Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745.

Bild:
<< vorherige Seite



beständig mit obigen Zweifeln wider die
göttliche Allwissenheit. Die vielen ver-
geblich aufgestellten Bügel, an welchen in
einem gantzen Herbste kein einiger Vogel
gefangen wird, schienen mir ähnliche Exem-
pel zu seyn, von denen Geschöpfen, welche
ihr Ziel nicht zu erreichen scheinen. Jch
gedachte, wäre der Vogelsteller allwissend,
er würde die wenigsten Bügel aufstellen,
noch vielweniger würde er sie alle täglich
mit Beeren versehen, indem so viele ausge-
beeret oder ausgefressen werden, an welchen
sich kein Vogel fänget. Wir kamen zu
einem Bügel, wo der Raubvogel eine ge-
fangene Drossel ausgefressen. Auch hier
dachte ich: Hätte man solches vorher ge-
sehen, so würde man auch in diesen Bügel
keine Beere gehangen haben. Jndem ich
dieser Reihe der Gedancken folgte und
überlegte, wie ein solcher Schneisen-Gang
aussehen würde, wenn ihn ein Allwissender
aufgestellt, so fand ich zu meiner grossen Zu-
friedenheit, daß ich vorher falsch gedacht.
Eine genauere Ueberlegung sagte mir, daß
wenn auch gleich eine Allwissenheit einen
solchen Fang einrichtete, dennoch ein grosser
Theil der aufgestellten Bügel bleiben wür-

de,



beſtaͤndig mit obigen Zweifeln wider die
goͤttliche Allwiſſenheit. Die vielen ver-
geblich aufgeſtellten Buͤgel, an welchen in
einem gantzen Herbſte kein einiger Vogel
gefangen wird, ſchienen mir aͤhnliche Exem-
pel zu ſeyn, von denen Geſchoͤpfen, welche
ihr Ziel nicht zu erreichen ſcheinen. Jch
gedachte, waͤre der Vogelſteller allwiſſend,
er wuͤrde die wenigſten Buͤgel aufſtellen,
noch vielweniger wuͤrde er ſie alle taͤglich
mit Beeren verſehen, indem ſo viele ausge-
beeret oder ausgefreſſen werden, an welchen
ſich kein Vogel faͤnget. Wir kamen zu
einem Buͤgel, wo der Raubvogel eine ge-
fangene Droſſel ausgefreſſen. Auch hier
dachte ich: Haͤtte man ſolches vorher ge-
ſehen, ſo wuͤrde man auch in dieſen Buͤgel
keine Beere gehangen haben. Jndem ich
dieſer Reihe der Gedancken folgte und
uͤberlegte, wie ein ſolcher Schneiſen-Gang
ausſehen wuͤrde, wenn ihn ein Allwiſſender
aufgeſtellt, ſo fand ich zu meiner groſſen Zu-
friedenheit, daß ich vorher falſch gedacht.
Eine genauere Ueberlegung ſagte mir, daß
wenn auch gleich eine Allwiſſenheit einen
ſolchen Fang einrichtete, dennoch ein groſſer
Theil der aufgeſtellten Buͤgel bleiben wuͤr-

de,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0286" n="268"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;ndig mit obigen Zweifeln wider die<lb/>
go&#x0364;ttliche Allwi&#x017F;&#x017F;enheit. Die vielen ver-<lb/>
geblich aufge&#x017F;tellten Bu&#x0364;gel, an welchen in<lb/>
einem gantzen Herb&#x017F;te kein einiger Vogel<lb/>
gefangen wird, &#x017F;chienen mir a&#x0364;hnliche Exem-<lb/>
pel zu &#x017F;eyn, von denen Ge&#x017F;cho&#x0364;pfen, welche<lb/>
ihr Ziel nicht zu erreichen &#x017F;cheinen. Jch<lb/>
gedachte, wa&#x0364;re der Vogel&#x017F;teller allwi&#x017F;&#x017F;end,<lb/>
er wu&#x0364;rde die wenig&#x017F;ten Bu&#x0364;gel auf&#x017F;tellen,<lb/>
noch vielweniger wu&#x0364;rde er &#x017F;ie alle ta&#x0364;glich<lb/>
mit Beeren ver&#x017F;ehen, indem &#x017F;o viele ausge-<lb/>
beeret oder ausgefre&#x017F;&#x017F;en werden, an welchen<lb/>
&#x017F;ich kein Vogel fa&#x0364;nget. Wir kamen zu<lb/>
einem Bu&#x0364;gel, wo der Raubvogel eine ge-<lb/>
fangene Dro&#x017F;&#x017F;el ausgefre&#x017F;&#x017F;en. Auch hier<lb/>
dachte ich: Ha&#x0364;tte man &#x017F;olches vorher ge-<lb/>
&#x017F;ehen, &#x017F;o wu&#x0364;rde man auch in die&#x017F;en Bu&#x0364;gel<lb/>
keine Beere gehangen haben. Jndem ich<lb/>
die&#x017F;er Reihe der Gedancken folgte und<lb/>
u&#x0364;berlegte, wie ein &#x017F;olcher Schnei&#x017F;en-Gang<lb/>
aus&#x017F;ehen wu&#x0364;rde, wenn ihn ein Allwi&#x017F;&#x017F;ender<lb/>
aufge&#x017F;tellt, &#x017F;o fand ich zu meiner gro&#x017F;&#x017F;en Zu-<lb/>
friedenheit, daß ich vorher fal&#x017F;ch gedacht.<lb/>
Eine genauere Ueberlegung &#x017F;agte mir, daß<lb/>
wenn auch gleich eine Allwi&#x017F;&#x017F;enheit einen<lb/>
&#x017F;olchen Fang einrichtete, dennoch ein gro&#x017F;&#x017F;er<lb/>
Theil der aufge&#x017F;tellten Bu&#x0364;gel bleiben wu&#x0364;r-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">de,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0286] beſtaͤndig mit obigen Zweifeln wider die goͤttliche Allwiſſenheit. Die vielen ver- geblich aufgeſtellten Buͤgel, an welchen in einem gantzen Herbſte kein einiger Vogel gefangen wird, ſchienen mir aͤhnliche Exem- pel zu ſeyn, von denen Geſchoͤpfen, welche ihr Ziel nicht zu erreichen ſcheinen. Jch gedachte, waͤre der Vogelſteller allwiſſend, er wuͤrde die wenigſten Buͤgel aufſtellen, noch vielweniger wuͤrde er ſie alle taͤglich mit Beeren verſehen, indem ſo viele ausge- beeret oder ausgefreſſen werden, an welchen ſich kein Vogel faͤnget. Wir kamen zu einem Buͤgel, wo der Raubvogel eine ge- fangene Droſſel ausgefreſſen. Auch hier dachte ich: Haͤtte man ſolches vorher ge- ſehen, ſo wuͤrde man auch in dieſen Buͤgel keine Beere gehangen haben. Jndem ich dieſer Reihe der Gedancken folgte und uͤberlegte, wie ein ſolcher Schneiſen-Gang ausſehen wuͤrde, wenn ihn ein Allwiſſender aufgeſtellt, ſo fand ich zu meiner groſſen Zu- friedenheit, daß ich vorher falſch gedacht. Eine genauere Ueberlegung ſagte mir, daß wenn auch gleich eine Allwiſſenheit einen ſolchen Fang einrichtete, dennoch ein groſſer Theil der aufgeſtellten Buͤgel bleiben wuͤr- de,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/286
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 2. Göttingen, 1745, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen02_1745/286>, abgerufen am 21.05.2024.