über dem Landschäftchen wars, das man jen- seits der Donau aus meinem Fenster erblickt. Es gab die sonderbarsten Hellungen und Licht- wechsel. Schön, sehr schön war es, und feyerlich und rührend.
Ich stand allein da, liebe Amalia -- Sylli stand da allein! Ich kann erschrecken, wie vor einer Geistererscheinung, wenn ich mich unversehens so allein finde: so ganz allein!
Heute Morgen, wie ich so in meinem Zimmer auf und niedergieng, und ich hin- blickte, öfter hinblickte auf die Antigone, die Clerdon zu meinem Geburtstage für mich übersetzte, und seine andere Uebersetzung, mir zu Liebe, von Xenophons Gastmahl -- diese zwey Hefte, die mir da immer müssen liegen bleiben an der angewiesenen Stelle auf dem Sessel neben meinem Schreibtische, und sie einnehmen, als wäre es etwas Liebes, das Leib und Seele hätte, und das ich so gern
uͤber dem Landſchaͤftchen wars, das man jen- ſeits der Donau aus meinem Fenſter erblickt. Es gab die ſonderbarſten Hellungen und Licht- wechſel. Schoͤn, ſehr ſchoͤn war es, und feyerlich und ruͤhrend.
Ich ſtand allein da, liebe Amalia — Sylli ſtand da allein! Ich kann erſchrecken, wie vor einer Geiſtererſcheinung, wenn ich mich unverſehens ſo allein finde: ſo ganz allein!
Heute Morgen, wie ich ſo in meinem Zimmer auf und niedergieng, und ich hin- blickte, oͤfter hinblickte auf die Antigone, die Clerdon zu meinem Geburtstage fuͤr mich uͤberſetzte, und ſeine andere Ueberſetzung, mir zu Liebe, von Xenophons Gaſtmahl — dieſe zwey Hefte, die mir da immer muͤſſen liegen bleiben an der angewieſenen Stelle auf dem Seſſel neben meinem Schreibtiſche, und ſie einnehmen, als waͤre es etwas Liebes, das Leib und Seele haͤtte, und das ich ſo gern
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uͤber dem Landſchaͤftchen wars, das man jen-
ſeits der Donau aus meinem Fenſter erblickt.
Es gab die ſonderbarſten Hellungen und Licht-
wechſel. Schoͤn, ſehr ſchoͤn war es, und
feyerlich und ruͤhrend.
Ich ſtand allein da, liebe Amalia —
Sylli ſtand da allein! Ich kann erſchrecken,
wie vor einer Geiſtererſcheinung, wenn ich
mich unverſehens ſo allein finde: ſo ganz
allein!
Heute Morgen, wie ich ſo in meinem
Zimmer auf und niedergieng, und ich hin-
blickte, oͤfter hinblickte auf die Antigone,
die Clerdon zu meinem Geburtstage fuͤr mich
uͤberſetzte, und ſeine andere Ueberſetzung, mir
zu Liebe, von Xenophons Gaſtmahl — dieſe
zwey Hefte, die mir da immer muͤſſen liegen
bleiben an der angewieſenen Stelle auf dem
Seſſel neben meinem Schreibtiſche, und ſie
einnehmen, als waͤre es etwas Liebes, das
Leib und Seele haͤtte, und das ich ſo gern
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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/234>, abgerufen am 24.11.2024.
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