das ist sein Gang, das ist sein Antlitz, und nur er ist es nicht, nur er nicht!
Sie strich über ihre Schläfe, die ein kal- ter Schweiß bedeckte. -- Dann sah sie sich im Zimmer um, wo noch Manches vom vorigen Abend die Verwirrung ihrer Sinne bezeugte. Auch in dieser gramvollen Noth schämte sie sich, daß er etwas unordentlich bei ihr finden könnte. Sorg- fältig verbarg sie ihre Nachtkleider unter der Decke des Bettes und sah nach, ob auch dieses recht in Ordnung und überall von der Decke überhüllt wäre, denn gemacht hatte sie es freilich gleich, nachdem sie aufgestanden war. Sie rückte den Tisch am Fenster gerade und stellte die Stühle an ihre Plätze, auch den Zunder von dem verbrannten Gedichte kehrte sie sauber bei Seite, und die Stücke des zerschnittenen Tuches, welche auch noch am Boden lagen, erhob sie und legte sie auf den Tisch. Sie that das Alles so emsig, wie wenn das glück- lichste Mädchen den Bräutigam erwartet, und doch stockte ihr der Tod im Herzen.
Ach, er kam immer näher! -- Was -- was sollte sie thun? Wie gern wäre sie in seine Arme gestürzt und hätte sich in diesen süß-giftigen Schlin-
das iſt ſein Gang, das iſt ſein Antlitz, und nur er iſt es nicht, nur er nicht!
Sie ſtrich über ihre Schläfe, die ein kal- ter Schweiß bedeckte. — Dann ſah ſie ſich im Zimmer um, wo noch Manches vom vorigen Abend die Verwirrung ihrer Sinne bezeugte. Auch in dieſer gramvollen Noth ſchämte ſie ſich, daß er etwas unordentlich bei ihr finden könnte. Sorg- fältig verbarg ſie ihre Nachtkleider unter der Decke des Bettes und ſah nach, ob auch dieſes recht in Ordnung und überall von der Decke überhüllt wäre, denn gemacht hatte ſie es freilich gleich, nachdem ſie aufgeſtanden war. Sie rückte den Tiſch am Fenſter gerade und ſtellte die Stühle an ihre Plätze, auch den Zunder von dem verbrannten Gedichte kehrte ſie ſauber bei Seite, und die Stücke des zerſchnittenen Tuches, welche auch noch am Boden lagen, erhob ſie und legte ſie auf den Tiſch. Sie that das Alles ſo emſig, wie wenn das glück- lichſte Mädchen den Bräutigam erwartet, und doch ſtockte ihr der Tod im Herzen.
Ach, er kam immer näher! — Was — was ſollte ſie thun? Wie gern wäre ſie in ſeine Arme geſtürzt und hätte ſich in dieſen ſüß-giftigen Schlin-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0092"n="80"/>
das iſt ſein Gang, das iſt ſein Antlitz, und nur<lb/>
er iſt es nicht, nur er nicht!</p><lb/><p>Sie ſtrich über ihre Schläfe, die ein kal-<lb/>
ter Schweiß bedeckte. — Dann ſah ſie ſich im<lb/>
Zimmer um, wo noch Manches vom vorigen Abend<lb/>
die Verwirrung ihrer Sinne bezeugte. Auch in<lb/>
dieſer gramvollen Noth ſchämte ſie ſich, daß er<lb/>
etwas unordentlich bei ihr finden könnte. Sorg-<lb/>
fältig verbarg ſie ihre Nachtkleider unter der Decke<lb/>
des Bettes und ſah nach, ob auch dieſes recht<lb/>
in Ordnung und überall von der Decke überhüllt<lb/>
wäre, denn gemacht hatte ſie es freilich gleich,<lb/>
nachdem ſie aufgeſtanden war. Sie rückte den<lb/>
Tiſch am Fenſter gerade und ſtellte die Stühle an<lb/>
ihre Plätze, auch den Zunder von dem verbrannten<lb/>
Gedichte kehrte ſie ſauber bei Seite, und die Stücke<lb/>
des zerſchnittenen Tuches, welche auch noch am<lb/>
Boden lagen, erhob ſie und legte ſie auf den Tiſch.<lb/>
Sie that das Alles ſo emſig, wie wenn das glück-<lb/>
lichſte Mädchen den Bräutigam erwartet, und doch<lb/>ſtockte ihr der Tod im Herzen.</p><lb/><p>Ach, er kam immer näher! — Was — was<lb/>ſollte ſie thun? Wie gern wäre ſie in ſeine Arme<lb/>
geſtürzt und hätte ſich in dieſen ſüß-giftigen Schlin-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[80/0092]
das iſt ſein Gang, das iſt ſein Antlitz, und nur
er iſt es nicht, nur er nicht!
Sie ſtrich über ihre Schläfe, die ein kal-
ter Schweiß bedeckte. — Dann ſah ſie ſich im
Zimmer um, wo noch Manches vom vorigen Abend
die Verwirrung ihrer Sinne bezeugte. Auch in
dieſer gramvollen Noth ſchämte ſie ſich, daß er
etwas unordentlich bei ihr finden könnte. Sorg-
fältig verbarg ſie ihre Nachtkleider unter der Decke
des Bettes und ſah nach, ob auch dieſes recht
in Ordnung und überall von der Decke überhüllt
wäre, denn gemacht hatte ſie es freilich gleich,
nachdem ſie aufgeſtanden war. Sie rückte den
Tiſch am Fenſter gerade und ſtellte die Stühle an
ihre Plätze, auch den Zunder von dem verbrannten
Gedichte kehrte ſie ſauber bei Seite, und die Stücke
des zerſchnittenen Tuches, welche auch noch am
Boden lagen, erhob ſie und legte ſie auf den Tiſch.
Sie that das Alles ſo emſig, wie wenn das glück-
lichſte Mädchen den Bräutigam erwartet, und doch
ſtockte ihr der Tod im Herzen.
Ach, er kam immer näher! — Was — was
ſollte ſie thun? Wie gern wäre ſie in ſeine Arme
geſtürzt und hätte ſich in dieſen ſüß-giftigen Schlin-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/92>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.