Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Nach Tische (sie speiste nur mit der Hausfrau,
denn die Männer hatten absagen lassen, und das
Mahl war deßhalb etwas einsylbig, wie alle Diners
zweier Damen und von sehr kurzer Dauer) ließ
die junge Baronesse ihre Uhr repetiren und sagte:
Halb drei. Das wird ein langer Nachmittag wer-
den. -- Sie las etwas, aber das Buch zog sie
nicht an, dann sang sie etwas zur Guitarre, aber
sie hörte bald auf, denn sie behauptete, heiser zu
seyn. -- Fancy, meine Crespine! rief sie. Fancy
brachte die schwarzseidene Crespine. Clelia ging
etwas in den Garten, aber die Mücken schwärmten
ihr dort zu wild, und deßhalb kehrte sie bald wieder
in ihr Zimmer zurück.

Wenn mein Vetter erfährt, welcher Langenweile
ich mich um sein wahres Heil ausgesetzt habe, so
müßte er der undankbarste Mensch seyn, sagte er mir
nicht Zeitlebens Dank, sprach sie zu Fancy, die ihr
die Crespine abgenommen hatte und in den verknitter-
ten Spitzen um den vollen Nacken Ordnung stiftete.

Er müßte der undankbarste Mensch seyn, er-
wiederte Fancy.

Sie nahm Stramin zur Hand und fing etwas
an zu sticken. Inzwischen war der Oberamtmann

Nach Tiſche (ſie ſpeiſte nur mit der Hausfrau,
denn die Männer hatten abſagen laſſen, und das
Mahl war deßhalb etwas einſylbig, wie alle Diners
zweier Damen und von ſehr kurzer Dauer) ließ
die junge Baroneſſe ihre Uhr repetiren und ſagte:
Halb drei. Das wird ein langer Nachmittag wer-
den. — Sie las etwas, aber das Buch zog ſie
nicht an, dann ſang ſie etwas zur Guitarre, aber
ſie hörte bald auf, denn ſie behauptete, heiſer zu
ſeyn. — Fancy, meine Creſpine! rief ſie. Fancy
brachte die ſchwarzſeidene Creſpine. Clelia ging
etwas in den Garten, aber die Mücken ſchwärmten
ihr dort zu wild, und deßhalb kehrte ſie bald wieder
in ihr Zimmer zurück.

Wenn mein Vetter erfährt, welcher Langenweile
ich mich um ſein wahres Heil ausgeſetzt habe, ſo
müßte er der undankbarſte Menſch ſeyn, ſagte er mir
nicht Zeitlebens Dank, ſprach ſie zu Fancy, die ihr
die Creſpine abgenommen hatte und in den verknitter-
ten Spitzen um den vollen Nacken Ordnung ſtiftete.

Er müßte der undankbarſte Menſch ſeyn, er-
wiederte Fancy.

Sie nahm Stramin zur Hand und fing etwas
an zu ſticken. Inzwiſchen war der Oberamtmann

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0232" n="220"/>
          <p>Nach Ti&#x017F;che (&#x017F;ie &#x017F;pei&#x017F;te nur mit der Hausfrau,<lb/>
denn die Männer hatten ab&#x017F;agen la&#x017F;&#x017F;en, und das<lb/>
Mahl war deßhalb etwas ein&#x017F;ylbig, wie alle Diners<lb/>
zweier Damen und von &#x017F;ehr kurzer Dauer) ließ<lb/>
die junge Barone&#x017F;&#x017F;e ihre Uhr repetiren und &#x017F;agte:<lb/>
Halb drei. Das wird ein langer Nachmittag wer-<lb/>
den. &#x2014; Sie las etwas, aber das Buch zog &#x017F;ie<lb/>
nicht an, dann &#x017F;ang &#x017F;ie etwas zur Guitarre, aber<lb/>
&#x017F;ie hörte bald auf, denn &#x017F;ie behauptete, hei&#x017F;er zu<lb/>
&#x017F;eyn. &#x2014; Fancy, meine Cre&#x017F;pine! rief &#x017F;ie. Fancy<lb/>
brachte die &#x017F;chwarz&#x017F;eidene Cre&#x017F;pine. Clelia ging<lb/>
etwas in den Garten, aber die Mücken &#x017F;chwärmten<lb/>
ihr dort zu wild, und deßhalb kehrte &#x017F;ie bald wieder<lb/>
in ihr Zimmer zurück.</p><lb/>
          <p>Wenn mein Vetter erfährt, welcher Langenweile<lb/>
ich mich um &#x017F;ein wahres Heil ausge&#x017F;etzt habe, &#x017F;o<lb/>
müßte er der undankbar&#x017F;te Men&#x017F;ch &#x017F;eyn, &#x017F;agte er mir<lb/>
nicht Zeitlebens Dank, &#x017F;prach &#x017F;ie zu Fancy, die ihr<lb/>
die Cre&#x017F;pine abgenommen hatte und in den verknitter-<lb/>
ten Spitzen um den vollen Nacken Ordnung &#x017F;tiftete.</p><lb/>
          <p>Er müßte der undankbar&#x017F;te Men&#x017F;ch &#x017F;eyn, er-<lb/>
wiederte Fancy.</p><lb/>
          <p>Sie nahm Stramin zur Hand und fing etwas<lb/>
an zu &#x017F;ticken. Inzwi&#x017F;chen war der Oberamtmann<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0232] Nach Tiſche (ſie ſpeiſte nur mit der Hausfrau, denn die Männer hatten abſagen laſſen, und das Mahl war deßhalb etwas einſylbig, wie alle Diners zweier Damen und von ſehr kurzer Dauer) ließ die junge Baroneſſe ihre Uhr repetiren und ſagte: Halb drei. Das wird ein langer Nachmittag wer- den. — Sie las etwas, aber das Buch zog ſie nicht an, dann ſang ſie etwas zur Guitarre, aber ſie hörte bald auf, denn ſie behauptete, heiſer zu ſeyn. — Fancy, meine Creſpine! rief ſie. Fancy brachte die ſchwarzſeidene Creſpine. Clelia ging etwas in den Garten, aber die Mücken ſchwärmten ihr dort zu wild, und deßhalb kehrte ſie bald wieder in ihr Zimmer zurück. Wenn mein Vetter erfährt, welcher Langenweile ich mich um ſein wahres Heil ausgeſetzt habe, ſo müßte er der undankbarſte Menſch ſeyn, ſagte er mir nicht Zeitlebens Dank, ſprach ſie zu Fancy, die ihr die Creſpine abgenommen hatte und in den verknitter- ten Spitzen um den vollen Nacken Ordnung ſtiftete. Er müßte der undankbarſte Menſch ſeyn, er- wiederte Fancy. Sie nahm Stramin zur Hand und fing etwas an zu ſticken. Inzwiſchen war der Oberamtmann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/232
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/232>, abgerufen am 02.05.2024.