ein gewisses Gefühl verursachet, daß die Ehen zwischen leiblichen Geschwistern unter den Völkern seltener sind, und daß man auch unter den Christen so selten höret, daß wider diejenigen Gesetze gesündiget werde, die alle fleischliche Vermischung derselben untersagen. Man kann dieses nicht von der blossen Erziehung herleiten, darinne man den widrigsten Eindruck gegen solche Vermischungen mache. Gegen diese Art der Vermischungen wird viel weniger ge- redet, indem man sie weniger befürchtet, als gegen andere noch schändlichere Ver- mischungen, die ich nicht einmal nennen mag, und deren sich doch je zu Zeiten Men- schen verdächtig machen und zu Schulden kommen lassen. Ferner hat der Eindruck, welchen man Kindern gegen gewisse Laster, durch die blosse Erziehung giebet, die Kraft nicht, die Ausbrüche derselben so selten zu machen, als man die Vermischungen zwi- schen Eltern und Kindern und leiblichen Geschwistern höret. Wie abscheulich stel- len die mehresten Mütter ihren Töchtern nicht die Hurerey, und wie traurig stellet sie ihnen die Erfahrung nicht in so vielen Exempeln vor? Wie niederträchtig und schändlich wird nicht Diebstahl, Strassen- raub und Morden vorgestellet, und dennoch sind diese Verbrechen so selten nicht. Ja man höret öfter, daß Eltern ihre Kinder, und Kinder ihre Eltern und Geschwister
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Jac. Betr. 4. Band. Z
ein gewiſſes Gefuͤhl verurſachet, daß die Ehen zwiſchen leiblichen Geſchwiſtern unter den Voͤlkern ſeltener ſind, und daß man auch unter den Chriſten ſo ſelten hoͤret, daß wider diejenigen Geſetze geſuͤndiget werde, die alle fleiſchliche Vermiſchung derſelben unterſagen. Man kann dieſes nicht von der bloſſen Erziehung herleiten, darinne man den widrigſten Eindruck gegen ſolche Vermiſchungen mache. Gegen dieſe Art der Vermiſchungen wird viel weniger ge- redet, indem man ſie weniger befuͤrchtet, als gegen andere noch ſchaͤndlichere Ver- miſchungen, die ich nicht einmal nennen mag, und deren ſich doch je zu Zeiten Men- ſchen verdaͤchtig machen und zu Schulden kommen laſſen. Ferner hat der Eindruck, welchen man Kindern gegen gewiſſe Laſter, durch die bloſſe Erziehung giebet, die Kraft nicht, die Ausbruͤche derſelben ſo ſelten zu machen, als man die Vermiſchungen zwi- ſchen Eltern und Kindern und leiblichen Geſchwiſtern hoͤret. Wie abſcheulich ſtel- len die mehreſten Muͤtter ihren Toͤchtern nicht die Hurerey, und wie traurig ſtellet ſie ihnen die Erfahrung nicht in ſo vielen Exempeln vor? Wie niedertraͤchtig und ſchaͤndlich wird nicht Diebſtahl, Straſſen- raub und Morden vorgeſtellet, und dennoch ſind dieſe Verbrechen ſo ſelten nicht. Ja man hoͤret oͤfter, daß Eltern ihre Kinder, und Kinder ihre Eltern und Geſchwiſter
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ein gewiſſes Gefuͤhl verurſachet, daß die
Ehen zwiſchen leiblichen Geſchwiſtern unter
den Voͤlkern ſeltener ſind, und daß man
auch unter den Chriſten ſo ſelten hoͤret, daß
wider diejenigen Geſetze geſuͤndiget werde,
die alle fleiſchliche Vermiſchung derſelben
unterſagen. Man kann dieſes nicht von
der bloſſen Erziehung herleiten, darinne
man den widrigſten Eindruck gegen ſolche
Vermiſchungen mache. Gegen dieſe Art
der Vermiſchungen wird viel weniger ge-
redet, indem man ſie weniger befuͤrchtet,
als gegen andere noch ſchaͤndlichere Ver-
miſchungen, die ich nicht einmal nennen
mag, und deren ſich doch je zu Zeiten Men-
ſchen verdaͤchtig machen und zu Schulden
kommen laſſen. Ferner hat der Eindruck,
welchen man Kindern gegen gewiſſe Laſter,
durch die bloſſe Erziehung giebet, die Kraft
nicht, die Ausbruͤche derſelben ſo ſelten zu
machen, als man die Vermiſchungen zwi-
ſchen Eltern und Kindern und leiblichen
Geſchwiſtern hoͤret. Wie abſcheulich ſtel-
len die mehreſten Muͤtter ihren Toͤchtern
nicht die Hurerey, und wie traurig ſtellet
ſie ihnen die Erfahrung nicht in ſo vielen
Exempeln vor? Wie niedertraͤchtig und
ſchaͤndlich wird nicht Diebſtahl, Straſſen-
raub und Morden vorgeſtellet, und dennoch
ſind dieſe Verbrechen ſo ſelten nicht. Ja
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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/373>, abgerufen am 22.11.2024.
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