von einem ganz wüsten Leben sich zu Gott zu wenden, und einen Christlichen Sinn anzunehmen. Soll Gott viele auf eine solche Art bekehren? Endlich bedenke ich zu meiner Beruhigung, daß Gott jene Völ- ker, jene Städte, jene Personen nicht nach seinem geoffenbarten Worte, sondern nach dem Gesetze, so in ihr Herz geschrieben ist, und ihnen die Vernunft lehret, richten *), und niemand Unrecht thun werde **). Ja wird ein Heide Gott so, wie jener heidni- sche Hauptmann Cornelius ***) suchen, so wird er denselben auch nicht ohne Gnade und Erbarmung lassen.
§. 44.
Erbauliche Anwen- dung dieser Betrach- tung.
Geliebtester Leser, wäre es vernünftig, wäre es billig, wären wir edel in den Au- gen des Allwissenden und Heiligsten, der das Jnnerste unsers Herzens siehet, wenn wir diese Betrachtung von uns legten, ohne das grosse Glück, ohne die Barmherzigkeit zu erwägen, deren wir als Christen theil- haftig worden sind? So viele Jahre, so viele grosse Anstalten, eine so langmüthige Gedult ist nöthig gewesen, ehe nur ein Theil der Völker aus ihrer Kindheit, aus
dem
*) Röm. Cap. 2. v. 12.
**) Matth. C. 11. v. 22. 24. Luc. C. 12. v. 48.
***) Apost. Gesch. C. 10. v. 1. u. f.
von einem ganz wuͤſten Leben ſich zu Gott zu wenden, und einen Chriſtlichen Sinn anzunehmen. Soll Gott viele auf eine ſolche Art bekehren? Endlich bedenke ich zu meiner Beruhigung, daß Gott jene Voͤl- ker, jene Staͤdte, jene Perſonen nicht nach ſeinem geoffenbarten Worte, ſondern nach dem Geſetze, ſo in ihr Herz geſchrieben iſt, und ihnen die Vernunft lehret, richten *), und niemand Unrecht thun werde **). Ja wird ein Heide Gott ſo, wie jener heidni- ſche Hauptmann Cornelius ***) ſuchen, ſo wird er denſelben auch nicht ohne Gnade und Erbarmung laſſen.
§. 44.
Erbauliche Anwen- dung dieſer Betrach- tung.
Geliebteſter Leſer, waͤre es vernuͤnftig, waͤre es billig, waͤren wir edel in den Au- gen des Allwiſſenden und Heiligſten, der das Jnnerſte unſers Herzens ſiehet, wenn wir dieſe Betrachtung von uns legten, ohne das groſſe Gluͤck, ohne die Barmherzigkeit zu erwaͤgen, deren wir als Chriſten theil- haftig worden ſind? So viele Jahre, ſo viele groſſe Anſtalten, eine ſo langmuͤthige Gedult iſt noͤthig geweſen, ehe nur ein Theil der Voͤlker aus ihrer Kindheit, aus
dem
*) Roͤm. Cap. 2. v. 12.
**) Matth. C. 11. v. 22. 24. Luc. C. 12. v. 48.
***) Apoſt. Geſch. C. 10. v. 1. u. f.
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von einem ganz wuͤſten Leben ſich zu Gott
zu wenden, und einen Chriſtlichen Sinn
anzunehmen. Soll Gott viele auf eine
ſolche Art bekehren? Endlich bedenke ich zu
meiner Beruhigung, daß Gott jene Voͤl-
ker, jene Staͤdte, jene Perſonen nicht nach
ſeinem geoffenbarten Worte, ſondern nach
dem Geſetze, ſo in ihr Herz geſchrieben iſt,
und ihnen die Vernunft lehret, richten *),
und niemand Unrecht thun werde **). Ja
wird ein Heide Gott ſo, wie jener heidni-
ſche Hauptmann Cornelius ***) ſuchen,
ſo wird er denſelben auch nicht ohne Gnade
und Erbarmung laſſen.
§. 44.
Geliebteſter Leſer, waͤre es vernuͤnftig,
waͤre es billig, waͤren wir edel in den Au-
gen des Allwiſſenden und Heiligſten, der
das Jnnerſte unſers Herzens ſiehet, wenn
wir dieſe Betrachtung von uns legten, ohne
das groſſe Gluͤck, ohne die Barmherzigkeit
zu erwaͤgen, deren wir als Chriſten theil-
haftig worden ſind? So viele Jahre, ſo
viele groſſe Anſtalten, eine ſo langmuͤthige
Gedult iſt noͤthig geweſen, ehe nur ein
Theil der Voͤlker aus ihrer Kindheit, aus
dem
*) Roͤm. Cap. 2. v. 12.
**) Matth. C. 11. v. 22. 24. Luc. C. 12.
v. 48.
***) Apoſt. Geſch. C. 10. v. 1. u. f.
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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/136>, abgerufen am 24.11.2024.
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