und dem Goldkrönchen auf dem Haupte. Ich lief mich heiß und roth, und nicht müd; man wird nicht müde im Walde!
Und sahst du hinter Hügel und Hecke den Wundervogel nicht schweben, so standest du athmend still und hörtest weit, weit aus dem Eichenthal herauf den Schall der Axt, die Uhr des Forstes, die da ansagt, daß auch in solcher lieben Einöde dem Menschen seine Stunde rinne.
Oder weiterhin, Oswald, die freie Sicht den Hang hinauf zwischen dunkeln, runden Buchen und oben doch wieder der Kamm der Halde von hohen Stämmen beschlossen! Da weideten rothe Kühe und schwangen die Glöcklein, der Thau im Grase gab der Senkung im Sonnenlicht einen silbergrauen Schein, und die Schatten der Kühe und der Bäume spielten darauf Versteckens mit einander.
An einem solchen sonnenklaren Morgen begeg- neten vor vielen hundert Jahren zwei Jünglinge einander im Walde. Es war in dem großen Wald- gebirge, der Spessart genannt, welches die Mark- scheide zwischen den lustigen rheinischen Gauen und dem gesegneten Frankenlande macht. Das ist dir ein Wald, liebe Lisbeth, der zehn Stunden in der
und dem Goldkrönchen auf dem Haupte. Ich lief mich heiß und roth, und nicht müd; man wird nicht müde im Walde!
Und ſahſt du hinter Hügel und Hecke den Wundervogel nicht ſchweben, ſo ſtandeſt du athmend ſtill und hörteſt weit, weit aus dem Eichenthal herauf den Schall der Axt, die Uhr des Forſtes, die da anſagt, daß auch in ſolcher lieben Einöde dem Menſchen ſeine Stunde rinne.
Oder weiterhin, Oswald, die freie Sicht den Hang hinauf zwiſchen dunkeln, runden Buchen und oben doch wieder der Kamm der Halde von hohen Stämmen beſchloſſen! Da weideten rothe Kühe und ſchwangen die Glöcklein, der Thau im Graſe gab der Senkung im Sonnenlicht einen ſilbergrauen Schein, und die Schatten der Kühe und der Bäume ſpielten darauf Verſteckens mit einander.
An einem ſolchen ſonnenklaren Morgen begeg- neten vor vielen hundert Jahren zwei Jünglinge einander im Walde. Es war in dem großen Wald- gebirge, der Speſſart genannt, welches die Mark- ſcheide zwiſchen den luſtigen rheiniſchen Gauen und dem geſegneten Frankenlande macht. Das iſt dir ein Wald, liebe Lisbeth, der zehn Stunden in der
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und dem Goldkrönchen auf dem Haupte. Ich lief
mich heiß und roth, und nicht müd; man wird
nicht müde im Walde!
Und ſahſt du hinter Hügel und Hecke den
Wundervogel nicht ſchweben, ſo ſtandeſt du athmend
ſtill und hörteſt weit, weit aus dem Eichenthal
herauf den Schall der Axt, die Uhr des Forſtes,
die da anſagt, daß auch in ſolcher lieben Einöde
dem Menſchen ſeine Stunde rinne.
Oder weiterhin, Oswald, die freie Sicht den
Hang hinauf zwiſchen dunkeln, runden Buchen und
oben doch wieder der Kamm der Halde von hohen
Stämmen beſchloſſen! Da weideten rothe Kühe
und ſchwangen die Glöcklein, der Thau im Graſe
gab der Senkung im Sonnenlicht einen ſilbergrauen
Schein, und die Schatten der Kühe und der Bäume
ſpielten darauf Verſteckens mit einander.
An einem ſolchen ſonnenklaren Morgen begeg-
neten vor vielen hundert Jahren zwei Jünglinge
einander im Walde. Es war in dem großen Wald-
gebirge, der Speſſart genannt, welches die Mark-
ſcheide zwiſchen den luſtigen rheiniſchen Gauen und
dem geſegneten Frankenlande macht. Das iſt dir
ein Wald, liebe Lisbeth, der zehn Stunden in der
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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 3. Düsseldorf, 1839, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen03_1839/156>, abgerufen am 23.11.2024.
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