Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite





dem herbesten Fluche verknüpffet? War-
um tadeln wir Blinde doch den weisesten
GOTT, daß er dem Menschen einen sol-
chen Stein des Anstosses vor die Füsse ge-
leget, da er doch wider seine Vorsorge
vor die Wohlfahrt des menschlichen Ge-
schlechts gehandelt, wenn er selbiges nicht
gethan hätte? Denn wäre der Mensch
nicht ohne solche Versuchung und Ubung
in grösserer Gefahr zu fallen gewesen, als
bey derselben?

§. 7.
Warum
GOtt die
ersten
Menschen
nicht
durch die
blosse All-
macht im
Guten be-
stätiget?

Vielleicht denckt jemand, warum hat
denn GOTT die ersten Menschen eben
durch eine solche schwehre Versuchung im
Guten befestigen wollen? Warum hat er
nicht beschlossen, sie ohne alle Ubungen zu
Herren über die sinnlichen Begierden zu
machen, und warum hat er ihnen nicht
eine unveränderliche Gewohnheit im Gu-
ten anerschaffen? Es würde diese Frage
schwehr zu beantworten seyn, wenn aus-
gemacht wäre, daß es möglich, einen freyen
Geist ohne Ubung im Guten fest zu setzen.
Da selbiges aber nicht kan erwiesen wer-
den, so hat man vielmehr Ursach zu zweif-

feln,





dem herbeſten Fluche verknuͤpffet? War-
um tadeln wir Blinde doch den weiſeſten
GOTT, daß er dem Menſchen einen ſol-
chen Stein des Anſtoſſes vor die Fuͤſſe ge-
leget, da er doch wider ſeine Vorſorge
vor die Wohlfahrt des menſchlichen Ge-
ſchlechts gehandelt, wenn er ſelbiges nicht
gethan haͤtte? Denn waͤre der Menſch
nicht ohne ſolche Verſuchung und Ubung
in groͤſſerer Gefahr zu fallen geweſen, als
bey derſelben?

§. 7.
Warum
GOtt die
erſten
Menſchen
nicht
durch die
bloſſe All-
macht im
Guten be-
ſtaͤtiget?

Vielleicht denckt jemand, warum hat
denn GOTT die erſten Menſchen eben
durch eine ſolche ſchwehre Verſuchung im
Guten befeſtigen wollen? Warum hat er
nicht beſchloſſen, ſie ohne alle Ubungen zu
Herren uͤber die ſinnlichen Begierden zu
machen, und warum hat er ihnen nicht
eine unveraͤnderliche Gewohnheit im Gu-
ten anerſchaffen? Es wuͤrde dieſe Frage
ſchwehr zu beantworten ſeyn, wenn aus-
gemacht waͤre, daß es moͤglich, einen freyen
Geiſt ohne Ubung im Guten feſt zu ſetzen.
Da ſelbiges aber nicht kan erwieſen wer-
den, ſo hat man vielmehr Urſach zu zweif-

feln,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0258" n="226[222]"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
dem herbe&#x017F;ten Fluche verknu&#x0364;pffet? War-<lb/>
um tadeln wir Blinde doch den wei&#x017F;e&#x017F;ten<lb/>
GOTT, daß er dem Men&#x017F;chen einen &#x017F;ol-<lb/>
chen Stein des An&#x017F;to&#x017F;&#x017F;es vor die Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e ge-<lb/>
leget, da er doch wider &#x017F;eine Vor&#x017F;orge<lb/>
vor die Wohlfahrt des men&#x017F;chlichen Ge-<lb/>
&#x017F;chlechts gehandelt, wenn er &#x017F;elbiges nicht<lb/>
gethan ha&#x0364;tte? Denn wa&#x0364;re der Men&#x017F;ch<lb/>
nicht ohne &#x017F;olche Ver&#x017F;uchung und Ubung<lb/>
in gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;erer Gefahr zu fallen gewe&#x017F;en, als<lb/>
bey der&#x017F;elben?</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>§. 7.</head><lb/>
            <note place="left">Warum<lb/>
GOtt die<lb/>
er&#x017F;ten<lb/>
Men&#x017F;chen<lb/>
nicht<lb/>
durch die<lb/>
blo&#x017F;&#x017F;e All-<lb/>
macht im<lb/>
Guten be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;tiget?</note>
            <p>Vielleicht denckt jemand, warum hat<lb/>
denn GOTT die er&#x017F;ten Men&#x017F;chen eben<lb/>
durch eine &#x017F;olche &#x017F;chwehre Ver&#x017F;uchung im<lb/>
Guten befe&#x017F;tigen wollen? Warum hat er<lb/>
nicht be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ie ohne alle Ubungen zu<lb/>
Herren u&#x0364;ber die &#x017F;innlichen Begierden zu<lb/>
machen, und warum hat er ihnen nicht<lb/>
eine unvera&#x0364;nderliche Gewohnheit im Gu-<lb/>
ten aner&#x017F;chaffen? Es wu&#x0364;rde die&#x017F;e Frage<lb/>
&#x017F;chwehr zu beantworten &#x017F;eyn, wenn aus-<lb/>
gemacht wa&#x0364;re, daß es mo&#x0364;glich, einen freyen<lb/>
Gei&#x017F;t ohne Ubung im Guten fe&#x017F;t zu &#x017F;etzen.<lb/>
Da &#x017F;elbiges aber nicht kan erwie&#x017F;en wer-<lb/>
den, &#x017F;o hat man vielmehr Ur&#x017F;ach zu zweif-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">feln,</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[226[222]/0258] dem herbeſten Fluche verknuͤpffet? War- um tadeln wir Blinde doch den weiſeſten GOTT, daß er dem Menſchen einen ſol- chen Stein des Anſtoſſes vor die Fuͤſſe ge- leget, da er doch wider ſeine Vorſorge vor die Wohlfahrt des menſchlichen Ge- ſchlechts gehandelt, wenn er ſelbiges nicht gethan haͤtte? Denn waͤre der Menſch nicht ohne ſolche Verſuchung und Ubung in groͤſſerer Gefahr zu fallen geweſen, als bey derſelben? §. 7. Vielleicht denckt jemand, warum hat denn GOTT die erſten Menſchen eben durch eine ſolche ſchwehre Verſuchung im Guten befeſtigen wollen? Warum hat er nicht beſchloſſen, ſie ohne alle Ubungen zu Herren uͤber die ſinnlichen Begierden zu machen, und warum hat er ihnen nicht eine unveraͤnderliche Gewohnheit im Gu- ten anerſchaffen? Es wuͤrde dieſe Frage ſchwehr zu beantworten ſeyn, wenn aus- gemacht waͤre, daß es moͤglich, einen freyen Geiſt ohne Ubung im Guten feſt zu ſetzen. Da ſelbiges aber nicht kan erwieſen wer- den, ſo hat man vielmehr Urſach zu zweif- feln,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/258
Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbahrung antreffen. Bd. 1. Göttingen, 1741, S. 226[222]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen01_1741/258>, abgerufen am 22.11.2024.