lügt, wenn er an Hinzen schreibt: Der Ihrige, denn er gehörte niemals Hinzen. Der Familien- vater lügt, wenn er von Pflichten gegen Frau und Kinder redet; nein, sein Haus ist seine Bequem- lichkeit, und die muß er sich natürlich seiner- seits auch zu erhalten wissen; der Offizier, der seine Leute mit einer Rede vom Vaterlande in das Feuer führt, lügt; denn an das Vaterland denkt er nicht, sondern an's Avancement, wenn die Bursche ihm muthig folgen; der Prediger auf der Kanzel lügt, der Richter im Richterstuhle lügt, der Fürst auf dem Throne lügt -- sie lügen Alle, Alle, nur haben sie nicht die Virtuosität darin, sie bringen ungeschickte, phantasielose, entkräftete Lügen hervor, nnd ihr schweres Blut, ihr massiges Fleisch, ihre dicken Stirnhäute nennen die Halb- lügner Tugend.
Wie anders bei uns begünstigten Sonntags- kindern, deren es freilich immer nur wenige giebt, ich aber bin ihr Chef! Gleich schönen, nackten, schlafenden Mädchen liegen die Dinge um uns her, der Empfängniß gewärtig; wir heirathen sie nicht in plumper Ehe, wir zeugen nicht mit ihnen schläfrig-legitime Kinder, nein, Don Juans der
lügt, wenn er an Hinzen ſchreibt: Der Ihrige, denn er gehörte niemals Hinzen. Der Familien- vater lügt, wenn er von Pflichten gegen Frau und Kinder redet; nein, ſein Haus iſt ſeine Bequem- lichkeit, und die muß er ſich natürlich ſeiner- ſeits auch zu erhalten wiſſen; der Offizier, der ſeine Leute mit einer Rede vom Vaterlande in das Feuer führt, lügt; denn an das Vaterland denkt er nicht, ſondern an’s Avancement, wenn die Burſche ihm muthig folgen; der Prediger auf der Kanzel lügt, der Richter im Richterſtuhle lügt, der Fürſt auf dem Throne lügt — ſie lügen Alle, Alle, nur haben ſie nicht die Virtuoſität darin, ſie bringen ungeſchickte, phantaſieloſe, entkräftete Lügen hervor, nnd ihr ſchweres Blut, ihr maſſiges Fleiſch, ihre dicken Stirnhäute nennen die Halb- lügner Tugend.
Wie anders bei uns begünſtigten Sonntags- kindern, deren es freilich immer nur wenige giebt, ich aber bin ihr Chef! Gleich ſchönen, nackten, ſchlafenden Mädchen liegen die Dinge um uns her, der Empfängniß gewärtig; wir heirathen ſie nicht in plumper Ehe, wir zeugen nicht mit ihnen ſchläfrig-legitime Kinder, nein, Don Juans der
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0386"n="372"/>
lügt, wenn er an Hinzen ſchreibt: Der Ihrige,<lb/>
denn er gehörte niemals Hinzen. Der Familien-<lb/>
vater lügt, wenn er von Pflichten gegen Frau und<lb/>
Kinder redet; nein, ſein Haus iſt ſeine Bequem-<lb/>
lichkeit, und die muß er ſich natürlich ſeiner-<lb/>ſeits auch zu erhalten wiſſen; der Offizier,<lb/>
der ſeine Leute mit einer Rede vom Vaterlande<lb/>
in das Feuer führt, lügt; denn an das Vaterland<lb/>
denkt er nicht, ſondern an’s Avancement, wenn die<lb/>
Burſche ihm muthig folgen; der Prediger auf der<lb/>
Kanzel lügt, der Richter im Richterſtuhle lügt,<lb/>
der Fürſt auf dem Throne lügt —ſie lügen Alle,<lb/>
Alle, nur haben ſie nicht die Virtuoſität darin,<lb/>ſie bringen ungeſchickte, phantaſieloſe, entkräftete<lb/>
Lügen hervor, nnd ihr ſchweres Blut, ihr maſſiges<lb/>
Fleiſch, ihre dicken Stirnhäute nennen die Halb-<lb/>
lügner Tugend.</p><lb/><p>Wie anders bei uns begünſtigten Sonntags-<lb/>
kindern, deren es freilich immer nur wenige giebt,<lb/>
ich aber bin ihr Chef! Gleich ſchönen, nackten,<lb/>ſchlafenden Mädchen liegen die Dinge um uns her,<lb/>
der Empfängniß gewärtig; wir heirathen ſie nicht<lb/>
in plumper Ehe, wir zeugen nicht mit ihnen<lb/>ſchläfrig-legitime Kinder, nein, Don Juans der<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[372/0386]
lügt, wenn er an Hinzen ſchreibt: Der Ihrige,
denn er gehörte niemals Hinzen. Der Familien-
vater lügt, wenn er von Pflichten gegen Frau und
Kinder redet; nein, ſein Haus iſt ſeine Bequem-
lichkeit, und die muß er ſich natürlich ſeiner-
ſeits auch zu erhalten wiſſen; der Offizier,
der ſeine Leute mit einer Rede vom Vaterlande
in das Feuer führt, lügt; denn an das Vaterland
denkt er nicht, ſondern an’s Avancement, wenn die
Burſche ihm muthig folgen; der Prediger auf der
Kanzel lügt, der Richter im Richterſtuhle lügt,
der Fürſt auf dem Throne lügt — ſie lügen Alle,
Alle, nur haben ſie nicht die Virtuoſität darin,
ſie bringen ungeſchickte, phantaſieloſe, entkräftete
Lügen hervor, nnd ihr ſchweres Blut, ihr maſſiges
Fleiſch, ihre dicken Stirnhäute nennen die Halb-
lügner Tugend.
Wie anders bei uns begünſtigten Sonntags-
kindern, deren es freilich immer nur wenige giebt,
ich aber bin ihr Chef! Gleich ſchönen, nackten,
ſchlafenden Mädchen liegen die Dinge um uns her,
der Empfängniß gewärtig; wir heirathen ſie nicht
in plumper Ehe, wir zeugen nicht mit ihnen
ſchläfrig-legitime Kinder, nein, Don Juans der
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/386>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.