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Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810.

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muth, Sanftmuth, Wehmuth, Anmuth und viele
andere. Wo ist ein Volk, was ein Wort hat
wie Minne? (Jahn's Bereicherung des Hoch¬
deutschen Sprachschatzes. 1806.) Jn welcher
Sprache klingt "Liebe" süßer? Schon Lu¬
ther
hat diesem Worte eine Lobrede gehalten,
die Herder übersehen hat (Adrastea. 6 Band.
2tes Stück. 2.). Welche Sprache ist reicher,
das Weib nach Lebensaltern und Lebensverhält¬
nissen zu bezeichnen? Für den einzigen Begriff
unverehlichtes Frauenzimmer sechs Wörter:
Mägdchen, Mädel, Dirne, Jungfer, Jungfrau,
Fräulein; ohne das dichterische Maid, und das
dienstliche Magd. Für das in den Ehestand
übergehenwollende drei: Geliebte, Liebchen und
Braut. Für Verheirathete sechs: Frau, Liebste,
Eheweib, Gattin, Gemahlin, Gemahl. Zur all¬
gemeinen Bezeichnung: Frauenzimmer, Weibs¬
bild, Weib, Schöne. Aber für Maitresse und
Coquette haben wir nichts, die hohlen wir aus
den Überrheinern in unsere keusche Sprache.

-- -- -- Deutsche Mägdchen! warum ist
euch solche Muttersprache Tand? Reden ist
euch doch Bedürfniß? Warum keine Ordnung

muth, Sanftmuth, Wehmuth, Anmuth und viele
andere. Wo iſt ein Volk, was ein Wort hat
wie Minne? (Jahn's Bereicherung des Hoch¬
deutſchen Sprachſchatzes. 1806.) Jn welcher
Sprache klingt „Liebe“ ſüßer? Schon Lu¬
ther
hat dieſem Worte eine Lobrede gehalten,
die Herder überſehen hat (Adraſtea. 6 Band.
2tes Stück. 2.). Welche Sprache iſt reicher,
das Weib nach Lebensaltern und Lebensverhält¬
niſſen zu bezeichnen? Für den einzigen Begriff
unverehlichtes Frauenzimmer ſechs Wörter:
Mägdchen, Mädel, Dirne, Jungfer, Jungfrau,
Fräulein; ohne das dichteriſche Maid, und das
dienſtliche Magd. Für das in den Eheſtand
übergehenwollende drei: Geliebte, Liebchen und
Braut. Für Verheirathete ſechs: Frau, Liebſte,
Eheweib, Gattin, Gemahlin, Gemahl. Zur all¬
gemeinen Bezeichnung: Frauenzimmer, Weibs¬
bild, Weib, Schöne. Aber für Maitresse und
Coquette haben wir nichts, die hohlen wir aus
den Überrheinern in unſere keuſche Sprache.

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euch ſolche Mutterſprache Tand? Reden iſt
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[260/0290] 260 muth, Sanftmuth, Wehmuth, Anmuth und viele andere. Wo iſt ein Volk, was ein Wort hat wie Minne? (Jahn's Bereicherung des Hoch¬ deutſchen Sprachſchatzes. 1806.) Jn welcher Sprache klingt „Liebe“ ſüßer? Schon Lu¬ ther hat dieſem Worte eine Lobrede gehalten, die Herder überſehen hat (Adraſtea. 6 Band. 2tes Stück. 2.). Welche Sprache iſt reicher, das Weib nach Lebensaltern und Lebensverhält¬ niſſen zu bezeichnen? Für den einzigen Begriff unverehlichtes Frauenzimmer ſechs Wörter: Mägdchen, Mädel, Dirne, Jungfer, Jungfrau, Fräulein; ohne das dichteriſche Maid, und das dienſtliche Magd. Für das in den Eheſtand übergehenwollende drei: Geliebte, Liebchen und Braut. Für Verheirathete ſechs: Frau, Liebſte, Eheweib, Gattin, Gemahlin, Gemahl. Zur all¬ gemeinen Bezeichnung: Frauenzimmer, Weibs¬ bild, Weib, Schöne. Aber für Maitresse und Coquette haben wir nichts, die hohlen wir aus den Überrheinern in unſere keuſche Sprache. — — — Deutſche Mägdchen! warum iſt euch ſolche Mutterſprache Tand? Reden iſt euch doch Bedürfniß? Warum keine Ordnung

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Zitationshilfe: Jahn, Friedrich Ludwig: Deutsches Volksthum. Lübeck, 1810, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jahn_volksthum_1810/290>, abgerufen am 22.11.2024.