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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

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Es ließe sich auf alle Weise darthun, und
durch eine Menge Beyspiele erläutern, daß in
dem Begriffe der entschiedensten Tugenden doch
immer etwas schwankendes bleibt, so daß zu-
weilen der Mensch sich am vortreflichsten zei-
gen kann, indem er ihnen schnurstracks entge-
gen handelt. Ich kann mir Fälle gedenken,
wo es das erhabenste Verdienst wäre . . . . .
. . . . . . aber das leitete mich in ein zu
weites Feld. Nur noch ein Beyspiel für was
ich vorhin sagte.

Die erhabenste aller Tugenden, welche zu-
gleich die allgemeinste Anwendung verträgt, die
übrigen alle schützt, vermehrt, gebiert -- ist
wohl durchgängige Wahrhaftigkeit.
Was für ein göttlicher Mensch müßte der nicht
werden, welcher sich entschlösse, immer wahr zu
seyn? Schon das würde nothwendig zur Recht-
schaffenheit leiten, wenn man den Vorsatz aus-
führte, nur keine Unwahrheit je zu sagen; so
groß ist unsre Achtung für unsre Mitmenschen,
so brennend der Spiegel, der unsre Gestalt aus

Es ließe ſich auf alle Weiſe darthun, und
durch eine Menge Beyſpiele erlaͤutern, daß in
dem Begriffe der entſchiedenſten Tugenden doch
immer etwas ſchwankendes bleibt, ſo daß zu-
weilen der Menſch ſich am vortreflichſten zei-
gen kann, indem er ihnen ſchnurſtracks entge-
gen handelt. Ich kann mir Faͤlle gedenken,
wo es das erhabenſte Verdienſt waͤre . . . . .
. . . . . . aber das leitete mich in ein zu
weites Feld. Nur noch ein Beyſpiel fuͤr was
ich vorhin ſagte.

Die erhabenſte aller Tugenden, welche zu-
gleich die allgemeinſte Anwendung vertraͤgt, die
uͤbrigen alle ſchuͤtzt, vermehrt, gebiert — iſt
wohl durchgaͤngige Wahrhaftigkeit.
Was fuͤr ein goͤttlicher Menſch muͤßte der nicht
werden, welcher ſich entſchloͤſſe, immer wahr zu
ſeyn? Schon das wuͤrde nothwendig zur Recht-
ſchaffenheit leiten, wenn man den Vorſatz aus-
fuͤhrte, nur keine Unwahrheit je zu ſagen; ſo
groß iſt unſre Achtung fuͤr unſre Mitmenſchen,
ſo brennend der Spiegel, der unſre Geſtalt aus

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[239/0277] Es ließe ſich auf alle Weiſe darthun, und durch eine Menge Beyſpiele erlaͤutern, daß in dem Begriffe der entſchiedenſten Tugenden doch immer etwas ſchwankendes bleibt, ſo daß zu- weilen der Menſch ſich am vortreflichſten zei- gen kann, indem er ihnen ſchnurſtracks entge- gen handelt. Ich kann mir Faͤlle gedenken, wo es das erhabenſte Verdienſt waͤre . . . . . . . . . . . aber das leitete mich in ein zu weites Feld. Nur noch ein Beyſpiel fuͤr was ich vorhin ſagte. Die erhabenſte aller Tugenden, welche zu- gleich die allgemeinſte Anwendung vertraͤgt, die uͤbrigen alle ſchuͤtzt, vermehrt, gebiert — iſt wohl durchgaͤngige Wahrhaftigkeit. Was fuͤr ein goͤttlicher Menſch muͤßte der nicht werden, welcher ſich entſchloͤſſe, immer wahr zu ſeyn? Schon das wuͤrde nothwendig zur Recht- ſchaffenheit leiten, wenn man den Vorſatz aus- fuͤhrte, nur keine Unwahrheit je zu ſagen; ſo groß iſt unſre Achtung fuͤr unſre Mitmenſchen, ſo brennend der Spiegel, der unſre Geſtalt aus

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Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/277>, abgerufen am 25.11.2024.