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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

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seiner wärmsten Blutstropfen geworden. Er rieb
sich vor Vergnügen die Hände; jauchzend rief er:
Bin ich nicht frei, bin ich nicht zu meinem aller-
größten Glücke ganz frei? -- Und dann setzte er
sich auf den Stuhl am Fenster, auf dem sie zu
sitzen pflegte, nahm die Feder, mit der sie eben
den traurigen Brief an den Geistlichen geschrieben
hatte und focht damit in der Luft hin und her,
fröhlich wie ein Junker, der seinen ersten Degen
erhalten hat. Er schrieb nicht mit der Feder auf
dem Papiere, nein in den Lüften zog er einen
schonen Schnörkel aus L. und O. geschlungen und
freute sich über die gefällige Form dieser Buch-
staben und um dieselben zog er ein lateinisches W.
Ihm dünkte das ein trefflicher Namenszug zu seyn.
Muthig rief er: Und wäre sie von Räubern und
Mördern entsprossen und wäre sie unter dem Hoch-
gerichte geboren, sie bliebe doch die Lisbeth und
doch würde sie mein! --

Wer von der Geliebten Abschied nehmen will,
gehe nicht in ihr Zimmer, sondern schreibe an sie,
obgleich auch dann wohl manches Billet zerrissen
werden und statt des Billets der Liebende sich auf
den Weg machen möchte.



ſeiner wärmſten Blutstropfen geworden. Er rieb
ſich vor Vergnügen die Hände; jauchzend rief er:
Bin ich nicht frei, bin ich nicht zu meinem aller-
größten Glücke ganz frei? — Und dann ſetzte er
ſich auf den Stuhl am Fenſter, auf dem ſie zu
ſitzen pflegte, nahm die Feder, mit der ſie eben
den traurigen Brief an den Geiſtlichen geſchrieben
hatte und focht damit in der Luft hin und her,
fröhlich wie ein Junker, der ſeinen erſten Degen
erhalten hat. Er ſchrieb nicht mit der Feder auf
dem Papiere, nein in den Lüften zog er einen
ſchonen Schnörkel aus L. und O. geſchlungen und
freute ſich über die gefällige Form dieſer Buch-
ſtaben und um dieſelben zog er ein lateiniſches W.
Ihm dünkte das ein trefflicher Namenszug zu ſeyn.
Muthig rief er: Und wäre ſie von Räubern und
Mördern entſproſſen und wäre ſie unter dem Hoch-
gerichte geboren, ſie bliebe doch die Lisbeth und
doch würde ſie mein! —

Wer von der Geliebten Abſchied nehmen will,
gehe nicht in ihr Zimmer, ſondern ſchreibe an ſie,
obgleich auch dann wohl manches Billet zerriſſen
werden und ſtatt des Billets der Liebende ſich auf
den Weg machen möchte.



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[86/0098] ſeiner wärmſten Blutstropfen geworden. Er rieb ſich vor Vergnügen die Hände; jauchzend rief er: Bin ich nicht frei, bin ich nicht zu meinem aller- größten Glücke ganz frei? — Und dann ſetzte er ſich auf den Stuhl am Fenſter, auf dem ſie zu ſitzen pflegte, nahm die Feder, mit der ſie eben den traurigen Brief an den Geiſtlichen geſchrieben hatte und focht damit in der Luft hin und her, fröhlich wie ein Junker, der ſeinen erſten Degen erhalten hat. Er ſchrieb nicht mit der Feder auf dem Papiere, nein in den Lüften zog er einen ſchonen Schnörkel aus L. und O. geſchlungen und freute ſich über die gefällige Form dieſer Buch- ſtaben und um dieſelben zog er ein lateiniſches W. Ihm dünkte das ein trefflicher Namenszug zu ſeyn. Muthig rief er: Und wäre ſie von Räubern und Mördern entſproſſen und wäre ſie unter dem Hoch- gerichte geboren, ſie bliebe doch die Lisbeth und doch würde ſie mein! — Wer von der Geliebten Abſchied nehmen will, gehe nicht in ihr Zimmer, ſondern ſchreibe an ſie, obgleich auch dann wohl manches Billet zerriſſen werden und ſtatt des Billets der Liebende ſich auf den Weg machen möchte.

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/98>, abgerufen am 24.11.2024.