Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

Bild:
<< vorherige Seite

schaffet und daß also damals die bequem-
ste Zeit gewesen, selbiges anzurichten. Auf
eine ähnliche Art ist, wie bekannt, die
Reformation befördert worden. Die wie-
der aufgelebeten Wissenschaften und die
unerträglichen Laster der Geistlichen bra-
chen derselben die Bahn.

§. 39.

Wenn aber ein gebaueter Verstand undWarum
in den er-
sten Zeiten
die Philoso-
phen und
Höfe das
Christen-
thum nicht
angenom-
men.

ein feiner Geschmack und zärtliche Empfind-
lichkeit der Seele dem Christenthume vor-
theilhaft gewesen, woher ist es denn kom-
men, daß so wenige Philosophen jener
Zeiten Christen worden und die rühmlichen
Kaiser, der Flavius Vespasianus, der
Titus, der Trajanus, die beiden Antonius
und deren Höfe das Christenthum nicht
nur nicht angenommen, sondern zum Theil
gar verfolget? Was erstlich die Gelehrten
betrift, so ist nichts schwerer in der Welt,
als selbige durch andere von ihnen einmal
angenommenen Meinungen abzuführen und
zu dem demüthigen Bekänntniß zu bringen,
daß sie geirret. Fast ein Jeder unter den-
selben glaubet, seine Einsichten machen die
einzige wahre und gesunde Vernunft aus
und Gott selber könne und müsse nicht an-
ders denken, als er. Denn es sey nur ei-
ne Wahrheit und er habe selbige. Man
muß sich über diesen Gedanken zwar desto
mehr wundern, da ein grosser Gelehrter

dem
Jac. Betr. 4. Band. G

ſchaffet und daß alſo damals die bequem-
ſte Zeit geweſen, ſelbiges anzurichten. Auf
eine aͤhnliche Art iſt, wie bekannt, die
Reformation befoͤrdert worden. Die wie-
der aufgelebeten Wiſſenſchaften und die
unertraͤglichen Laſter der Geiſtlichen bra-
chen derſelben die Bahn.

§. 39.

Wenn aber ein gebaueter Verſtand undWarum
in den er-
ſten Zeiten
die Philoſo-
phen und
Hoͤfe das
Chriſten-
thum nicht
angenom-
men.

ein feiner Geſchmack und zaͤrtliche Empfind-
lichkeit der Seele dem Chriſtenthume vor-
theilhaft geweſen, woher iſt es denn kom-
men, daß ſo wenige Philoſophen jener
Zeiten Chriſten worden und die ruͤhmlichen
Kaiſer, der Flavius Veſpaſianus, der
Titus, der Trajanus, die beiden Antonius
und deren Hoͤfe das Chriſtenthum nicht
nur nicht angenommen, ſondern zum Theil
gar verfolget? Was erſtlich die Gelehrten
betrift, ſo iſt nichts ſchwerer in der Welt,
als ſelbige durch andere von ihnen einmal
angenommenen Meinungen abzufuͤhren und
zu dem demuͤthigen Bekaͤnntniß zu bringen,
daß ſie geirret. Faſt ein Jeder unter den-
ſelben glaubet, ſeine Einſichten machen die
einzige wahre und geſunde Vernunft aus
und Gott ſelber koͤnne und muͤſſe nicht an-
ders denken, als er. Denn es ſey nur ei-
ne Wahrheit und er habe ſelbige. Man
muß ſich uͤber dieſen Gedanken zwar deſto
mehr wundern, da ein groſſer Gelehrter

