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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

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Die Gesetze des Moses übersteigen ganz
und gar die Einsichten und den Geschmack
der damahligen Zeiten und enthalten An-
ordnungen, die wir unmöglich von der Klug-
heit eines herrschsüchtigen Menschen herlei-
ten können, der selbige als ein Mittel ge-
brauchet, sich ein Volk zu unterwerfen
und im Gehorsam zu erhalten. Hätte
Moses sein Gesetz zu einem solchen End-
zweck erfunden: würde er auch auf die
Verehrung eines einigen und unsichtbahren
Gottes so sehr gedrungen und den Bilder-
dienst mit so grossem Nachdruck abgeschaf-
fet haben, dem die ganze Welt so eifrig er-
geben war? Aaron folgte den Regeln ei-
ner menschlichen Klugheit, wenn er dem
Volke ein gegossen Kalb machte, und einen
lustigen Götzendienst anordnete, nicht aber
Moses. Welcher listige Bezwinger ei-
nes Volkes, der sich selbiges durch den
Aberglauben unterthänig machen wollte,
würde demselben so weise und dem Aber-
glauben so gefährliche Kennzeichen eines
göttlichen Gesandten und göttlicher Befeh-
le lehren, als Moses gethan hat? Sollte
ein betrüglicher Anführer eines Volkes ih-
nen auch wol lehren, wie sie falsche und
wahre Wunder unterscheiden sollten? Die-
ses aber hat Moses den Jsraeliten geleh-
ret*) und dadurch bewiesen, daß er ein

ehrli-
*) 5 Mos. 13, 1. 3. C. 18, 20-22.

Die Geſetze des Moſes uͤberſteigen ganz
und gar die Einſichten und den Geſchmack
der damahligen Zeiten und enthalten An-
ordnungen, die wir unmoͤglich von der Klug-
heit eines herrſchſuͤchtigen Menſchen herlei-
ten koͤnnen, der ſelbige als ein Mittel ge-
brauchet, ſich ein Volk zu unterwerfen
und im Gehorſam zu erhalten. Haͤtte
Moſes ſein Geſetz zu einem ſolchen End-
zweck erfunden: wuͤrde er auch auf die
Verehrung eines einigen und unſichtbahren
Gottes ſo ſehr gedrungen und den Bilder-
dienſt mit ſo groſſem Nachdruck abgeſchaf-
fet haben, dem die ganze Welt ſo eifrig er-
geben war? Aaron folgte den Regeln ei-
ner menſchlichen Klugheit, wenn er dem
Volke ein gegoſſen Kalb machte, und einen
luſtigen Goͤtzendienſt anordnete, nicht aber
Moſes. Welcher liſtige Bezwinger ei-
nes Volkes, der ſich ſelbiges durch den
Aberglauben unterthaͤnig machen wollte,
wuͤrde demſelben ſo weiſe und dem Aber-
glauben ſo gefaͤhrliche Kennzeichen eines
goͤttlichen Geſandten und goͤttlicher Befeh-
le lehren, als Moſes gethan hat? Sollte
ein betruͤglicher Anfuͤhrer eines Volkes ih-
nen auch wol lehren, wie ſie falſche und
wahre Wunder unterſcheiden ſollten? Die-
ſes aber hat Moſes den Jſraeliten geleh-
ret*) und dadurch bewieſen, daß er ein

ehrli-
*) 5 Moſ. 13, 1. 3. C. 18, 20-22.
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[56/0076] Die Geſetze des Moſes uͤberſteigen ganz und gar die Einſichten und den Geſchmack der damahligen Zeiten und enthalten An- ordnungen, die wir unmoͤglich von der Klug- heit eines herrſchſuͤchtigen Menſchen herlei- ten koͤnnen, der ſelbige als ein Mittel ge- brauchet, ſich ein Volk zu unterwerfen und im Gehorſam zu erhalten. Haͤtte Moſes ſein Geſetz zu einem ſolchen End- zweck erfunden: wuͤrde er auch auf die Verehrung eines einigen und unſichtbahren Gottes ſo ſehr gedrungen und den Bilder- dienſt mit ſo groſſem Nachdruck abgeſchaf- fet haben, dem die ganze Welt ſo eifrig er- geben war? Aaron folgte den Regeln ei- ner menſchlichen Klugheit, wenn er dem Volke ein gegoſſen Kalb machte, und einen luſtigen Goͤtzendienſt anordnete, nicht aber Moſes. Welcher liſtige Bezwinger ei- nes Volkes, der ſich ſelbiges durch den Aberglauben unterthaͤnig machen wollte, wuͤrde demſelben ſo weiſe und dem Aber- glauben ſo gefaͤhrliche Kennzeichen eines goͤttlichen Geſandten und goͤttlicher Befeh- le lehren, als Moſes gethan hat? Sollte ein betruͤglicher Anfuͤhrer eines Volkes ih- nen auch wol lehren, wie ſie falſche und wahre Wunder unterſcheiden ſollten? Die- ſes aber hat Moſes den Jſraeliten geleh- ret *) und dadurch bewieſen, daß er ein ehrli- *) 5 Moſ. 13, 1. 3. C. 18, 20-22.

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/76>, abgerufen am 03.05.2024.