Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

Bild:
<< vorherige Seite

sie niemand suchen sollte. Auch hierin waren
unsere biedern Vorfahren reinsinniger. Auf den
Platz wo ein Erschlagener gefunden wurde, warf
jeder Vorüberwanderer einen Stein, ein Stück¬
chen Reisig, oder was er sonst zur Hand hatte,
bis endlich im Lauf der Zeit ein stetserneuer¬
ter Mahlhügel entstand. Wir Thatenbestauner
und Thatenträumer keifen um schickliche Stellen
zu Denkmählern, und der Handel ist so bald zu
schlichten. Wo die That im Raume geschehn,
gebührt ihr die Verewigung in Raum und Zeit.
Luthers Denkmahl gehört so wenig auf die Hü¬
gel Mansfelds, als auf den Blocksberg. Soll
ihm, dem Kirchenverbesserer, Eins erbaut werden,
so muß es nur dort sein, wo er dem geistlichen
Großherrn entsagte -- in Wittenberg. -- -- --

Was oben von Volksfesten gesagt ist (VII.
2. c), gilt von besondern volksthümlichen
Denkmählern
hier wieder. Jm Hollsteinischen
findet man einen Stein an der Landstraße mit
der Jnschrift: "Heinrich Graf von Ranzau hat
hier gesessen und gegessen." "Und hat doch,
obschon ein so mächtiger Mann, müssen gerin¬
gern Leuten Platz machen, und ihnen zum täg¬

ſie niemand ſuchen ſollte. Auch hierin waren
unſere biedern Vorfahren reinſinniger. Auf den
Platz wo ein Erſchlagener gefunden wurde, warf
jeder Vorüberwanderer einen Stein, ein Stück¬
chen Reiſig, oder was er ſonſt zur Hand hatte,
bis endlich im Lauf der Zeit ein ſtetserneuer¬
ter Mahlhügel entſtand. Wir Thatenbeſtauner
und Thatenträumer keifen um ſchickliche Stellen
zu Denkmählern, und der Handel iſt ſo bald zu
ſchlichten. Wo die That im Raume geſchehn,
gebührt ihr die Verewigung in Raum und Zeit.
Luthers Denkmahl gehört ſo wenig auf die Hü¬
gel Mansfelds, als auf den Blocksberg. Soll
ihm, dem Kirchenverbeſſerer, Eins erbaut werden,
ſo muß es nur dort ſein, wo er dem geiſtlichen
Großherrn entſagte — in Wittenberg. — — —

Was oben von Volksfeſten geſagt iſt (VII.
2. c), gilt von beſondern volksthümlichen
Denkmählern
hier wieder. Jm Hollſteiniſchen
findet man einen Stein an der Landſtraße mit
der Jnſchrift: „Heinrich Graf von Ranzau hat
hier geſeſſen und gegeſſen.“ „Und hat doch,
obſchon ein ſo mächtiger Mann, müſſen gerin¬
gern Leuten Platz machen, und ihnen zum täg¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0394" n="364"/><fw type="pageNum" place="top">364<lb/></fw>&#x017F;ie niemand &#x017F;uchen &#x017F;ollte. Auch hierin waren<lb/>
un&#x017F;ere biedern Vorfahren rein&#x017F;inniger. Auf den<lb/>
Platz wo ein Er&#x017F;chlagener gefunden wurde, warf<lb/>
jeder Vorüberwanderer einen Stein, ein Stück¬<lb/>
chen Rei&#x017F;ig, oder was er &#x017F;on&#x017F;t zur Hand hatte,<lb/>
bis endlich im Lauf der Zeit ein &#x017F;tetserneuer¬<lb/>
ter Mahlhügel ent&#x017F;tand. Wir Thatenbe&#x017F;tauner<lb/>
und Thatenträumer keifen um &#x017F;chickliche Stellen<lb/>
zu Denkmählern, und der Handel i&#x017F;t &#x017F;o bald zu<lb/>
&#x017F;chlichten. Wo die That im Raume ge&#x017F;chehn,<lb/>
gebührt ihr die Verewigung in Raum und Zeit.<lb/>
Luthers Denkmahl gehört &#x017F;o wenig auf die Hü¬<lb/>
gel Mansfelds, als auf den Blocksberg. Soll<lb/>
ihm, dem Kirchenverbe&#x017F;&#x017F;erer, Eins erbaut werden,<lb/>
&#x017F;o muß es nur dort &#x017F;ein, wo er dem gei&#x017F;tlichen<lb/>
Großherrn ent&#x017F;agte &#x2014; in Wittenberg. &#x2014; &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <p>Was oben von Volksfe&#x017F;ten ge&#x017F;agt i&#x017F;t (<hi rendition="#aq">VII</hi>.<lb/>
2. <hi rendition="#aq">c</hi>), gilt von <hi rendition="#g">be&#x017F;ondern volksthümlichen<lb/>
Denkmählern</hi> hier wieder. Jm Holl&#x017F;teini&#x017F;chen<lb/>
findet man einen Stein an der Land&#x017F;traße mit<lb/>
der Jn&#x017F;chrift: &#x201E;Heinrich Graf von Ranzau hat<lb/>
hier ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en und gege&#x017F;&#x017F;en.&#x201C; &#x201E;Und hat doch,<lb/>
ob&#x017F;chon ein &#x017F;o mächtiger Mann, mü&#x017F;&#x017F;en gerin¬<lb/>
gern Leuten Platz machen, und ihnen zum täg¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[364/0394] 364 ſie niemand ſuchen ſollte. Auch hierin waren unſere biedern Vorfahren reinſinniger. Auf den Platz wo ein Erſchlagener gefunden wurde, warf jeder Vorüberwanderer einen Stein, ein Stück¬ chen Reiſig, oder was er ſonſt zur Hand hatte, bis endlich im Lauf der Zeit ein ſtetserneuer¬ ter Mahlhügel entſtand. Wir Thatenbeſtauner und Thatenträumer keifen um ſchickliche Stellen zu Denkmählern, und der Handel iſt ſo bald zu ſchlichten. Wo die That im Raume geſchehn, gebührt ihr die Verewigung in Raum und Zeit. Luthers Denkmahl gehört ſo wenig auf die Hü¬ gel Mansfelds, als auf den Blocksberg. Soll ihm, dem Kirchenverbeſſerer, Eins erbaut werden, ſo muß es nur dort ſein, wo er dem geiſtlichen Großherrn entſagte — in Wittenberg. — — — Was oben von Volksfeſten geſagt iſt (VII. 2. c), gilt von beſondern volksthümlichen Denkmählern hier wieder. Jm Hollſteiniſchen findet man einen Stein an der Landſtraße mit der Jnſchrift: „Heinrich Graf von Ranzau hat hier geſeſſen und gegeſſen.“ „Und hat doch, obſchon ein ſo mächtiger Mann, müſſen gerin¬ gern Leuten Platz machen, und ihnen zum täg¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/394
Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/394>, abgerufen am 16.07.2024.