außer gegen den einen Gegenstand, der sie erfüllte. -- Nun hatte sich die Sache gewendet. Der Alte war in Bewegung und der junge Mann ruhte, oder regte sich wenigstens nicht, erschöpft von An- strengung und Leiden. Er hatte sich, nachdem er der Hoffnung leer geworden war, Lisbeth heute wiederzusehen, über ihr Bette geworfen, um etwas zu berühren, was ihr Körper berührt hatte. So lag er, die Arme über das Kissen gebreitet, und dieses an seine Wangen drückend. Leise stöhnte er und rief zuweilen schluchzend den schwäbischen Schmerzenswunsch: Ich wollt', ich wär' bei mei- ner Mutter! -- Die Mutter, nach der er hinver- langte, lag aber im Grabe, und die Geliebte, um die er bekümmert war, saß wenige Thüren von ihm, in der Nachtkälte frierend, ein erstarrtes Vög- lein, welches Tages zuvor so lieblich gesungen hatte.
Der Hofschulze bekümmerte sich nicht um Os- wald und der Jüngling hörte nicht, daß der Hof- schulze in das Zimmer getreten war. Auch hier that und vollbrachte nun der Alte sein mühevoll vergebliches Werk. Der Schweiß troff ihm von der Stirne. Er seufzte tief und machte sich jetzt auf den Weg nach dem Söller, dem letzten noch
Immermann's Münchhausen. 4. Th. 7
außer gegen den einen Gegenſtand, der ſie erfüllte. — Nun hatte ſich die Sache gewendet. Der Alte war in Bewegung und der junge Mann ruhte, oder regte ſich wenigſtens nicht, erſchöpft von An- ſtrengung und Leiden. Er hatte ſich, nachdem er der Hoffnung leer geworden war, Lisbeth heute wiederzuſehen, über ihr Bette geworfen, um etwas zu berühren, was ihr Körper berührt hatte. So lag er, die Arme über das Kiſſen gebreitet, und dieſes an ſeine Wangen drückend. Leiſe ſtöhnte er und rief zuweilen ſchluchzend den ſchwäbiſchen Schmerzenswunſch: Ich wollt’, ich wär’ bei mei- ner Mutter! — Die Mutter, nach der er hinver- langte, lag aber im Grabe, und die Geliebte, um die er bekümmert war, ſaß wenige Thüren von ihm, in der Nachtkälte frierend, ein erſtarrtes Vög- lein, welches Tages zuvor ſo lieblich geſungen hatte.
Der Hofſchulze bekümmerte ſich nicht um Os- wald und der Jüngling hörte nicht, daß der Hof- ſchulze in das Zimmer getreten war. Auch hier that und vollbrachte nun der Alte ſein mühevoll vergebliches Werk. Der Schweiß troff ihm von der Stirne. Er ſeufzte tief und machte ſich jetzt auf den Weg nach dem Söller, dem letzten noch
Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 7
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0109"n="97"/>
außer gegen den einen Gegenſtand, der ſie erfüllte.<lb/>— Nun hatte ſich die Sache gewendet. Der Alte<lb/>
war in Bewegung und der junge Mann ruhte,<lb/>
oder regte ſich wenigſtens nicht, erſchöpft von An-<lb/>ſtrengung und Leiden. Er hatte ſich, nachdem er<lb/>
der Hoffnung leer geworden war, Lisbeth heute<lb/>
wiederzuſehen, über ihr Bette geworfen, um etwas<lb/>
zu berühren, was ihr Körper berührt hatte. So<lb/>
lag er, die Arme über das Kiſſen gebreitet, und<lb/>
dieſes an ſeine Wangen drückend. Leiſe ſtöhnte<lb/>
er und rief zuweilen ſchluchzend den ſchwäbiſchen<lb/>
Schmerzenswunſch: Ich wollt’, ich wär’ bei mei-<lb/>
ner Mutter! — Die Mutter, nach der er hinver-<lb/>
langte, lag aber im Grabe, und die Geliebte,<lb/>
um die er bekümmert war, ſaß wenige Thüren von<lb/>
ihm, in der Nachtkälte frierend, ein erſtarrtes Vög-<lb/>
lein, welches Tages zuvor ſo lieblich geſungen hatte.</p><lb/><p>Der Hofſchulze bekümmerte ſich nicht um Os-<lb/>
wald und der Jüngling hörte nicht, daß der Hof-<lb/>ſchulze in das Zimmer getreten war. Auch hier<lb/>
that und vollbrachte nun der Alte ſein mühevoll<lb/>
vergebliches Werk. Der Schweiß troff ihm von<lb/>
der Stirne. Er ſeufzte tief und machte ſich jetzt<lb/>
auf den Weg nach dem Söller, dem letzten noch<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 7</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[97/0109]
außer gegen den einen Gegenſtand, der ſie erfüllte.
— Nun hatte ſich die Sache gewendet. Der Alte
war in Bewegung und der junge Mann ruhte,
oder regte ſich wenigſtens nicht, erſchöpft von An-
ſtrengung und Leiden. Er hatte ſich, nachdem er
der Hoffnung leer geworden war, Lisbeth heute
wiederzuſehen, über ihr Bette geworfen, um etwas
zu berühren, was ihr Körper berührt hatte. So
lag er, die Arme über das Kiſſen gebreitet, und
dieſes an ſeine Wangen drückend. Leiſe ſtöhnte
er und rief zuweilen ſchluchzend den ſchwäbiſchen
Schmerzenswunſch: Ich wollt’, ich wär’ bei mei-
ner Mutter! — Die Mutter, nach der er hinver-
langte, lag aber im Grabe, und die Geliebte,
um die er bekümmert war, ſaß wenige Thüren von
ihm, in der Nachtkälte frierend, ein erſtarrtes Vög-
lein, welches Tages zuvor ſo lieblich geſungen hatte.
Der Hofſchulze bekümmerte ſich nicht um Os-
wald und der Jüngling hörte nicht, daß der Hof-
ſchulze in das Zimmer getreten war. Auch hier
that und vollbrachte nun der Alte ſein mühevoll
vergebliches Werk. Der Schweiß troff ihm von
der Stirne. Er ſeufzte tief und machte ſich jetzt
auf den Weg nach dem Söller, dem letzten noch
Immermann’s Münchhauſen. 4. Th. 7
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/109>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.