Ihnen ja nicht viel und Ihrer lieben Frau kann ich doch immer etwas helfen. Sie sind immer sehr gut und freundlich gegen mich gewesen und werden mich gewiß nicht verlassen. Nach dem Schlosse gehe ich auf keinen Fall zurück, mich schaudert davor. Das war wohl bisher gut so weit, aber nun geht es nicht mehr; nein, nein. Ich bin also wie eine Staude, die vom Boden abgeschnitten ist und weiß noch kein Erdreich, worin ich wieder wachsen kann.
Daß Sie sich aber über mich nicht irren, so muß ich Ihnen sagen, daß ich gar kein Verlangen nach der Kirche habe, oder nach der Religion, wenigstens nicht mehr als sonst. Ich habe mir schon Vorwürfe darüber machen wollen, denn man sagt ja immer, daß der Mensch im Unglück haupt- sächlich viel beten müsse, aber das muß denn wohl ein anderes Unglück seyn, als meines. Ich fühle mich als ein so ordentliches, unschuldiges Mädchen, daß ich nicht begreife, warum ich Gott gerade jetzt besonders bitten sollte, mir beizustehen. Son- dern es ist über mich verhängt worden, und nun trage ich es, und er läßt mich gehen in meiner Weise. Auch kann der Gott, von dem gepredigt
Ihnen ja nicht viel und Ihrer lieben Frau kann ich doch immer etwas helfen. Sie ſind immer ſehr gut und freundlich gegen mich geweſen und werden mich gewiß nicht verlaſſen. Nach dem Schloſſe gehe ich auf keinen Fall zurück, mich ſchaudert davor. Das war wohl bisher gut ſo weit, aber nun geht es nicht mehr; nein, nein. Ich bin alſo wie eine Staude, die vom Boden abgeſchnitten iſt und weiß noch kein Erdreich, worin ich wieder wachſen kann.
Daß Sie ſich aber über mich nicht irren, ſo muß ich Ihnen ſagen, daß ich gar kein Verlangen nach der Kirche habe, oder nach der Religion, wenigſtens nicht mehr als ſonſt. Ich habe mir ſchon Vorwürfe darüber machen wollen, denn man ſagt ja immer, daß der Menſch im Unglück haupt- ſächlich viel beten müſſe, aber das muß denn wohl ein anderes Unglück ſeyn, als meines. Ich fühle mich als ein ſo ordentliches, unſchuldiges Mädchen, daß ich nicht begreife, warum ich Gott gerade jetzt beſonders bitten ſollte, mir beizuſtehen. Son- dern es iſt über mich verhängt worden, und nun trage ich es, und er läßt mich gehen in meiner Weiſe. Auch kann der Gott, von dem gepredigt
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Ihnen ja nicht viel und Ihrer lieben Frau kann
ich doch immer etwas helfen. Sie ſind immer
ſehr gut und freundlich gegen mich geweſen und
werden mich gewiß nicht verlaſſen. Nach dem
Schloſſe gehe ich auf keinen Fall zurück, mich
ſchaudert davor. Das war wohl bisher gut ſo
weit, aber nun geht es nicht mehr; nein, nein.
Ich bin alſo wie eine Staude, die vom Boden
abgeſchnitten iſt und weiß noch kein Erdreich, worin
ich wieder wachſen kann.
Daß Sie ſich aber über mich nicht irren, ſo
muß ich Ihnen ſagen, daß ich gar kein Verlangen
nach der Kirche habe, oder nach der Religion,
wenigſtens nicht mehr als ſonſt. Ich habe mir
ſchon Vorwürfe darüber machen wollen, denn man
ſagt ja immer, daß der Menſch im Unglück haupt-
ſächlich viel beten müſſe, aber das muß denn wohl
ein anderes Unglück ſeyn, als meines. Ich fühle
mich als ein ſo ordentliches, unſchuldiges Mädchen,
daß ich nicht begreife, warum ich Gott gerade
jetzt beſonders bitten ſollte, mir beizuſtehen. Son-
dern es iſt über mich verhängt worden, und nun
trage ich es, und er läßt mich gehen in meiner
Weiſe. Auch kann der Gott, von dem gepredigt
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/88>, abgerufen am 24.11.2024.
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