Die Gesetze des Moses übersteigen ganz und gar die Einsichten und den Geschmack der damahligen Zeiten und enthalten An- ordnungen, die wir unmöglich von der Klug- heit eines herrschsüchtigen Menschen herlei- ten können, der selbige als ein Mittel ge- brauchet, sich ein Volk zu unterwerfen und im Gehorsam zu erhalten. Hätte Moses sein Gesetz zu einem solchen End- zweck erfunden: würde er auch auf die Verehrung eines einigen und unsichtbahren Gottes so sehr gedrungen und den Bilder- dienst mit so grossem Nachdruck abgeschaf- fet haben, dem die ganze Welt so eifrig er- geben war? Aaron folgte den Regeln ei- ner menschlichen Klugheit, wenn er dem Volke ein gegossen Kalb machte, und einen lustigen Götzendienst anordnete, nicht aber Moses. Welcher listige Bezwinger ei- nes Volkes, der sich selbiges durch den Aberglauben unterthänig machen wollte, würde demselben so weise und dem Aber- glauben so gefährliche Kennzeichen eines göttlichen Gesandten und göttlicher Befeh- le lehren, als Moses gethan hat? Sollte ein betrüglicher Anführer eines Volkes ih- nen auch wol lehren, wie sie falsche und wahre Wunder unterscheiden sollten? Die- ses aber hat Moses den Jsraeliten geleh- ret*) und dadurch bewiesen, daß er ein
ehrli-
*) 5 Mos. 13, 1. 3. C. 18, 20-22.
Die Geſetze des Moſes uͤberſteigen ganz und gar die Einſichten und den Geſchmack der damahligen Zeiten und enthalten An- ordnungen, die wir unmoͤglich von der Klug- heit eines herrſchſuͤchtigen Menſchen herlei- ten koͤnnen, der ſelbige als ein Mittel ge- brauchet, ſich ein Volk zu unterwerfen und im Gehorſam zu erhalten. Haͤtte Moſes ſein Geſetz zu einem ſolchen End- zweck erfunden: wuͤrde er auch auf die Verehrung eines einigen und unſichtbahren Gottes ſo ſehr gedrungen und den Bilder- dienſt mit ſo groſſem Nachdruck abgeſchaf- fet haben, dem die ganze Welt ſo eifrig er- geben war? Aaron folgte den Regeln ei- ner menſchlichen Klugheit, wenn er dem Volke ein gegoſſen Kalb machte, und einen luſtigen Goͤtzendienſt anordnete, nicht aber Moſes. Welcher liſtige Bezwinger ei- nes Volkes, der ſich ſelbiges durch den Aberglauben unterthaͤnig machen wollte, wuͤrde demſelben ſo weiſe und dem Aber- glauben ſo gefaͤhrliche Kennzeichen eines goͤttlichen Geſandten und goͤttlicher Befeh- le lehren, als Moſes gethan hat? Sollte ein betruͤglicher Anfuͤhrer eines Volkes ih- nen auch wol lehren, wie ſie falſche und wahre Wunder unterſcheiden ſollten? Die- ſes aber hat Moſes den Jſraeliten geleh- ret*) und dadurch bewieſen, daß er ein
ehrli-
*) 5 Moſ. 13, 1. 3. C. 18, 20-22.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0076"n="56"/>
Die Geſetze des Moſes uͤberſteigen ganz<lb/>
und gar die Einſichten und den Geſchmack<lb/>
der damahligen Zeiten und enthalten An-<lb/>
ordnungen, die wir unmoͤglich von der Klug-<lb/>
heit eines herrſchſuͤchtigen Menſchen herlei-<lb/>
ten koͤnnen, der ſelbige als ein Mittel ge-<lb/>
brauchet, ſich ein Volk zu unterwerfen<lb/>
und im Gehorſam zu erhalten. Haͤtte<lb/>
Moſes ſein Geſetz zu einem ſolchen End-<lb/>
zweck erfunden: wuͤrde er auch auf die<lb/>
Verehrung eines einigen und unſichtbahren<lb/>
Gottes ſo ſehr gedrungen und den Bilder-<lb/>
dienſt mit ſo groſſem Nachdruck abgeſchaf-<lb/>
fet haben, dem die ganze Welt ſo eifrig er-<lb/>
geben war? Aaron folgte den Regeln ei-<lb/>
ner menſchlichen Klugheit, wenn er dem<lb/>
Volke ein gegoſſen Kalb machte, und einen<lb/>
luſtigen Goͤtzendienſt anordnete, nicht aber<lb/>
Moſes. Welcher liſtige Bezwinger ei-<lb/>
nes Volkes, der ſich ſelbiges durch den<lb/>
Aberglauben unterthaͤnig machen wollte,<lb/>
wuͤrde demſelben ſo weiſe und dem Aber-<lb/>
glauben ſo gefaͤhrliche Kennzeichen eines<lb/>
goͤttlichen Geſandten und goͤttlicher Befeh-<lb/>
le lehren, als Moſes gethan hat? Sollte<lb/>
ein betruͤglicher Anfuͤhrer eines Volkes ih-<lb/>
nen auch wol lehren, wie ſie falſche und<lb/>
wahre Wunder unterſcheiden ſollten? Die-<lb/>ſes aber hat Moſes den Jſraeliten geleh-<lb/>
ret<noteplace="foot"n="*)">5 Moſ. 13, 1. 3. C. 18, 20-22.</note> und dadurch bewieſen, daß er ein<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ehrli-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[56/0076]
Die Geſetze des Moſes uͤberſteigen ganz
und gar die Einſichten und den Geſchmack
der damahligen Zeiten und enthalten An-
ordnungen, die wir unmoͤglich von der Klug-
heit eines herrſchſuͤchtigen Menſchen herlei-
ten koͤnnen, der ſelbige als ein Mittel ge-
brauchet, ſich ein Volk zu unterwerfen
und im Gehorſam zu erhalten. Haͤtte
Moſes ſein Geſetz zu einem ſolchen End-
zweck erfunden: wuͤrde er auch auf die
Verehrung eines einigen und unſichtbahren
Gottes ſo ſehr gedrungen und den Bilder-
dienſt mit ſo groſſem Nachdruck abgeſchaf-
fet haben, dem die ganze Welt ſo eifrig er-
geben war? Aaron folgte den Regeln ei-
ner menſchlichen Klugheit, wenn er dem
Volke ein gegoſſen Kalb machte, und einen
luſtigen Goͤtzendienſt anordnete, nicht aber
Moſes. Welcher liſtige Bezwinger ei-
nes Volkes, der ſich ſelbiges durch den
Aberglauben unterthaͤnig machen wollte,
wuͤrde demſelben ſo weiſe und dem Aber-
glauben ſo gefaͤhrliche Kennzeichen eines
goͤttlichen Geſandten und goͤttlicher Befeh-
le lehren, als Moſes gethan hat? Sollte
ein betruͤglicher Anfuͤhrer eines Volkes ih-
nen auch wol lehren, wie ſie falſche und
wahre Wunder unterſcheiden ſollten? Die-
ſes aber hat Moſes den Jſraeliten geleh-
ret *) und dadurch bewieſen, daß er ein
ehrli-
*) 5 Moſ. 13, 1. 3. C. 18, 20-22.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/76>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.