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Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792.

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Geschäftigkeit und dürftige Nachhülfe dersel-
ben so weit erhaben, als die Sprüche der
Pythia zu Delphi über das Wähnen von Zei-
chendeutern
aus Eingeweiden und Vo-
gelflug.

"Wenn der Gott in deiner Seele dir
nicht wahr sagte, so würdest du vergeb-
lich auf Wahrheiten Dich besinnen, über
Wahrheit etwas ausmachen wollen. Es
käme weder Besinnung noch Besonnenheit in
dir zum Vorschein.

"Was der Mensch für sich allein ersinnen
kann, ist leere Muthmaßung und Meinung,
wodurch er schädlicher, als durch den Trieb
der Lust, mißleitet wird; alle seine Verrich-
tungen aus sich allein sind ohne Kraft und
Würde. Siehe jenen Thoren, der ohne die
unmittelbare Begeisterung der Musen sich dem
Tempel der Dichtkunst naht, in der Meinung,
es sey an der bloßen Kunst genug. Er wird
als ein Todter unter Lebendige kommen, und

Geſchaͤftigkeit und duͤrftige Nachhuͤlfe derſel-
ben ſo weit erhaben, als die Spruͤche der
Pythia zu Delphi uͤber das Waͤhnen von Zei-
chendeutern
aus Eingeweiden und Vo-
gelflug.

„Wenn der Gott in deiner Seele dir
nicht wahr ſagte, ſo wuͤrdeſt du vergeb-
lich auf Wahrheiten Dich beſinnen, uͤber
Wahrheit etwas ausmachen wollen. Es
kaͤme weder Beſinnung noch Beſonnenheit in
dir zum Vorſchein.

„Was der Menſch fuͤr ſich allein erſinnen
kann, iſt leere Muthmaßung und Meinung,
wodurch er ſchaͤdlicher, als durch den Trieb
der Luſt, mißleitet wird; alle ſeine Verrich-
tungen aus ſich allein ſind ohne Kraft und
Wuͤrde. Siehe jenen Thoren, der ohne die
unmittelbare Begeiſterung der Muſen ſich dem
Tempel der Dichtkunſt naht, in der Meinung,
es ſey an der bloßen Kunſt genug. Er wird
als ein Todter unter Lebendige kommen, und

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[178/0216] Geſchaͤftigkeit und duͤrftige Nachhuͤlfe derſel- ben ſo weit erhaben, als die Spruͤche der Pythia zu Delphi uͤber das Waͤhnen von Zei- chendeutern aus Eingeweiden und Vo- gelflug. „Wenn der Gott in deiner Seele dir nicht wahr ſagte, ſo wuͤrdeſt du vergeb- lich auf Wahrheiten Dich beſinnen, uͤber Wahrheit etwas ausmachen wollen. Es kaͤme weder Beſinnung noch Beſonnenheit in dir zum Vorſchein. „Was der Menſch fuͤr ſich allein erſinnen kann, iſt leere Muthmaßung und Meinung, wodurch er ſchaͤdlicher, als durch den Trieb der Luſt, mißleitet wird; alle ſeine Verrich- tungen aus ſich allein ſind ohne Kraft und Wuͤrde. Siehe jenen Thoren, der ohne die unmittelbare Begeiſterung der Muſen ſich dem Tempel der Dichtkunſt naht, in der Meinung, es ſey an der bloßen Kunſt genug. Er wird als ein Todter unter Lebendige kommen, und

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Zitationshilfe: Jacobi, Friedrich Heinrich: Eduard Allwills Briefsammlung. Mit einer Zugabe von eigenen Briefen. Königsberg, 1792, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_allwill_1792/216>, abgerufen am 19.05.2024.