Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

überflüssige Haarbüschel gewachsen, auch deine Spra-
che schmettert sonderbar; warst du etwa bei einem
Trompeter in der Lehre? Du kommst mir vor wie
eine durcheinander geworfene Bibliothek oder Gar-
derobe, die einzelnen Bestandtheile deiner Totalität
sind richtig vorhanden, aber es fehlt die Harmonie.

Alles nichts, mein Vater, sagte ich, nachdem ich
vor den Spiegel getreten war, und mich wieder so
ziemlich menschlich gesehen hatte. -- Er brannte, meine
Geschichte zu vernehmen. Ich gab sie ihm in großen
Umrissen. Er glaubte, ich habe geträumt. Sieh
mich an, versetzte ich, und sage dann noch einmal,
daß dies Träume gewesen seien. Das letzte Wun-
der, so schloß ich meinen Bericht, war das größte.
Hat man auch nur noch ein Fünkchen Humanität
in sich, und soll man ausgestopft werden, so nimmt
sich bei diesem Gedanken jenes Fünkchen zusammen
und man restaurirt sich von innen heraus. In den
Tiefen von Angst, Grauen, Verzweiflung habe ich
mich so zu sagen als Menschen zum zweitenmale
geboren und die Thierhülle durch Seelenkämpfe
abgestreift.

Streife jetzt nur auch eine anständige Hülle
über! rief mein Vater, ging zu einer Commode

überflüſſige Haarbüſchel gewachſen, auch deine Spra-
che ſchmettert ſonderbar; warſt du etwa bei einem
Trompeter in der Lehre? Du kommſt mir vor wie
eine durcheinander geworfene Bibliothek oder Gar-
derobe, die einzelnen Beſtandtheile deiner Totalität
ſind richtig vorhanden, aber es fehlt die Harmonie.

Alles nichts, mein Vater, ſagte ich, nachdem ich
vor den Spiegel getreten war, und mich wieder ſo
ziemlich menſchlich geſehen hatte. — Er brannte, meine
Geſchichte zu vernehmen. Ich gab ſie ihm in großen
Umriſſen. Er glaubte, ich habe geträumt. Sieh
mich an, verſetzte ich, und ſage dann noch einmal,
daß dies Träume geweſen ſeien. Das letzte Wun-
der, ſo ſchloß ich meinen Bericht, war das größte.
Hat man auch nur noch ein Fünkchen Humanität
in ſich, und ſoll man ausgeſtopft werden, ſo nimmt
ſich bei dieſem Gedanken jenes Fünkchen zuſammen
und man reſtaurirt ſich von innen heraus. In den
Tiefen von Angſt, Grauen, Verzweiflung habe ich
mich ſo zu ſagen als Menſchen zum zweitenmale
geboren und die Thierhülle durch Seelenkämpfe
abgeſtreift.

Streife jetzt nur auch eine anſtändige Hülle
über! rief mein Vater, ging zu einer Commode

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0230" n="212"/>
überflü&#x017F;&#x017F;ige Haarbü&#x017F;chel gewach&#x017F;en, auch deine Spra-<lb/>
che &#x017F;chmettert &#x017F;onderbar; war&#x017F;t du etwa bei einem<lb/>
Trompeter in der Lehre? Du komm&#x017F;t mir vor wie<lb/>
eine durcheinander geworfene Bibliothek oder Gar-<lb/>
derobe, die einzelnen Be&#x017F;tandtheile deiner Totalität<lb/>
&#x017F;ind richtig vorhanden, aber es fehlt die Harmonie.</p><lb/>
          <p>Alles nichts, mein Vater, &#x017F;agte ich, nachdem ich<lb/>
vor den Spiegel getreten war, und mich wieder &#x017F;o<lb/>
ziemlich men&#x017F;chlich ge&#x017F;ehen hatte. &#x2014; Er brannte, meine<lb/>
Ge&#x017F;chichte zu vernehmen. Ich gab &#x017F;ie ihm in großen<lb/>
Umri&#x017F;&#x017F;en. Er glaubte, ich habe geträumt. Sieh<lb/>
mich an, ver&#x017F;etzte ich, und &#x017F;age dann noch einmal,<lb/>
daß dies Träume gewe&#x017F;en &#x017F;eien. Das letzte Wun-<lb/>
der, &#x017F;o &#x017F;chloß ich meinen Bericht, war das größte.<lb/>
Hat man auch nur noch ein Fünkchen Humanität<lb/>
in &#x017F;ich, und &#x017F;oll man ausge&#x017F;topft werden, &#x017F;o nimmt<lb/>
&#x017F;ich bei die&#x017F;em Gedanken jenes Fünkchen zu&#x017F;ammen<lb/>
und man re&#x017F;taurirt &#x017F;ich von innen heraus. In den<lb/>
Tiefen von Ang&#x017F;t, Grauen, Verzweiflung habe ich<lb/>
mich &#x017F;o zu &#x017F;agen als Men&#x017F;chen zum zweitenmale<lb/>
geboren und die Thierhülle durch Seelenkämpfe<lb/>
abge&#x017F;treift.</p><lb/>
          <p>Streife jetzt nur auch eine an&#x017F;tändige Hülle<lb/>
über! rief mein Vater, ging zu einer Commode<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0230] überflüſſige Haarbüſchel gewachſen, auch deine Spra- che ſchmettert ſonderbar; warſt du etwa bei einem Trompeter in der Lehre? Du kommſt mir vor wie eine durcheinander geworfene Bibliothek oder Gar- derobe, die einzelnen Beſtandtheile deiner Totalität ſind richtig vorhanden, aber es fehlt die Harmonie. Alles nichts, mein Vater, ſagte ich, nachdem ich vor den Spiegel getreten war, und mich wieder ſo ziemlich menſchlich geſehen hatte. — Er brannte, meine Geſchichte zu vernehmen. Ich gab ſie ihm in großen Umriſſen. Er glaubte, ich habe geträumt. Sieh mich an, verſetzte ich, und ſage dann noch einmal, daß dies Träume geweſen ſeien. Das letzte Wun- der, ſo ſchloß ich meinen Bericht, war das größte. Hat man auch nur noch ein Fünkchen Humanität in ſich, und ſoll man ausgeſtopft werden, ſo nimmt ſich bei dieſem Gedanken jenes Fünkchen zuſammen und man reſtaurirt ſich von innen heraus. In den Tiefen von Angſt, Grauen, Verzweiflung habe ich mich ſo zu ſagen als Menſchen zum zweitenmale geboren und die Thierhülle durch Seelenkämpfe abgeſtreift. Streife jetzt nur auch eine anſtändige Hülle über! rief mein Vater, ging zu einer Commode

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/230
Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/230>, abgerufen am 06.05.2024.