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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839.

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Sieh dort -- dort -- dort regt er sich zwischen den
Büschen.

Wirklich war es dem Schüler, als sehe er durch
die Zweige gegenüber einen riesigen Spinnenleib
schimmern, zwei haarige Füße, dick wie Menschen-
arme arbeiteten sich durch das Laub; eine entsetz-
liche Angst um die schöne Schläferin ergriff ihn,
er wollte dem Ungeheuer entgegenstürzen. Umsonst!
rief die Elster und schlug mit den Flügeln; alle
verzauberte Menschen haben furchtbare Kräfte, das
Ungethüm würde dich in der Umknotung ersticken,
aber streue deiner Schönen Farrensaamen auf die
Brust, der macht sie unsichtbar vor dem Kanker-
König, und so lange nur ein Stäubchen davon
liegt, dauert der Segen aus. Eiligst streifte der
Schüler den braunen Staub von der unteren Fläche
eines Farrenblattes ab und that, wie ihm der
Vogel gesagt hatte. Indem er sich hiebei über die
Schläferin beugte, rührte ihr Othem seine Wange.
Verzückt rief er: Giebt es kein Mittel, dieses ge-
liebte Bild zu befreien? Oh! schrie der Vogel
und schoß wie toll in Zickzackflügen um den Schü-
ler, wenn Ihr mich um so ein Mittel befragt,
das giebt es wohl. Unser weiser Alter in der

Sieh dort — dort — dort regt er ſich zwiſchen den
Büſchen.

Wirklich war es dem Schüler, als ſehe er durch
die Zweige gegenüber einen rieſigen Spinnenleib
ſchimmern, zwei haarige Füße, dick wie Menſchen-
arme arbeiteten ſich durch das Laub; eine entſetz-
liche Angſt um die ſchöne Schläferin ergriff ihn,
er wollte dem Ungeheuer entgegenſtürzen. Umſonſt!
rief die Elſter und ſchlug mit den Flügeln; alle
verzauberte Menſchen haben furchtbare Kräfte, das
Ungethüm würde dich in der Umknotung erſticken,
aber ſtreue deiner Schönen Farrenſaamen auf die
Bruſt, der macht ſie unſichtbar vor dem Kanker-
König, und ſo lange nur ein Stäubchen davon
liegt, dauert der Segen aus. Eiligſt ſtreifte der
Schüler den braunen Staub von der unteren Fläche
eines Farrenblattes ab und that, wie ihm der
Vogel geſagt hatte. Indem er ſich hiebei über die
Schläferin beugte, rührte ihr Othem ſeine Wange.
Verzückt rief er: Giebt es kein Mittel, dieſes ge-
liebte Bild zu befreien? Oh! ſchrie der Vogel
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ler, wenn Ihr mich um ſo ein Mittel befragt,
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[169/0183] Sieh dort — dort — dort regt er ſich zwiſchen den Büſchen. Wirklich war es dem Schüler, als ſehe er durch die Zweige gegenüber einen rieſigen Spinnenleib ſchimmern, zwei haarige Füße, dick wie Menſchen- arme arbeiteten ſich durch das Laub; eine entſetz- liche Angſt um die ſchöne Schläferin ergriff ihn, er wollte dem Ungeheuer entgegenſtürzen. Umſonſt! rief die Elſter und ſchlug mit den Flügeln; alle verzauberte Menſchen haben furchtbare Kräfte, das Ungethüm würde dich in der Umknotung erſticken, aber ſtreue deiner Schönen Farrenſaamen auf die Bruſt, der macht ſie unſichtbar vor dem Kanker- König, und ſo lange nur ein Stäubchen davon liegt, dauert der Segen aus. Eiligſt ſtreifte der Schüler den braunen Staub von der unteren Fläche eines Farrenblattes ab und that, wie ihm der Vogel geſagt hatte. Indem er ſich hiebei über die Schläferin beugte, rührte ihr Othem ſeine Wange. Verzückt rief er: Giebt es kein Mittel, dieſes ge- liebte Bild zu befreien? Oh! ſchrie der Vogel und ſchoß wie toll in Zickzackflügen um den Schü- ler, wenn Ihr mich um ſo ein Mittel befragt, das giebt es wohl. Unſer weiſer Alter in der

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/183>, abgerufen am 05.05.2024.