ſchauen ihnen ängſtlich nach, denn ſie bedro¬
hen unſere Theuren. Eine Gegend, wo wir
Freude genoſſen, glückliche Augenblicke verlebten,
gute Thaten verrichteten, iſt uns heimiſch, wie
die Geburtsſtätte unſers Daſeins. Und Umge¬
bungen, wo ſich Hochgedanken in uns erzeug¬
ten, wo Gefühle, uns vorher unbekannt, die
Seele füllten, heiligen ſich uns zu einer Vereh¬
rung. Aus Erinnerungen von Gedanken, Ge¬
fühlen und Handlungen beſteht unſer Leben,
und wir feſſeln ſie nur durch die Vorſtellung
von Raum und Zeit. Sind uns aber erſt dieſe
entflohn, ſo tappen wir vor uns in Nacht, und
hinter uns in Düſterniß. Das Leben ſoll ja
ſelbſt nur eine Reiſe ſein, aber man kann auch
auf Reiſen leben: Nur muß man nicht im ge¬
mächlichen Blindekuhwagen fahren, ſich auf
Landſtraßen umhertreiben, um Wirthshäuſer und
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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/472>, abgerufen am 27.11.2024.
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