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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

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de noch mehr gemeiner Vorschriften dreht. All-
zu oft muß er sein gegenwärtiges Gefühl unter-
drücken, ihm nicht glauben, nicht trauen wol-
len; folglich blos nach dem Buchstaben han-
deln. Umgeht, verdreht er das Gesetz,
so wird der Kerl ein Heuchler, ein Schurke;
unterwirft er sich ihm redlich -- so kommt er
allmählich um Sinn und Gefühl -- wird, je
höher er die Fertigkeit seiner Tugend treibt,
desto kälter, geschmackloser; gehorcht immer
nur (blindlings oder sehend -- wie es kommt)
seinem ehmaligen Willen, hat aber jetzt kei-
nen eigenen Willen mehr; kann sich hinfort
nie weiter über sich selbst empor schwingen.

Wir wissen, daß, der allgemeinen Sicher-
heit wegen, jeder Richter nach dem dürren
Buchstaben der Gesetze urtheilen, und für jede
andre Betrachtung blind seyn muß; daher denn
oft die abscheulichsten Unthaten gerichtlich bestä-
tiget werden, weil der Bösewicht nicht gegen
den Buchstaben des Gesetzes gehandelt, und er
die Form der Procedur zu seinem Schutze

de noch mehr gemeiner Vorſchriften dreht. All-
zu oft muß er ſein gegenwaͤrtiges Gefuͤhl unter-
druͤcken, ihm nicht glauben, nicht trauen wol-
len; folglich blos nach dem Buchſtaben han-
deln. Umgeht, verdreht er das Geſetz,
ſo wird der Kerl ein Heuchler, ein Schurke;
unterwirft er ſich ihm redlich — ſo kommt er
allmaͤhlich um Sinn und Gefuͤhl — wird, je
hoͤher er die Fertigkeit ſeiner Tugend treibt,
deſto kaͤlter, geſchmackloſer; gehorcht immer
nur (blindlings oder ſehend — wie es kommt)
ſeinem ehmaligen Willen, hat aber jetzt kei-
nen eigenen Willen mehr; kann ſich hinfort
nie weiter uͤber ſich ſelbſt empor ſchwingen.

Wir wiſſen, daß, der allgemeinen Sicher-
heit wegen, jeder Richter nach dem duͤrren
Buchſtaben der Geſetze urtheilen, und fuͤr jede
andre Betrachtung blind ſeyn muß; daher denn
oft die abſcheulichſten Unthaten gerichtlich beſtaͤ-
tiget werden, weil der Boͤſewicht nicht gegen
den Buchſtaben des Geſetzes gehandelt, und er
die Form der Procedur zu ſeinem Schutze

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[235/0273] de noch mehr gemeiner Vorſchriften dreht. All- zu oft muß er ſein gegenwaͤrtiges Gefuͤhl unter- druͤcken, ihm nicht glauben, nicht trauen wol- len; folglich blos nach dem Buchſtaben han- deln. Umgeht, verdreht er das Geſetz, ſo wird der Kerl ein Heuchler, ein Schurke; unterwirft er ſich ihm redlich — ſo kommt er allmaͤhlich um Sinn und Gefuͤhl — wird, je hoͤher er die Fertigkeit ſeiner Tugend treibt, deſto kaͤlter, geſchmackloſer; gehorcht immer nur (blindlings oder ſehend — wie es kommt) ſeinem ehmaligen Willen, hat aber jetzt kei- nen eigenen Willen mehr; kann ſich hinfort nie weiter uͤber ſich ſelbſt empor ſchwingen. Wir wiſſen, daß, der allgemeinen Sicher- heit wegen, jeder Richter nach dem duͤrren Buchſtaben der Geſetze urtheilen, und fuͤr jede andre Betrachtung blind ſeyn muß; daher denn oft die abſcheulichſten Unthaten gerichtlich beſtaͤ- tiget werden, weil der Boͤſewicht nicht gegen den Buchſtaben des Geſetzes gehandelt, und er die Form der Procedur zu ſeinem Schutze

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Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/273>, abgerufen am 25.11.2024.