dem
Jac. Betr. 4. Band. G
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0117" n="97"/>
&#x017F;chaffet und daß al&#x017F;o damals die bequem-<lb/>
&#x017F;te Zeit gewe&#x017F;en, &#x017F;elbiges anzurichten. Auf<lb/>
eine a&#x0364;hnliche Art i&#x017F;t, wie bekannt, die<lb/>
Reformation befo&#x0364;rdert worden. Die wie-<lb/>
der aufgelebeten Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften und die<lb/>
unertra&#x0364;glichen La&#x017F;ter der Gei&#x017F;tlichen bra-<lb/>
chen der&#x017F;elben die Bahn.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 39.</head><lb/>
          <p>Wenn aber ein gebaueter Ver&#x017F;tand und<note place="right">Warum<lb/>
in den er-<lb/>
&#x017F;ten Zeiten<lb/>
die Philo&#x017F;o-<lb/>
phen und<lb/>
Ho&#x0364;fe das<lb/>
Chri&#x017F;ten-<lb/>
thum nicht<lb/>
angenom-<lb/>
men.</note><lb/>
ein feiner Ge&#x017F;chmack und za&#x0364;rtliche Empfind-<lb/>
lichkeit der Seele dem Chri&#x017F;tenthume vor-<lb/>
theilhaft gewe&#x017F;en, woher i&#x017F;t es denn kom-<lb/>
men, daß &#x017F;o wenige Philo&#x017F;ophen jener<lb/>
Zeiten Chri&#x017F;ten worden und die ru&#x0364;hmlichen<lb/>
Kai&#x017F;er, der <hi rendition="#fr">Flavius Ve&#x017F;pa&#x017F;ianus,</hi> der<lb/><hi rendition="#fr">Titus,</hi> der <hi rendition="#fr">Trajanus,</hi> die beiden <hi rendition="#fr">Antonius</hi><lb/>
und deren Ho&#x0364;fe das Chri&#x017F;tenthum nicht<lb/>
nur nicht angenommen, &#x017F;ondern zum Theil<lb/>
gar verfolget? Was er&#x017F;tlich die Gelehrten<lb/>
betrift, &#x017F;o i&#x017F;t nichts &#x017F;chwerer in der Welt,<lb/>
als &#x017F;elbige durch andere von ihnen einmal<lb/>
angenommenen Meinungen abzufu&#x0364;hren und<lb/>
zu dem demu&#x0364;thigen Beka&#x0364;nntniß zu bringen,<lb/>
daß &#x017F;ie geirret. Fa&#x017F;t ein Jeder unter den-<lb/>
&#x017F;elben glaubet, &#x017F;eine Ein&#x017F;ichten machen die<lb/>
einzige wahre und ge&#x017F;unde Vernunft aus<lb/>
und Gott &#x017F;elber ko&#x0364;nne und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e nicht an-<lb/>
ders denken, als er. Denn es &#x017F;ey nur ei-<lb/>
ne Wahrheit und er habe &#x017F;elbige. Man<lb/>
muß &#x017F;ich u&#x0364;ber die&#x017F;en Gedanken zwar de&#x017F;to<lb/>
mehr wundern, da ein gro&#x017F;&#x017F;er Gelehrter<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Jac. Betr. 4. Band. G</fw><fw place="bottom" type="catch">dem</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0117] ſchaffet und daß alſo damals die bequem- ſte Zeit geweſen, ſelbiges anzurichten. Auf eine aͤhnliche Art iſt, wie bekannt, die Reformation befoͤrdert worden. Die wie- der aufgelebeten Wiſſenſchaften und die unertraͤglichen Laſter der Geiſtlichen bra- chen derſelben die Bahn. §. 39. Wenn aber ein gebaueter Verſtand und ein feiner Geſchmack und zaͤrtliche Empfind- lichkeit der Seele dem Chriſtenthume vor- theilhaft geweſen, woher iſt es denn kom- men, daß ſo wenige Philoſophen jener Zeiten Chriſten worden und die ruͤhmlichen Kaiſer, der Flavius Veſpaſianus, der Titus, der Trajanus, die beiden Antonius und deren Hoͤfe das Chriſtenthum nicht nur nicht angenommen, ſondern zum Theil gar verfolget? Was erſtlich die Gelehrten betrift, ſo iſt nichts ſchwerer in der Welt, als ſelbige durch andere von ihnen einmal angenommenen Meinungen abzufuͤhren und zu dem demuͤthigen Bekaͤnntniß zu bringen, daß ſie geirret. Faſt ein Jeder unter den- ſelben glaubet, ſeine Einſichten machen die einzige wahre und geſunde Vernunft aus und Gott ſelber koͤnne und muͤſſe nicht an- ders denken, als er. Denn es ſey nur ei- ne Wahrheit und er habe ſelbige. Man muß ſich uͤber dieſen Gedanken zwar deſto mehr wundern, da ein groſſer Gelehrter dem Warum in den er- ſten Zeiten die Philoſo- phen und Hoͤfe das Chriſten- thum nicht angenom- men. Jac. Betr. 4. Band. G

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/117
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/117>, abgerufen am 25.11.2024.