Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

glichen die gefurchten Züge des Antlitzes tiefen
Gräben, die sich durch ein graues Feld ziehen,
denn seine Gesichtsfarbe war von Schmerz und
Gram um den ihm unbegreiflichen Verlust aschfahl.
Die Augen waren fast aus ihren Höhlen getreten
und er sah starr mit ihnen auf den Boden. Alles
hatte er unten durchsucht, selbst das Stroh in
dem Stalle umgewendet und nichts gefunden.

Jetzt erhob er sich, um in dem ersten Stock
des Hauses nachzusehen. Das Licht vor sich hin-
haltend, ging er zitternd und gebeugt langsam die
Treppe hinauf und hielt sich am Geländer. Oben
stand er still und überschlug, wo er seine For-
schungen anstellen müsse. Denn auch in dieser
verzweiflungsvollen Seelenstimmung verließ ihn
seine Bedächtigkeit nicht. Er erinnerte sich, daß
er in der Kammer, worin die Kiste stand, schon
gleich nach dem Wahrnehmen des Raubes nichts
undurchstöbert gelassen hatte; dort also wäre jede
erneute Mühe umsonst gewesen. Aber alle anderen
Gemächer, Gelasse, Ecken und Winkel durchspähte
er. Er rückte die Schränke ab, wo dergleichen
standen, und blickte hinter jede Kiste. Er öffnete
die Schränke und Kisten, bückte sich über sie und

glichen die gefurchten Züge des Antlitzes tiefen
Gräben, die ſich durch ein graues Feld ziehen,
denn ſeine Geſichtsfarbe war von Schmerz und
Gram um den ihm unbegreiflichen Verluſt aſchfahl.
Die Augen waren faſt aus ihren Höhlen getreten
und er ſah ſtarr mit ihnen auf den Boden. Alles
hatte er unten durchſucht, ſelbſt das Stroh in
dem Stalle umgewendet und nichts gefunden.

Jetzt erhob er ſich, um in dem erſten Stock
des Hauſes nachzuſehen. Das Licht vor ſich hin-
haltend, ging er zitternd und gebeugt langſam die
Treppe hinauf und hielt ſich am Geländer. Oben
ſtand er ſtill und überſchlug, wo er ſeine For-
ſchungen anſtellen müſſe. Denn auch in dieſer
verzweiflungsvollen Seelenſtimmung verließ ihn
ſeine Bedächtigkeit nicht. Er erinnerte ſich, daß
er in der Kammer, worin die Kiſte ſtand, ſchon
gleich nach dem Wahrnehmen des Raubes nichts
undurchſtöbert gelaſſen hatte; dort alſo wäre jede
erneute Mühe umſonſt geweſen. Aber alle anderen
Gemächer, Gelaſſe, Ecken und Winkel durchſpähte
er. Er rückte die Schränke ab, wo dergleichen
ſtanden, und blickte hinter jede Kiſte. Er öffnete
die Schränke und Kiſten, bückte ſich über ſie und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0107" n="95"/>
glichen die gefurchten Züge des Antlitzes tiefen<lb/>
Gräben, die &#x017F;ich durch ein graues Feld ziehen,<lb/>
denn &#x017F;eine Ge&#x017F;ichtsfarbe war von Schmerz und<lb/>
Gram um den ihm unbegreiflichen Verlu&#x017F;t a&#x017F;chfahl.<lb/>
Die Augen waren fa&#x017F;t aus ihren Höhlen getreten<lb/>
und er &#x017F;ah &#x017F;tarr mit ihnen auf den Boden. Alles<lb/>
hatte er unten durch&#x017F;ucht, &#x017F;elb&#x017F;t das Stroh in<lb/>
dem Stalle umgewendet und nichts gefunden.</p><lb/>
          <p>Jetzt erhob er &#x017F;ich, um in dem er&#x017F;ten Stock<lb/>
des Hau&#x017F;es nachzu&#x017F;ehen. Das Licht vor &#x017F;ich hin-<lb/>
haltend, ging er zitternd und gebeugt lang&#x017F;am die<lb/>
Treppe hinauf und hielt &#x017F;ich am Geländer. Oben<lb/>
&#x017F;tand er &#x017F;till und über&#x017F;chlug, wo er &#x017F;eine For-<lb/>
&#x017F;chungen an&#x017F;tellen mü&#x017F;&#x017F;e. Denn auch in die&#x017F;er<lb/>
verzweiflungsvollen Seelen&#x017F;timmung verließ ihn<lb/>
&#x017F;eine Bedächtigkeit nicht. Er erinnerte &#x017F;ich, daß<lb/>
er in der Kammer, worin die Ki&#x017F;te &#x017F;tand, &#x017F;chon<lb/>
gleich nach dem Wahrnehmen des Raubes nichts<lb/>
undurch&#x017F;töbert gela&#x017F;&#x017F;en hatte; dort al&#x017F;o wäre jede<lb/>
erneute Mühe um&#x017F;on&#x017F;t gewe&#x017F;en. Aber alle anderen<lb/>
Gemächer, Gela&#x017F;&#x017F;e, Ecken und Winkel durch&#x017F;pähte<lb/>
er. Er rückte die Schränke ab, wo dergleichen<lb/>
&#x017F;tanden, und blickte hinter jede Ki&#x017F;te. Er öffnete<lb/>
die Schränke und Ki&#x017F;ten, bückte &#x017F;ich über &#x017F;ie und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0107] glichen die gefurchten Züge des Antlitzes tiefen Gräben, die ſich durch ein graues Feld ziehen, denn ſeine Geſichtsfarbe war von Schmerz und Gram um den ihm unbegreiflichen Verluſt aſchfahl. Die Augen waren faſt aus ihren Höhlen getreten und er ſah ſtarr mit ihnen auf den Boden. Alles hatte er unten durchſucht, ſelbſt das Stroh in dem Stalle umgewendet und nichts gefunden. Jetzt erhob er ſich, um in dem erſten Stock des Hauſes nachzuſehen. Das Licht vor ſich hin- haltend, ging er zitternd und gebeugt langſam die Treppe hinauf und hielt ſich am Geländer. Oben ſtand er ſtill und überſchlug, wo er ſeine For- ſchungen anſtellen müſſe. Denn auch in dieſer verzweiflungsvollen Seelenſtimmung verließ ihn ſeine Bedächtigkeit nicht. Er erinnerte ſich, daß er in der Kammer, worin die Kiſte ſtand, ſchon gleich nach dem Wahrnehmen des Raubes nichts undurchſtöbert gelaſſen hatte; dort alſo wäre jede erneute Mühe umſonſt geweſen. Aber alle anderen Gemächer, Gelaſſe, Ecken und Winkel durchſpähte er. Er rückte die Schränke ab, wo dergleichen ſtanden, und blickte hinter jede Kiſte. Er öffnete die Schränke und Kiſten, bückte ſich über ſie und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/107
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 4. Düsseldorf, 1839, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen04_1839/107>, abgerufen am 22.11.2024.