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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

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dem Menschen ist, sondern so, daß sie ihre
Unvollkommenheit abgesondert. Sie ha-
ben selbige, daß ich in der Sprache der
Weisen rede, nicht concretive sondern
abstractive genommen. Und weil sie sich
eine Vernunft ohne Jrrthum vorgestellet,
haben sie folgende Schlüsse gemacht: Was
mit der Vernunft
nemlich mit einer
richtigen und reinen Vernunft strei-
tet, kan in der Offenbarung nicht
stehen.
Und dieser Satz hat seine Rich-
tigkeit. Hiebey aber hat ein jeder still-
schweigend als ausgemacht angenommen:
Seine Einsicht, seine Vernunft sey
die eintzige wahre und richtige Ver-
nunft.
Und daraus hat ein jeder den
Schluß gezogen: was also mit seiner
Vernunft streite, könne in der Offen-
barung nicht stehen.
Ein jeder hat al-
so angenommen; der Geist GOttes müsse
nothwendig eben so gedacht haben, wie er.
Hat der Buchstabe der Schrift ein anders
ausweisen wollen, so hat derselbe so lange
müssen gezerret werden, bis er mit eines je-
den besondern Vernunft überein gestimmet.
Und daher ist es kommen, daß kein eintziges

Buch



dem Menſchen iſt, ſondern ſo, daß ſie ihre
Unvollkommenheit abgeſondert. Sie ha-
ben ſelbige, daß ich in der Sprache der
Weiſen rede, nicht concretive ſondern
abſtractive genommen. Und weil ſie ſich
eine Vernunft ohne Jrrthum vorgeſtellet,
haben ſie folgende Schluͤſſe gemacht: Was
mit der Vernunft
nemlich mit einer
richtigen und reinen Vernunft ſtrei-
tet, kan in der Offenbarung nicht
ſtehen.
Und dieſer Satz hat ſeine Rich-
tigkeit. Hiebey aber hat ein jeder ſtill-
ſchweigend als ausgemacht angenommen:
Seine Einſicht, ſeine Vernunft ſey
die eintzige wahre und richtige Ver-
nunft.
Und daraus hat ein jeder den
Schluß gezogen: was alſo mit ſeiner
Vernunft ſtreite, koͤnne in der Offen-
barung nicht ſtehen.
Ein jeder hat al-
ſo angenommen; der Geiſt GOttes muͤſſe
nothwendig eben ſo gedacht haben, wie er.
Hat der Buchſtabe der Schrift ein anders
ausweiſen wollen, ſo hat derſelbe ſo lange
muͤſſen gezerret werden, bis er mit eines je-
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Und daher iſt es kommen, daß kein eintziges

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[14/0032] dem Menſchen iſt, ſondern ſo, daß ſie ihre Unvollkommenheit abgeſondert. Sie ha- ben ſelbige, daß ich in der Sprache der Weiſen rede, nicht concretive ſondern abſtractive genommen. Und weil ſie ſich eine Vernunft ohne Jrrthum vorgeſtellet, haben ſie folgende Schluͤſſe gemacht: Was mit der Vernunft nemlich mit einer richtigen und reinen Vernunft ſtrei- tet, kan in der Offenbarung nicht ſtehen. Und dieſer Satz hat ſeine Rich- tigkeit. Hiebey aber hat ein jeder ſtill- ſchweigend als ausgemacht angenommen: Seine Einſicht, ſeine Vernunft ſey die eintzige wahre und richtige Ver- nunft. Und daraus hat ein jeder den Schluß gezogen: was alſo mit ſeiner Vernunft ſtreite, koͤnne in der Offen- barung nicht ſtehen. Ein jeder hat al- ſo angenommen; der Geiſt GOttes muͤſſe nothwendig eben ſo gedacht haben, wie er. Hat der Buchſtabe der Schrift ein anders ausweiſen wollen, ſo hat derſelbe ſo lange muͤſſen gezerret werden, bis er mit eines je- den beſondern Vernunft uͤberein geſtimmet. Und daher iſt es kommen, daß kein eintziges Buch

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/32>, abgerufen am 29.03.2024.